Lobus temporalis – der Schläfenlappen
Unterhalb des Frontal- und Parietallappens, gentrennt durch den prominenten Sulcus lateralis, befindet sich der Temporallappen. Die vielleicht bekannteste Funktion des Temporallappens ist das Hören. Bekannt – ja. Aber leicht zu sehen – nein. Denn das primäre Hörzentrum,die sogenannten Heschl’schen Querwindungen, sind in den Tiefen des Sulcus lateralis verborgen. Anatomisch werden sie als Gyrus temporalis transversus anterior und posterior bezeichnet. Um diese zu sehen, müssen die darüber liegenden Strukturen des Frontal- und Parietallappens entweder entfernt oder auseinandergedrängt werden ( Abb. 2.10).
Abb. 2.10
Laterale Ansicht des Temporallappens
Hirnhäute vollständig entfernt; Opercula frontale und parietale angehoben; Blick auf die Insula
1Zentraler Teil der Insula
2Lobus frontalis, Operculum
3Pons
4Oliva
5Sulcus centralis
6Lobus parietalis, Operculum
7Lobus temporalis, Operculum
8Cerebellum
In diesen Windungen, den Heschl’schen Querwindungen, endet die Hörbahn, die Signale von Sinneszellen aus der Schnecke des Ohres überträgt. Der Schläfenlappen geht zum Hinterhaupt hin ohne scharfe Grenze in den Okzipitallappen über. In den hinteren Abschnitten des Gyrus temporalis superior befindet sich das sensorische Sprachzentrum, das nach seinem Beschreiber auch Wernicke-Zentrumgenannt wird (siehe Abb. 2.9). Es erstreckt sich über den Gyrus temporalis superior heraus auf angrenzende Gyri. Im Gegensatz zum bereits erwähnten motorischen Sprachzentrum (Broca-Zentrum) ist es vor allem für das Sprachverständnis verantwortlich.
Lobus occipitalis – der Hinterhauptlappen
Der Lobus occipitalis steht mehr oder weniger ganz im Dienste des Sehens und der damit verbundenen Verarbeitung von Sinneseindrücken. An der zur Körpermitte zeigenden (medialen) Seite des Okzipitallappens befindet sich der Sulcus calcarinus. Beidseits dieses Sulcus liegt die primäre Sehrinde. Um die Bereiche der primären Sehrindeherum liegen sogenannte sekundäre Sehzentren, welche die Sehinformation integrativ verarbeiten. Dabei funktionieren sie ganz ähnlich wie die integrativen Zentren des Parietallappens. Primäre visuelle Informationen wie etwa gelb, gebogen, klein etc. werden mit anderen Gehirnzentren abgeglichen. Dadurch kann erkannt werden, ob es sich hier beispielsweise um eine Banane handelt. Dort, wo der hintere Anteil des Temporallappens in die Windungen des Okzipitallappens übergeht, „überschneiden“ sich auditorische und visuelle Funktionen. Hier finden sich „lexikalische“ Zentren, die mit der Erkennung geschriebener und gesprochener Sprache zu tun haben.
Laterale Ansicht
Wie Sie sicherlich bereits bemerkt haben, können in der medio-sagittalen Ansicht viele Abschnitte des Zentralnervensystems betrachtet werden. Um jedoch Gehirnabschnitte wie das Telencephalon in seiner gesamten Ausdehnung studieren zu können, reicht die medio-sagittale Sichtweise nicht aus. Man muss hierfür das Gehirn um 180° drehen. Diese Sichtweise, wie sie in Abb. 2.11dargestellt ist, nennt man laterale Ansicht auf das Gehirn.
Abb. 2.11
Gyri und Sulci des Telencephalons
Alle Hirnhäute entfernt;
laterale Ansicht von links
1Sulcus centralis
2Gyrus praecentralis
3Gyrus frontalis superior
4Gyrus frontalis medius
5Sulcus lateralis cerebri, Ramus posterior
6Gyrus frontalis inferior
7Gyrus frontalis inferior, Pars opercularis
8Gyrus frontalis inferior, Pars triangularis
9Sulcus lateralis cerebri, Ramus anterior
10Gyri orbitales
11Gyrus temporalis superior
12Gyrus temporalis medius
13Gyrus temporalis inferior
14Gyrus postcentralis
15Lobus parietalis superior
16Lobus parietalis inferior
17Gyrus supramarginalis
18Gyrus angularis
19Gyrus occipitalis
20Cerebellum
In dieser Lateralansicht wird wieder einmal deutlich, dass das Großhirn weite Teile des Hirnstamms sowie das gesamte Zwischenhirn überwuchert hat. Im Prinzip sieht man lediglich das verlängerte Mark und die unteren Abschnitte der Brücke. Das Mittelhirn als weiterer Bestandteil des Hirnstamms ist vor allem vom Schläfenlappen überlagert. Sehr schön stellt sich jedoch der kleine Bruder des Großhirns dar, das Kleinhirn (Cerebellum). Eine wichtige Struktur des Telencephalons, die in der Lateralansicht studiert werden kann, ist der Sulcus lateralis(Sylvische Fissur; Fissura Sylvii), welcher den Schläfenlappen von den darüber liegenden Strukturen des Frontal-und Parietallappens abtrennt. Drängt man die den Sulcus lateralis umgebenden Strukturen auseinander, kann man in der Tiefe die Inselregion (Lobus insularis) erkennen. Außerdem blickt man auf die primäre Hörrinde (Heschl’sche Querwindungen, Gyri temporales transversi).
Phylogenetisch, also vom evolutionären Alter her betrachtet, ist der Lobus insularis hochbetagt und wie so viele alte Strukturen muss auch er mehrere Aufgaben erfüllen. So gilt die Inselrinde als primärer gustatorischer Kortex, von wo aus Informationen an sekundäre olfaktorische Rindengebiete weitergeleitet werden. Eine weitere Aufgabe, die dem Lobus insularis zugeschrieben wird, liegt in der emotionalen Bewertung von Schmerzen. Auch an der Spracherzeugung, zumindest der automatisierten Sprache, scheint die Inselregion beteiligt: Bei reinen Wortwiederholungen wird kurz nach der Wahrnehmung gesprochener Worte die Insel aktiv. Zudem konnte gezeigt werden, dass Läsionen der posterioren Insuladie Sprechmotorik stören und somit zu einer Beeinträchtigung des Sprechens führen können. Neben Empathie scheint die Insula beim Gefühl von Fairness genauso beteiligt zu sein wie an Mutterliebe, dem Orgasmus, plötzlichen Eingebungen oder der Entscheidungsfindung. Besonders interessant ist ihre Aktivität bei der Aufmerksamkeit – vor allem bei der für uns selbst und unsere aktuelle Befindlichkeit. Diese introspektive Qualität mag ein Grund sein, warum die Inselrinde beim Menschen im Vergleich zu seinen nächsten Verwandten überproportional größer ausgeprägt ist. Sie sehen, dieser verborgene Teil des Telencephalons ist von eminenter Bedeutung für unser tägliches Leben.
In Abb. 2.12ist dargestellt, wie Gehirnwindungen vom freien Ende des Sulcus lateralis mehr oder weniger direkt auf die Inselregion zuziehen. Bei diesen Gyri handelt es sich um die bereits angesprochenen Heschl’schen Querwindungen, die in der anatomischen Nomenklatur aufgrund ihres Verlaufs auch Gyri temporales transversi genannten werden. Sie sind Sitz der primären Hörrinde, auch auditiver Kortex genannt.
Abb. 2.12
Obere Inselrinde und Planum temporale
Alle Hirnhäute entfernt; Opercula frontale und temporale abgetrennt; von links oben
1Sulcus centralis
2Gyrus praecentralis
3Schnittfläche, an der die Opercula frontale und parietale abgetrennt wurden
4Sulcus circularis insulae
5Gyri breves insulae
6Spitze des Lobus temporalis
7Vorderrand des Planum temporale
8Gyrus postcentralis
9Gyrus temporalis transversus posterior
10Gyrus temporalis transversus anterior
11Gyrus temporalis superior
12Gyrus temporalis medius
13Gyrus temporalis inferior
14Cerebellum
Basale Ansicht
Die letzte wichtige anatomische Sichtweise auf das Gehirn ist die basale Ansicht ( Abb. 2.13).
Abb. 2.13
Gehirn von unten
Alle Hirnhäute entfernt;
Hirnnerven nur teilweise erhalten
1Fissura longitudinalis cerebri
2Sulcus olfactorius
3Sulci orbitales
4Bulbus olfactorius, durchtrennt
5Sulcus lateralis cerebri
6Tractus olfactorius
7Stria olfactoria medialis
8Stria olfactoria lateralis
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