«Das verriet er mir nicht. Vielleicht sein Lustschloss, wo er ungestört von seinem neugierigen Sprössling und seinen Enkeln Damen empfangen kann.»
«Denen begegnest du auch in seiner Villa.»
«Los, komm. Mit einem Zwischenspurt sind wir beinahe pünktlich.»
Nicole rannte die Stufen des Kellergässleins hinunter durch die Stadthausgasse zum Marktplatz, wo einige wenige Früchte- und Gemüsehändler sehnsüchtig auf Kunden warteten.
«Nicht gerade Hochbetrieb.»
«Wunderts dich bei den Preisen? Am Dienstag kaufte ich ein Kilo Schwarzwurzeln für acht Franken. Ganz schön heftig, wenn man bedenkt, dass beim Rüsten ein Drittel verloren geht.»
«Dafür sind es lokale Produkte, das hat eben seinen Preis. Waren sie gut?»
«Hervorragend.» Im Büro am Rheinsprung angelangt, überprüfte Nicole die Mails. «Dein Besucher verspätet sich anscheinend. Ich bring ihn zu dir rein, wenn er da ist. Kaffee?»
«Gern. Und ein Croissant.»
Nicole bat eine der beiden Sekretärinnen, Croissants zu besorgen, die andere servierte inzwischen einen Kaffee. Fünf Minuten später traf ein sichtlich genervter Ingo Rust ein. Ohne Nicole zu beachten, stürmte er ins Büro des Nationalrats.
«Setz dich, Ingo. Kaffee oder Tee?»
«Weder noch, danke. Ich war gerade drüben im Schiesser. Bumsvoll. Es dauerte eine geschlagene Viertelstunde, bis ich zahlen konnte. Deshalb bin ich auch zu spät.»
«Du wolltest mich dringend sprechen, um was geht es?»
Rust warf einen prüfenden Blick auf Nicole, die in der offenen Tür stand.
«Unter vier Augen.»
«Nicole ist meine Vertraute», er lächelte seine Assistentin an. «Komm bitte rein und schliess die Tür. Du musst also mit sechs Augen vorliebnehmen. Was gibts so Geheimnisvolles?»
«Es geht um Bernd.»
«Was ist mit ihm?»
«Du musst dich von ihm trennen. Sofort.»
«Weshalb?»
«Er ist in den Fall Michael Redding verstrickt.»
«Ich weiss, er vertritt ihn vor Gericht.»
«Ja, das auch, doch darum geht es nicht. Bernd ist in Wirklichkeit einer der Strippenzieher.»
«Sagt wer?»
«Das spielt keine Rolle. Er ist an der Schweinerei beteiligt, dafür gibt es genügend Beweise. Verstehst du? Er ist nicht nur Reddings Anwalt, sondern sein Kompagnon. Du musst dich vor ihm fernhalten, sonst reisst es dich mit in den Abgrund. Es ist eine Frage von Tagen, dann sitzen beide im Waaghof.»
«Sagen deine Zuträger.»
«Du kannst dich darauf verlassen, es stimmt. Ich weiss es aus erster Quelle.»
«Deine Sorge um mich ist wirklich nett. Aber ich kenne Bernd seit meiner Kindheit, wir studierten zusammen. Er mag ein Schlitzohr sein, doch mit Sicherheit kein Betrüger. Da musst du mir schon konkrete Beweise vorlegen. Und selbst dann würde ich zuerst mit Bernd reden, bevor ich ihm meine Freundschaft aufkündige.»
«Du bist ein Narr, Markus. Du stehst kurz vor dem Sprung in den Bundesrat. Wenn wir dich nominieren, wird dich die Vereinigte Bundesversammlung im ersten Durchgang wählen. Mit einem Glanzresultat. Hältst du an Bernd fest, bist du erledigt. Möglicherweise kannst du dich nicht mal als Nationalrat halten.»
«Ich opfere keinen Freund aufgrund vager Anschuldigungen.»
«Wie du meinst. Somit stellen wir dich nicht als Bundesratskandidaten auf. Was gibts da zu lachen, Frau Ryff?»
«Das ist der grösste Blödsinn, den ich in letzter Zeit gehört habe. Wen wollt ihr denn nominieren?»
«Es gibt einige, die nur darauf warten, dass wir sie berücksichtigen.»
«Mir fällt auf die Schnelle in Basel niemand ein. Sie können lediglich aus einer Ansammlung von lebenden Leichen wählen.»
«Das verbitte ich mir.»
«Gut. Nennen Sie mir einen vollwertigen Ersatz für Markus und ich entschuldige mich bei Ihnen … Ich warte.»
«Sie werden überrascht sein, wenn ich Ihnen unseren neuen Kandidaten präsentiere. Markus, überleg es dir. Ich meine es gut mit dir. Du wärst ein hervorragender Bundesrat. Aber du hast nicht den Hauch einer Chance, solange sich Otter an dich klammert. Du musst ihn loswerden.»
«Meine Antwort kennst du. Bernd ist und bleibt einer meiner besten Freunde. Ich danke dir, dass du mich auf die Gefahren hinweist.»
«Wie du willst.» Rust erhob sich schwerfällig. «Etwas Zeit bleibt dir noch, falls du es dir noch anders überlegst. Sie planen, Otter und Redding am Freitag hochzunehmen. Wir könnten morgen mit einer Pressekonferenz dem Ganzen zuvorkommen.»
«Und was soll ich da sagen?»
«Dass dich der Fall Redding bis ins Mark getroffen hat und du die Staatsanwaltschaft aufforderst, schonungslos alles aufzuklären. Ich werde dann der Presse einen Hinweis geben, dass du jeglichen Kontakt zu Otter abgebrochen hast. Das Timing stimmt. Die Bevölkerung wird im Nachhinein glauben, deine Pressekonferenz habe den Ausschlag für die Verhaftung gegeben. Die Medien werden dich feiern.»
«Ohne mich. Ich will dich nicht länger aufhalten, Ingo. Du hast bestimmt wichtige Termine.»
«Du bist ein weit grösserer Narr, als ich dachte.»
Nicole öffnete die Tür und vollführte einen Hofknicks.
«Mein herzliches Beileid!»
«Was soll das?»
«Anna wurde gestern beerdigt. Ich habe Sie weder an der Beerdigung gesehen, noch Ihre Beileidsbezeugung gehört. Ein Gentleman, wie er leibt und lebt. Beehren Sie uns bald wieder, Herr Rust.»
«Dumme Gans! Ihnen wird das Lachen noch vergehen.»
«Wieso sollte es, wenn laufend die grössten Clowns der Stadt bei uns ihr Programm zum Besten geben.»
Ingo Rust verliess mit hochrotem Kopf das Büro.
«War das notwendig?»
«Oh ja. Der Typ ist stillos und sein Parfum eine einzige Katastrophe. Stört es dich, wenn ich kurz lüfte? … Schade, ich wollte schon immer für einen Bundesrat arbeiten, mit ihm um die Welt fliegen und die Giganten der Politszene kennenlernen.»
«Trump und Putin?»
«Die auch.»
«Tut mir leid, dass ich dir deine Karriere vermassle. Aber ich schliesse keine faulen Kompromisse der Karriere wegen auf dem Rücken eines Freundes.»
«Rust hat recht.»
«Dass ich ein Narr bin?»
«Du solltest dich von Otter distanzieren.»
«Fängst du jetzt auch noch damit an?»
«Redding ist dumm, allerhöchstens bauernschlau und nur der Strohmann. Ein Verführer ohne Klasse. Sieht gut aus, wirkt vertrauenswürdig. Alles nur Show. Otter zieht die Fäden im Hintergrund.»
«Bernd?»
«Er ist der wahre Meister des guten alten Schneeballsystems. Schon tausendmal mit Erfolg angewendet. Ich erinnere nur an Behring.»
«Schluss damit, ich will nichts mehr davon hören. Bernd ist die integerste Person, die ich kenne.»
«Warum arbeitet er dann für Redding?»
«Weil er zu Beginn von seinen Visionen fasziniert war, an das Geschäftsmodell und an seine Ehrlichkeit glaubte. Leider hat er den richtigen Moment für den Absprung verpasst. Vermutlich ist er nun aus falsch verstandener Loyalität weiter für ihn tätig.»
«Sagt er.»
«Ich glaube Bernd. Die Staatsanwaltschaft hat keine Handhabe gegen ihn. Ingo täuscht sich.»
«Wie du meinst … Hier sind noch deine Termine für nächste Woche.»
Christ ging die Liste durch.
«Kannst du das am kommenden Mittwoch absagen?»
«Kein Problem. Ich werde den Verantwortlichen bei Telebasel sagen, dass du lieber ein anderes Mal an ihrer Talkshow teilnimmst. Was hast du denn so Wichtiges?»
«Bowling.»
«Mit Otter?»
«Und Daniel Gross.»
«Ich glaube nicht, dass Freund Gross auftaucht, und noch weniger, dass du mit Otter bowlst.»
«Ende der Diskussion. Endgültig.»
Der scharfe Ton liess keine Widerrede zu.
«Wie du wünschst, Chef. Dann kann ich mich jetzt ja um mein Sekretariat kümmern. Du weisst, wo du mich findest.»
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