«Mutter war danach wochenlang das Stadtgespräch Nummer eins.»
«Und ich der Held von Fabienne.»
Christ stellte sich ans Fenster und blickte auf den Pavillon hinunter.
«Der ist neu, oder?»
«Nicht wirklich. Du bist schon lange nicht mehr hier gewesen.»
«Bernd, ich war bei Lisa Kolb.»
«Sie ist eine von vielen.»
«Du gibst es zu?»
«Wie bist du auf sie gekommen?»
Christ deutete auf den Pavillon.
«Nicole! Das hätte ich wissen müssen. Dein Terrier macht gegen mich mobil.»
«Gegen deine Geschäfte. Es war Ingo, der das Ganze ins Rollen brachte.»
«Er fürchtet, dass ich dir schaden könnte. Und ihm.»
«Ich soll deine Gesellschaft meiden.»
«Verständlich. Mit mir als Klotz am Bein wird deine Kandidatur infrage gestellt. Das kann er sich nicht leisten, er setzt voll auf dich – in der Erwartung deiner Dankbarkeit, versteht sich. Ich bin ja nicht blöd. Deshalb hielt ich mich auf dem Hörnli im Hintergrund. Ich will dir auf keinen Fall schaden.»
«Wie viele Lisa Kolbs gibt es?»
«Hunderte. Die einen verloren mehr, die anderen weniger.»
«Ist Fabienne eingeweiht?»
«Vermutlich ahnt sie etwas von meinen dubiosen Geschäften, aber sie hält bedingungslos zu mir.»
«Typisch für sie.»
«Was verlangst du von mir, Markus?»
«Unterstütze die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung.»
«Du erwartest, dass ich mich an den Galgen liefere und meine Familie in den Ruin treibe?»
«Das hättest du dir früher überlegen müssen. Ich verstehe dich nicht. Wie kam es dazu? Was sind deine Beweggründe? Du bist doch ein vermögender Mann, Geld kann keine Rolle spielen.»
«Zuerst faszinierte mich die Idee. Es ist kein Schneeballsystem, wie alle vermuten. Es könnte wirklich funktionieren, wenn man es seriös betreibt. Aber das genügte Redding nicht, er wollte das schnelle Geld.»
«Und du?»
«Ich dachte, ich bekomme ihn in den Griff. Doch das war ein fataler Irrtum.»
«Warum bist du nicht ausgestiegen?»
«Wie so oft im Leben verpasst man den richtigen Zeitpunkt und dann hängst du voll mit drin. Redding, der innovative und kreative Kopf, mauserte sich vom kleinen Investor zum unberechenbaren Gangster.»
«Mit deiner Unterstützung.»
«Ja, mit meiner Hilfe. Ohne mich wäre er nie so weit gekommen.»
«Lisa Kolb muss ihr Haus verkaufen. Sie wird in ein Altersheim ziehen müssen. Ich gebe ihr dort höchstens sechs Monate. Ist es das wert?»
«Nein.»
«Dann hilf mit, weitere solche Schicksale zu verhindern.»
«Was soll ich tun?»
«Du bist der Einzige, der das System Redding im Detail kennt. Wir müssen das System aushöhlen und vernichten.»
«Ich kann nicht. Nicht wegen mir, wegen Fabienne und Denise.»
«Wirst du bedroht?»
«Nein. Aber ich traue Redding alles zu. In seinem Haus schleichen dubiose Gestalten herum, die schrecken vor nichts zurück. Wenn ich dir das Material liefere, weiss er ganz genau, woher es stammt. Dann rächt er sich gnadenlos an meiner Familie.»
«Und an dir.»
«Das ist mir inzwischen ziemlich egal. Könnte ich nur die Uhr zurückdrehen … Jetzt ist es zu spät.»
«Ohne dich kann ihn die Staatsanwaltschaft nicht aus dem Verkehr ziehen.»
«Ich weiss.»
«Dann macht er weiter und du siehst einfach zu.»
«Genau so wird es sein. Das ist und bleibt mein Dilemma.»
«Überleg es dir.»
«Da gibt es nichts zu überlegen. Tut mir leid.»
Christ ging langsam zur Tür.
«Unsere Freundschaft bedeutet mir viel, Markus. Aber ich kann nicht. Ich hoffe, dass du mich ein wenig verstehst.»
«Ich begreife nicht, wie es so weit kommen konnte. Ich … ich akzeptiere deine Entscheidung. Vermutlich würde ich genauso handeln. Die Polizei wird dir am Donnerstag oder am Freitag einen Besuch abstatten.»
«Du warnst mich vor?»
«Ich weiss nicht, was sie gegen dich und Redding in der Hand haben. Vielleicht bluffen sie nur. Trotzdem, nimm es bitte nicht auf die leichte Schulter. Es ist schon mancher über Nacht in der Zelle zusammengebrochen.»
«Dann … dann war das jetzt unser letztes Gespräch, unsere letzte Begegnung.»
«Nur bis zur nächsten Woche. Länger können sie dich vermutlich nicht festhalten. Du schuldest mir übrigens noch eine Revanche.»
«Du wirst wieder verlieren. Ich bin eindeutig besser im Bowling.»
«Wir werden sehen.»
«Markus, du weisst, was das für dich bedeutet?»
«Ja. Ich werde mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht Bundesrat.»
«Wieso nimmst du das auf dich?»
«Ganz einfach, weil du mein Freund bist.»
«Und, wie wars?»
«Es ist schön hier im Garten. So mitten in der Stadt, eine ausgezeichnete Lage. Schade, dass die Villa als Büro genutzt wird.»
«Er wird nicht kooperieren.»
«Ich befürchte nicht.»
«Wie seid ihr verblieben?»
«Ich werde ihn nächste Woche im Bowling besiegen.»
«Ein Pyrrhussieg.»
«Ich muss es akzeptieren. Irgendwie verstehe ich ihn sogar. Konntest du den zuständigen Steuerbeamten auftreiben?»
«Ja, Phil Gärtner. Es ist alles korrekt abgelaufen. Ich finde die Entscheidung des Finanzdepartementes richtig, die Eigenmieten waren zu tief. Was ihr auf eurem Hügel für die Villen als Eigenmiete versteuert, ist geradezu lächerlich. Und nebenbei macht ihr noch jede Auslage geltend. Aber es gibt auch Härtefälle.»
«Wie Lisa Kolb.»
«Sie ist ein Grenzfall. Wenn sie das Haus verkauft, verfügt sie über genügend Kapital, um das restliche Leben geniessen zu können.»
«Und in sechs Monaten ist sie tot.»
«Ich weiss. Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Rita hat mich auf ein Interview der Finanzdirektorin aufmerksam gemacht.»
«Deine Angestellten mausern sich.»
«Es sind deine, das nur nebenbei. Gemäss Interview wird jeder einzelne Fall geprüft. Das neue Gesetz gilt selbstverständlich generell, doch bei Härtefällen können durchaus Kompromisse gefunden werden. Den Fall Lisa Kolb werde ich mit Kollege Gärtner ausdiskutieren.»
«Und wenn er nicht einlenkt?»
«Dann bist du am Zug, auf höchster Ebene.»
«Einverstanden.»
«Der Chef der BDB lässt dich grüssen. Er bedankt sich für die Einladung und fühlt sich geehrt, mit dir heute in einer Woche um 12.15 Uhr im Schloss Binningen zu essen.»
«Wieso denn das?»
«Das lösen wir auf höchster Ebene. Ich schlage mich doch nicht mit einem kleinen Wicht bei der BDB herum. Der muss von oben Feuer unter dem Hintern kriegen.»
«Hier darf ich, beim Finanzdepartement machst du es allein.»
«So ist es. Die Unterredung mit dem Steuerbeamten ist politisch heikel, da wirst du zum Nestbeschmutzer.»
«Und bei der BDB?»
«Das ist kein Problem. Wenn er nicht spurt, wechseln wir die Bank und lassen die Medien wissen, dass der Christ-Clan nicht damit einverstanden ist, wenn die Bank für die kleinen Leute – genau damit werben sie – diese ruiniert.»
«Woher weisst du, dass wir Kunde bei der BDB sind?»
«Wir sind Grosskunde und Aktionär. Von Ernst natürlich, ich unterhielt mich mit seinem Finanzchef. Eure Immobiliengeschäfte laufen über die BDB.»
«Und das alles vom Pavillon aus?»
«Klar, während du dich über Bowling unterhieltest.»
«Ich möchte mit deinem karrieresüchtigen Kerlchen von der Staatsanwaltschaft sprechen.»
«Du meinst Sebastian Kern, seine Freunde nennen ihn Seb. Er ist fünfunddreissig, wohnt in der Augustinergasse mit Sicht auf den Rhein und spielt leidenschaftlich gern Tennis. Der Fall Redding ist sein bisher grösster. Wenn er ihn gewinnt, macht er garantiert einen Karrieresprung.»
«Sagt wer?»
«Deine Sekretärin Helen.»
«Du setzt das Sekretariat für Spitzelarbeiten ein?»
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