Behütuns selbst wollte im Büro bleiben, eventuelle Anrufe der zehn Kollegen, die die Nachbarschaftsbefragung und die Suchaktion durchführten, entgegennehmen und den Kontakt zur Spurensicherung halten. Die rief auch prompt an, kurz nachdem Dick und P. A. sich auf den Weg gemacht hatten.
»Kommissar Behütuns, sind Sie dran?«
»Ja.«
»Bestvater hier, Erwin Bestvater, Spurensicherung.«
»Ja?«
»Wir sind gestern Nacht so weit fertig geworden, bis auf draußen, seit sieben ist der Reinigungstrupp drin. Denke, dass Sie ab morgen früh mit dem Hausherrn reinkönnen. Wenner’s packt.«
Auch die von der Spurensicherung hatten sich einen manchmal etwas groben Humor zur Abwehr des Schrecklichen zugelegt. »Sah – und sieht – ganz schön wüst aus dort. Drei Sachen bräuchten wir allerdings noch.«
»Ja?«
»Die DNA von allen, die hier zugange waren, also von den Sanis, den Notärzten, dem Hausherrn, auch von Ihnen.«
»Okay, kann ich veranlassen. Das Zweite?«
»Die Abdrücke der Schuhe aller, die da durchgelaufen sind, also von derselben Klientel. War ja alles verschmiert da, Spuren über Spuren. Und das Dritte: die Fingerabdrücke aller. Damit wir das irgendwie auf die Reihe kriegen. Wir haben alles aufgenommen, wird ein ganz schönes Gepuzzle werden.«
»Kümmer ich mich drum. Was können Sie mir bis jetzt schon sagen?«
Am anderen Ende machte es nur »Pfff«. Und dann folgte: »Niggs Gwieß nunni. Aber«, jetzt wurde Bestvater wieder sachlich, »so viel zumindest: Der oder die Täter haben das Haus erst kurz vor dem Eintreffen von Rothlauf verlassen. Eher der Täter oder die Täterin.«
Behütuns verstand. »Sie gehen also von nur einer Person aus.«
»Right.«
»Können Sie sagen, ob vielleicht etwas mitgenommen wurde? Schubladen geöffnet oder so, ob der Täter vielleicht etwas gesucht hat?«
Wieder kam dieses »Pfff«, bevor er antwortete. »Genau dafür brauchen wir ja die DNA und die Fingerabdrücke. Zum Abgleich. Aber Schubladen oder Schränke standen auf jeden Fall nicht offen.«
»Okay, verstanden. Und wie lange dauert es dann, wenn Sie von uns alles haben, Fingerabdrücke und so, bis Sie Ergebnisse haben?«
»Vier, fünf Stunden würde ich sagen.«
»Gut, ich veranlasse das. Danke einstweilen.«
»Langsam, langsam«, bremste Bestvater, der wohl befürchtete, Behütuns wolle schon wieder auflegen, »der Täter ist höchstwahrscheinlich, das aber noch unter Vorbehalt, hinten raus, über die Terrassentür. Sie war nur eingeschnappt, nicht verschlossen. Was ungewöhnlich ist für diese Jahreszeit.« Stimmt, fiel es Behütuns ein, Bestvater hatte eingangs gesagt »bis auf draußen«.
»Und, was gefunden?«
»Ja und nein. Ja: Wir haben auf der Terrasse einen kleinen Rest Blut gefunden, aber nur an einer Stelle. Entweder, der Täter war nur auf einen Schritt draußen, oder er hat sich die Schuhe ausgezogen, bevor er fort ist. Und nein: Am Griff der Terrassentür sind die Spuren verwischt, an der Scheibe nur Spritz- und Schleifspuren, die auf das Opfer zurückzuführen sind. Sie scheint daran heruntergerutscht zu sein. Auch ein paar Reste an den Beschlägen, ist uns noch nicht klar, wie die da hingekommen sind. Für draußen sollten Sie vielleicht noch mal einen Hund hinschicken, vielleicht findet er etwas, wir haben nichts gefunden, auch nicht im Garten. Aber bei dem Wetter gestern, wie das immer wieder geschüttet hat zwischendurch – das hat dem Täter gut in die Karten gespielt. Am Rest sind wir dran. Vielleicht ergibt sich ja noch was. Das war’s so weit von meiner Seite.«
»Danke. Eins noch. Die Spieluhr. Wurde die sichergestellt?«
»Ja. Hat Wischspuren am Gehäuse, ebenso am Band, also an dem, womit sie aufgehängt wird, so ne Art Schlaufe. An der Schnur, an der sie aufgezogen wird, nicht.«
»Komisch.«
»Ja, schon komisch. Scheint erst im Nachhinein an die Garderobe gelangt zu sein. Aber auch hier: Wir können die Spuren noch nicht zuordnen, die Mikroanalyse steht noch aus.«
»Was spielt sie denn für ein Lied?«
»Keine Ahnung.«
»Kriegen Sie das raus?«
»Sollten wir, ja.«
»Dann rufen Sie mich bitte sofort an.«
»Selbstverständlich.« Bestvater klang etwas verwundert.
»Sie soll noch gelaufen sein, als Rothlauf in das Haus kam.«
Jetzt hörte er nur ein Pfeifen, Bestvater hatte verstanden. Sie legten auf.
•
Behütuns rief umgehend P. A. an. »Wo bist du?«
»Bei Rothlauf. Besser gesagt bei seiner Schwester, sie kümmert sich um ihn. Warte, ich gehe kurz raus.«
Behütuns hörte eine Tür einschnappen, eine zweite, dann meldete sich P. A. wieder, im Hintergrund leichte Verkehrsgeräusche, wahrscheinlich stand er auf dem Balkon. »So, jetzt.«
»Wo wohnt die Schwester von Rothlauf?«
»In der Südstadt, Kopernikusstraße.«
»Gut. Und wie wirkt er so?«
»Gefasst.«
»Wir brauchen seine DNA, seine Fingerabdrücke und einen Abdruck der Schuhe, die er gestern getragen hat. Brauchen wir von allen, die gestern anwesend waren.«
»Okay, wir kümmern uns. Hab grad mit Dick telefoniert.«
»Und?«
»Er hat den Taxifahrer schon gesprochen, die Zentrale hat ihn gleich gefunden. Ein Ali Gündür. Die Angaben und Zeiten stimmen überein, Rothlauf hat mit Karte bezahlt, war eine Dienstfahrt. Zwischen dem Bezahlen und dem Eingang seines Anrufs liegen nur ein paar Minuten.«
»Konkret?«
»Die Bezahlung erfolgte laut Protokoll um 15:17 Uhr. Der Notruf ging exakt um 15:25 Uhr ein.«
»Das sind immerhin acht Minuten. Könnte theoretisch ausreichen für die Durchführung der Tat.«
»Hat denn die Spurensicherung die Tatwaffe gefunden?«
»Keine Ahnung, haben sie noch nichts dazu gesagt.«
»Das Messer müsste ja noch im Haus sein, wenn es Rothlauf war. Und viel Zeit hat er nicht gehabt, es zu verräumen, die Rettungsdienste waren um 15:33 Uhr da, die ersten Kollegen von der Streife immerhin schon 15:30 Uhr.«
»Ich ruf Bestvater noch mal an.«
Sie beendeten das Gespräch. Zwischen eins und zwei wollten sich die drei im Präsidium wieder treffen, um fünfzehn Uhr erwarteten sie die Berichte der Kollegen zur Nachbarschaftsbefragung, für sechzehn Uhr war erneut eine Pressekonferenz anberaumt. Von den Kollegen draußen hatte sich noch keiner gemeldet. Schlechtes Zeichen.
Behütuns rief Bestvater an, der verneinte. »Nein, nichts gefunden, im ganzen Haus nicht.«
»Wenn die Tatortreiniger gehen, sollen sie das Haus versiegeln.«
»Sowieso.« Das Gespräch war beendet.
Den Schuhabdruck, ein Wattestäbchen mit Speichel für die DNA und seine Fingerabdruckdaten hatte er zwischendurch schon zur Spurensicherung hinübergeschickt. Er trug noch dieselben Schuhe wie gestern, völlig ausgelatscht, mit abgetretenen Sohlen. Eigentlich peinlich. War es ihm aber nicht.
•
Um halb zwei waren Dick und P. A. wieder zurück. Erst kam P. A., keine fünf Minuten darauf Dick. Beide wirkten abgekämpft.
»DNA-Proben, Schuhabdrücke, Fingerabdrücke – alles erledigt.«
»Respekt.« Behütuns sah aus dem Fenster. Draußen war es grau, es nieselte inzwischen, aber der Wind hatte sich gelegt. Klassisches Novemberwetter, schön für den, der es mag, nicht so schön für den weitaus größeren Teil der Bevölkerung. Eher grässlich. Die drei hatten keine Gelegenheit, sich darüber Gedanken zu machen. Behütuns hatte drei Pizzas geordert, die Kartons lagen offen auf dem Tisch, und die drei langten zu. Direkt mit den Fingern. Der typische Lieferservice-Pizzageruch hing warm und käsig im Raum. P. A. und Dick berichteten.
»Also, Rothlauf ist dreiundvierzig und Hotelfachwirt, Hotelmanager, arbeitet drüben im Acom, Leipziger Platz. War dienstlich in München, Kollegen haben das bestätigt. Ein Meeting des Leitungskreises Nürnberg, München, Stuttgart. Ist mit dem Zug hingefahren, auch zurück, ICE-Ticket liegt vor.« Zwischendurch schob er sich immer einen Bissen Pizza in den Mund, der Käse zog Fäden. »Hat am Bahnhof ein Taxi genommen, die Zeiten stimmen mit den Angaben des Taxifahrers überein. Er hat keine Ahnung, wer so etwas machen könnte oder warum. Er ist politisch nicht aktiv, hat angeblich mit niemandem Streit. Er spielt nicht, hat keine Schulden außer den Kredit fürs Haus. Den kann er aber mit seinem Gehalt locker bedienen. Außerdem arbeitet seine Frau auch. Sie ist ... war ... ist Marketingfachfrau, in der Abteilung für irgendein Krebsmittel von Nosertas, dieser Pharmakonzern drüben in Gostenhof. Weltunternehmen. Halbtags.«
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