»Die Pizza ist total matschig«, maulte Dick mit vollem Mund.
»Aber besser als nichts.«
»Rothlauf hatte laut eigenen Angaben keine Affären, nichts, keine Seitensprünge, ganz normale bürgerliche Familienverhältnisse.«
»Und seine Frau?«
»Nicht, dass er davon wüsste oder gewusst hätte. Sie sei treu gewesen, sagt er.«
»Clara Rothlauf hat eine Lebensversicherung, fünfhunderttausend Euro. Über die Firma, ist da so üblich. Läuft schon seit über zehn Jahren, also nichts erst vor Kurzem Abgeschlossenes.«
»Na ja, ist viel, aber so richtig viel auch wieder nicht ...«
»Mir tät’s reichen.« Was redete er für einen Quatsch, wurde ihm im gleichen Augenblick bewusst. Er war ja sogar Millionär, seit er Julies Haus drüben in der Bretagne verkauft hatte. Wussten die Kollegen aber nicht, mussten sie auch nicht wissen, und selbst er verdrängte es immer wieder. Aktiv. Denn Geld verdirbt den Charakter, und wenn man immer daran denkt, dass man viel hat, auch noch das Leben. Dann kommt man nur auf dumme Gedanken. Das war es nicht wert. Er war Beamter, und dabei blieb es. Punkt. Und er brauchte nicht viel.
»Und sollte sie’s nicht überleben?«
»Dann kriegt er die Summe ausbezahlt.«
•
Pünktlich um fünfzehn Uhr waren die zehn von der Streife im Besprechungszimmer. Es war eng, der Raum viel zu klein, zudem brauchte Kugler Platz für zwei. Er schwitzte, aber roch nicht. Immerhin.
»Machen wir nicht lange rum«, eröffnete Behütuns die Besprechung. »Was haben Sie?«
Kopfschütteln, Schweigen.
»Nichts. Wir haben bislang nichts Brauchbares gefunden.« Sie hatten ihre Ergebnisse untereinander schon abgeglichen.
»Wir haben sämtliche Anwohner der kleinen Siedlung, alle aus der Lachfelderstraße und etliche aus der Schiestlstraße befragt, soweit wir sie angetroffen haben. Nichts. Keiner hat was gesehen, niemandem ist etwas aufgefallen. ›Bei so einem Wetter ist man doch nicht auf der Straße‹, haben wir öfter gehört, und: ›Da schaut man ja auch nicht raus, macht bloß depressiv.‹ Haben ja auch recht, die Leute. Im Fernsehen ist schöneres Wetter.«
In die Briefkästen der Haushalte, wo sie niemanden antrafen, hatten sie Wurfzettel eingeworfen, Kugler reichte Behütuns eines der Infoblätter. War gut gemacht, sah fast professionell aus.
»Sie?«, fragte ihn Behütuns.
»Was ich?«
»Den Wurfzettel, haben Sie den gemacht?«
Kugler grinste. »War ne Gemeinschaftsarbeit.«
Behütuns nickte, die Antwort gefiel ihm. Der Mann versuchte nicht, unverdientes Lob einzufahren. »Haben sich irgendwelche Personen auffällig benommen?«
Allgemeines Kopfschütteln. »Nicht anders als immer, wenn die Polizei plötzlich vor der Türe steht.«
»Und wie sieht’s außenrum aus, also im Garten, hinterm Haus, auf dem Weg, nähere Umgebung?« Vielleicht hatten sie ja die Tatwaffe gefunden? Sicher nicht, das hätten sie längst gesagt.
»Wir haben die Nachbargärten abgesucht, den Weg, der hinten entlangführt, sind im Acker herumgestapft, aber nichts, auch nicht am Weg hinten, der in den Wald führt, wir haben den ganzen Friedhof durchkämmt ...« Er zuckte mit den Schultern, zeigte die leeren Handflächen. »Ein paar Tempotaschentücher, ein paar Bonbonpapiere, ne Flasche, die lag aber schon länger da, so wie das Etikett aussah, sonst nichts. Dazu der Inhalt der Mülleimer vom Friedhof – ist alles schon im Labor.«
»Okay, also unterm Strich bisher n Schuss in’n Ofen. Trotzdem: Machen Sie bitte weiter, bis Sie alle Anwohner und Nachbarn persönlich angetroffen haben. Jeder noch so kleine Hinweis kann wichtig sein. Ich danke Ihnen. Und bitte: Wer etwas hat, sofort weitergeben.«
Damit war die Besprechung beendet. Dick, P. A. und Behütuns sahen sich an.
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Kurz vor vier klingelte das Telefon. Interner Anruf.
»Behütuns?«
»Antonia Zimmermann hier, Kollegin von Erwin Bestvater, Spurensicherung.«
»Hallo, grüß Sie. Was gibt’s Neues?«
»Wir arbeiten noch auf Hochtouren. Acht Personen sind gerade dran. Wollte Ihnen nur schnell den vorläufigen Zwischenstand geben, Sie haben ja gleich PK.«
»Ihr seid klasse. Und was habt ihr?«
»Ihr aber auch«, gab die Frau das Kompliment zurück, »kurz vor eins hatten wir schon sämtliche Abdrücke und Proben, Respekt.«
»Danke. Also, was gibt’s?« Behütuns hatte nicht viel Zeit, die Presseleute warteten schon unten.
»Nichts. Bislang keinerlei Spuren von weiteren Personen. Nur von denen, bei denen wir wissen, dass sie drin waren. Rothlauf, Sanis, zwei Ärzte, Sie. Und die Opfer natürlich. Auch keine Tatwaffe.«
»Nichts gefunden?«
»Nichts. Nur das vielleicht: relativ klare Fingerabdrücke des Kleinen innen an der Klinke der Haustür. Eindeutig die letzten Spuren, überlagern alles. Offenbar hat er dem Täter die Türe geöffnet.«
»Keine Fremd-DNA im Haus, nichts?«
»Nein, bisher nichts, absolut nichts. Nirgends.«
Behütuns überlegt kurz. »Das heißt, es war niemand außer den bekannten Personen dort. Also doch Rothlauf ...«
Antonia Zimmermann am anderen Ende atmete tief durch. »Ich wusste, dass Sie das fragen. Könnte aber auch jemand gewesen sein, der das gut geplant hat. Sich entsprechend vorbereitet hat. Mit Handschuhen, Überschuhen, vielleicht sogar Mundschutz. Ganz gezielt, um keine Spuren zu hinterlassen ... wenn ich das vielleicht so ungefragt sagen darf ...«
»Ja, aber ...« Behütuns sah auf die Uhr. Es war schon zwei nach vier. »Sorry, ich muss in die PK. Danke für die Info.«
»Bitte, gerne. Wir melden uns umgehend, sollten wir noch etwas finden.«
»Haaaalt! Eine Frage noch!«
Zum Glück hatte die Frau noch nicht aufgelegt. »Das Lied. Also die Spieluhr. Haben Sie das schon rausgekriegt?«
Frau Zimmermann am anderen Ende lachte und begann eine Melodie zu summen. »Erkennen Sie’s?«
»Nee. Was ist das für ein Lied?«
»Der Sandmann. Ein Schlaflied nach einem Gedicht von James Krüss.«
»Mein Urgroßvater und ich? Die Glücklichen Inseln hinter dem Winde – der?« Er hatte diese Bücher als Kind von seiner Tante bekommen und sie geliebt.
»Ja, der. Hat noch fünfzig andere geschrieben. Und Hörspiele und ...«
Behütuns unterbrach die Dame. »Der Sandmann, sagen Sie? Kenn ich nicht. Sie?«
»Wenn es Nacht wird, wenn es Nacht wird, und die Lampe ausgemacht wird, zieht der Sandmann durch die Stadt. Und er trägt auf seinem Nacken einen riesengroßen Packen, wo er Träume drinnen hat«, zitierte Frau Zimmermann von der Spurensicherung. »Aber gekannt hab ich das Lied auch nicht, nein. Dafür eine Kollegin, und den genauen Wortlaut des Textes haben wir dann nachgeschaut.«
»Könnten Sie mir den Text schicken?«
»Mach ich.«
Das Gespräch war beendet.
•
»Entschuldigen Sie die Verspätung, aber ich habe noch den jüngsten Bericht der Spurensicherung abgewartet«, eröffnete Behütuns die PK völlig unvorbereitet. Was sollte er denen jetzt erzählen? Dass es keine verwertbaren Spuren gab? Keine verdächtigen Beobachtungen? Dann fiel der Verdacht unwillkürlich auf den Hausherrn Benedikt Rothlauf, die Journalisten konnten ja eins und eins zusammenzählen. Vor allem würde damit auch das Hotel in die Schlagzeilen kommen, in keinem positiven Kontext – und die hatten sicher Anwälte. Gute. Konnte er das verantworten? Er verließ sich auf sein Gefühl, und das sagte Nein. Also beschloss er, auch so zu handeln.
»Lassen Sie mich Ihnen einen kurzen Überblick über den Ablauf der Tat geben, so wie ihn Auffinden und Zustand der Opfer, die vorläufigen Ergebnisse von Spurensicherung und Gerichtsmedizin sowie die Aussagen der Rettungskräfte, die vor Ort waren, nahelegen.« Es wurde still im Raum, die Journalisten waren spürbar gespannt, keiner wollte etwas verpassen. Fotoapparate blitzten und klickten, Kameras liefen.
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