Jetzt war Behütuns hellhörig geworden. »Aber mal Hand aufs Herz: Trauen Sie Ihrer Freundin«, er sah auf das Blatt vor sich, las den Namen ab, »Emma, Emilia Panzoni, das tatsächlich zu?«
Sie schluchzte wieder. »Das weiß ich nicht. Sie ist sehr sportlich, also sehr stark, meine ich, sie hat früher Judo gemacht, immerhin bis zum grünen Gürtel.«
Behütuns wusste nicht genau, was das bedeutete, glaubte aber, dass das so Mittelklasse war. Doch das würde er problemlos eruieren können. Immerhin hieß das, die Frau wusste mit ihrem Körper und ihrer Kraft umzugehen. »Hat sie sich denn gestern bei Ihnen gemeldet?«
»Eben nicht, deswegen bin ich ja stutzig geworden. Sie wollte sich eigentlich nach dem Gespräch bei mir melden, ich war ja gestern auch in Nürnberg. Wir wollten uns irgendwo treffen, auf einen Kaffee.«
»Hat Ihre Freundin denn in der letzten Zeit noch irgendwelche Bemerkungen bezüglich ihrer Wut auf Herrn Rothlauf gemacht?«
»Nicht mehr in der Art, dass sie ihm etwas antun oder sich irgendwie rächen wollte, nein, aber sie war noch lange Zeit wütend. Man durfte das Thema gar nicht ansprechen. Sie ist manchmal sehr nachtragend.«
Behütuns stellte ihr noch ein paar Fragen, überprüfte noch einmal ihre Daten, gab ihr erneut ausdrücklich sein Wort, dass die Informationen absolut vertraulich behandelt würden, dass sie aber vielleicht doch, das würden aber erst die nächsten Tage zeigen, vielleicht einmal ins Präsidium kommen müsse, um alles zu Protokoll zu geben, bedankte sich und legte auf. Über zwanzig Minuten hatte das Gespräch gedauert – da kamen auch schon Dick und P. A. zurück, Benedikt Rothlauf im Schlepptau. Schlecht sah der Mann aus.
»Den Anzug von gestern konnten wir leider nicht mehr sicherstellen, den hat seine Schwester heute früh schon in die Reinigung gebracht. Im Moment trägt er Kleidung von seinem Schwager«, raunte Dick seinem Chef zu. Der begrüßte Rothlauf, entschuldigte sich dafür, dass man ihn geholt hatte, bat ihn, einen Moment Platz zu nehmen und winkte die beiden Kollegen hinaus in den Vorraum. Berichtete in wenigen Worten von dem Anruf gerade. Dick pfiff nur durch die Zähne.
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»Sagen Sie, haben Sie in der letzten Zeit Probleme mit Ihrer Frau gehabt? Oder Streit?«
Rothlauf schüttelte den Kopf.
»Würden Sie sagen, dass Ihre Ehe gut ist?«
»Was soll das heißen?«
»Was man so gemeinhin darunter versteht. Es gibt gute Ehen, schlechte Ehen, So-lala-Ehen ...«
»Wir führen eine glückliche Ehe.«
»Ich muss Ihnen trotzdem diese Frage stellen: Hat Ihre Frau vielleicht Liebhaber gehabt? Ich meine damit: Ist sie möglicherweise fremdgegangen?«
Rothlauf reagierte wach. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie mich im Verdacht haben? Nein, nicht dass ich wüsste. Clara ging nicht fremd, Clara ist treu, war immer treu.«
»Und Sie?« Behütuns fand seine Fragen gefühllos und unverschämt, aber er hatte sich entschieden, hart zu sein. Auch wenn Rothlauf ihm leidtat.
»Ich gehe nicht fremd. Ich bin kein Schürzenjäger, wenn Sie das meinen. Kein Weiberheld. Ich liebe meine Familie.« Er stockte, merkte, was er gesagt hatte. »Liebte«, fügte er leise an.
»Keine Abenteuer? Keine Seitensprünge?«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
Jetzt ging Behütuns zum Angriff über. »Sagt Ihnen der Name Emilia Panzoni etwas?« Er fiel mit der Tür ins Haus.
Rothlauf sah ihn mit prüfendem Blick an. »Wie kommen Sie auf diesen Namen?«
Behütuns blieb unbeirrt. »Mallorca?«, warf er mit Nachdruck auf den Tisch, »Puerto de Sóller? Vor ungefähr zwei Jahren?« Er sah Rothlauf an. »Und bis vor einem Jahr hin und wieder ein Treffen?«
Rothlauf knetete sich die Hände. »Darf ich Ihnen etwas zeigen?«
»Nur zu.«
Rothlauf fingerte sein Handy aus der Hosentasche, schaltete es ein, touchte und scrollte ein wenig auf dem Screen herum und reichte es dann Behütuns hinüber. Dick und P. A. warteten ab. »Eine SMS«, erläuterte Rothlauf. Behütuns las.
Du Hund, das wirst du mir büßen! Mich so schäbig abzuservieren! SO lässt man mich nicht sitzen, NIEMAND! Das lass ich mir nicht gefallen. Du kommst zurück oder ich sprech mit deiner Frau! Und mir fällt noch viel mehr ein!! Gnade dir Gott. Emmi.
Rothlauf wollte das Handy wieder an sich nehmen, Behütuns aber zog seine Hand zurück und behielt es. »Von wann ist das?«
»Das Datum steht mit dabei.«
Behütuns sah auf das Display, scrollte. 12.11. »Gestern?«
»Vor einem Jahr.«
»Auf den Tag genau?«
»Auf den Tag genau.«
»Meinen Sie, das hat etwas zu bedeuten?«
Rothlauf zuckte mit den Schultern.
»Würden Sie Frau Panzoni so etwas zutrauen?«
»Emmi? Dass sie meine Frau ...? Und Max ...?« Er hatte Scheu, es auszusprechen. »Fragen Sie mich das bitte nicht.« Er drückte sich um eine Antwort, doch Behütuns beharrte darauf, wartete ab. Er sah, wie es in Rothlaufs Kopf arbeitete. Nach wenigen Sekunden antwortete er dann doch, mit erstaunlich fester Stimme.
»Ja.«
»Warum meinen Sie?«
»Sie konnte eine sehr rabiate Frau sein. War eine sehr rabiate ... oder bestimmende ... eigenwillige ... auch im Bett, wenn Sie verstehen, was ich meine. Das war ja der Reiz. Ich habe so etwas zuvor nie erlebt, sie war unglaublich. Zärtlich, liebevoll, brutal ...«
Behütuns ging nicht weiter darauf ein, das war jetzt dann doch zu privat. Vielleicht würde er später noch einmal darauf zurückkommen müssen. Allerdings hatte er das Gefühl, Rothlauf hätte gerne mehr davon erzählt, er schien beinahe ein wenig stolz darauf zu sein, so unter Männern. Doch Behütuns schrieb das seinem Ausnahmezustand zu, vielleicht wollte er auch bloß ausweichen, auf ein Thema, das nicht so schmerzhaft für ihn war. Aber er machte sich eine Notiz, vielleicht würde er mit Dr. Hartung, dem Psychologen, einmal darüber reden, er wollte besser verstehen, was in einem Menschen nach so einem Schicksalsschlag vor sich ging oder gehen konnte. Oder in einem Täter.
Rothlauf war verstummt.
»Zurück zu Ihnen. Wir müssen uns von den Vorfällen und Umständen ein möglichst genaues und lückenloses Bild machen, deshalb habe ich Sie von den Kollegen noch einmal herbitten lassen. Danke, dass Sie gekommen sind.«
Rothlauf nickte leicht irritiert.
»Ich bitte Sie um Verständnis, dass wir Ihnen diese Fragen stellen mussten. Sie gelten für uns, damit Sie das bitte nicht falsch verstehen, vorerst nicht als verdächtig, aber wir müssen ergebnisoffen in alle Richtungen ermitteln und brauchen einfach Klarheit.«
Rothlauf sah nur vor sich auf den Tisch.
»Deshalb würden wir Sie bitten, uns noch einmal den gesamten Ablauf der Reihe nach und so exakt wie möglich zu schildern, am besten ab dem Punkt, als Sie das Taxi verlassen hatten, bis zum Eintreffen der Rettungskräfte.«
Schlagartig wirkte Rothlauf hilflos. Er sah die drei der Reihe nach an und sagte nichts.
»Herr Rothlauf ...«
»Ja.«
Es klopfte an der Tür, sie wurde einen Spaltbreit geöffnet, und ein Kollege steckte den Kopf herein.
»Jetzt nicht«, fuhr Behütuns ihn unwirsch an. P. A. erhob sich und ging hinaus, schloss die Tür leise hinter sich.
»Herr Rothlauf!«
Es hatte wieder stärker zu regnen begonnen draußen, vielleicht schon seit Längerem, doch Behütuns nahm es erst jetzt wahr. Es schien sogar zu stürmen, Regentropfen liefen an der Scheibe herunter.
Rothlauf begann zu berichten. Stockend. »Ich hab die Tür aufgeschlossen und bin rein und ... schon mit dem Eintreten sah ich Max dort liegen. Ich dachte erst, er wäre gestürzt ... schlimm gestürzt ... und als ich die Tür schloss ... oder ... ich weiß nicht, auf jeden Fall ...«
»Bitte überlegen Sie genau«, warf Behütuns beinahe mitfühlend ein, »es ist für uns sehr wichtig. Haben Sie die Haustüre hinter sich zugemacht? Beziehungsweise wie haben Sie sie zugemacht?«
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