»In deinen was?« Ich glaubte, ich hörte nicht recht.
»In meinen Schriften. Ich habe etliche von ihnen. Es sind Aufzeichnungen über Klatsch und Tratsch jeglicher Art. Jeder hat doch etwas, womit er sich beschäftigen muss, nicht? Und ich habe eben das.« Sie zuckte mit den Achseln.
Und ich bekam das Gefühl, dass ich ihre Vorliebe für mehr oder weniger skandalöse Neuigkeiten unterschätzt hatte. Um Längen. »Muss man das verstehen?«
»Nein. Aber darum geht es auch nicht. Das Gespräch drehte sich um die neuesten Atlas-Nachrichten. Anscheinend werden einer der Augenschönen jetzt große Chancen zugeschrieben. Sie war wohl jahrelang mit ihm in einer Trainingsgruppe und versteht sich echt gut mit ihm. Ich glaube, sie heißt Lexi.«
Ich schluckte.
»Die Zweitplatzierte ist ein Mädchen namens Lavinia. Sie hat dunkelrote Haare und ist wohl ziemlich hübsch. Einem Gerücht zufolge hat man sie gestern um drei schon dabei gesehen, wie sie ihn geküsst hat. Totaler Schwachsinn, um drei wart ihr noch gar nicht da. Und Lavinia selbst hatte von zwei bis fünf Uhr Training im Wald, und da war sie auch anwesend! Ich habe bereits nachgeforscht.«
Ich nickte unbestimmt. Auch wenn es vielleicht überhaupt keinen Grund dazu gab, durchfuhr mich die Eifersucht bei Denise’ Erzählung erneut ungeahnt heftig. Am liebsten hätte ich dieser Lavinia eine gescheuert. Und dieser Lexi gleich mit.
Ruhig bleiben!, ermahnte ich mich selbst. Ich hatte doch schon vorhin bemerkt, dass ich mit Eifersucht nicht sonderlich gut umgehen konnte, milde ausgedrückt.
Charlotte hatte derweil stumm unser Gespräch verfolgt, wie es immer ihre Art war. Jetzt hielt sie ihre Omunalisuhr in der Hand, einen wütenden Ausdruck in ihren Augen. »James ist so ein Sklaventreiber! Wenn er nicht aufpasst, haben wir am Ende so viel trainiert, dass wir keine Kraft mehr für den eigentlichen Kampf haben. Jetzt muss ich schon zur nächsten Einheit.« Sie verzog das Gesicht. »Ausdauerlauf.«
»Könnten wir nicht so tun, als hätten wir es nicht bemerkt?«, fragte Denise, stand aber bereits vom Bett auf, sehr wohl wissend, dass ihr Vorschlag nicht umsetzbar war.
Matt sah ich ihr zu, wie sie sich den Schal umwickelte und unschlüssig neben meinem Bett verharrte.
»Wir werden versuchen, so bald wie möglich etwas Zeit freizuschaufeln, die wir ausschließlich mit dir verbringen werden. Bis dahin: Gute Besserung!«
Sie schloss mich zum Abschied in die Arme, und sie und Charlotte drängten dann zur Tür hinaus.
»Das Schlimmste ist, dass unsere Trainingspläne nicht einmal dieselben sind. Ich habe jetzt Schwertkampf!«, hörte ich noch Denise sich entrüstet beschweren, bevor das Schloss einrastete.
Lustlos öffnete ich die Tüte mit dem Essen, die sie zurückgelassen hatten.
»Guten Appetit, Lucy«, murmelte ich vor meinem einsamen Mahl.
Aus den Lexika der Augenschönen
(Band 1, Kapitel 8)
Unkontrollierte Gefühlsmagieausbrüche, wie auch kontrollierte, unterscheiden sich stark von den Willensmagizismen. […] Ein wesentlicher Unterschied ist, dass sich das Augenschön beim Anwenden eines Gefühlsmagizismus nicht bewegen kann. Der Grund dafür liegt darin, dass Gefühlsmagizismen mehr Magie entfalten und der Körper sich darauf konzentrieren muss, sich selbst zu schützen, wobei er die Muskeln in einer Abwehrstellung erstarren lässt. Hierbei gibt es jedoch einen weiteren Unterschied zwischen kontrollierten und unkontrollierten Gefühlsmagizismen. Der unkontrollierte nämlich ist wiederum fast doppelt so stark wie der kontrollierte und kann somit auch (unter anderem aufgrund der verlorenen Willenskontrolle) nicht unterbrochen werden. Daher müssen Augenschöne bei einem unkontrollierten Gefühlsausbruch abwarten, bis der Magizismus seine (zufällig ausgewählte) Aufgabe erfüllt hat. Dabei kommt es im alten Leben in den Äußeren Schleifen zu zahlreichen Morden, die viele Augenschöne aus Versehen begehen.
Aus dem Bericht:
Gefühlsmagieausbrüche von N. Weblens
Kapitel 4
Gegen drei Uhr tauchte, wie angekündigt, Tatjana mit einer Dromedin auf, die Sellja, der ersten Dromedin, die ich je gesehen hatte, zum Verwechseln ähnlich sah. Zu meiner großen Freude war auch Rose dabei, die zuallererst ebenfalls eine Schimpftirade über James und seinen Trainingsplan losließ.
Tatjana und die Dromedin begannen, mich zu untersuchen, was ich anfangs widerstandslos über mich ergehen ließ.
Sie hörten meine Atmung ab, kontrollierten meinen Puls und überprüften meine Körpertemperatur. Sie fanden zunächst das heraus, was ich bereits wusste.
Ich war unterkühlt und leicht unterernährt. Zu schnelle oder anstrengende Bewegungen lösten Schwindel und Übelkeit aus, die unvorhersehbar zum Übergeben führen konnten. Man vermutete zwar, dass ein Symptom das nächste auslöste, beispielsweise die Unterernährung den Schwindel. Wo jedoch der Ursprung all dessen lag, war ihnen noch unklar.
Tatjana hatte die Stirn gerunzelt und es brauchte keine Gedankenlesefähigkeit, um zu erraten, was sie dachte. Wie alle fand sie ein krankes Augenschön deutlich schwerwiegender, als dass für meinen Zustand besorgniserregend noch ausgereicht hätte.
Schließlich nickte die Nele der Dromedin zu, die daraufhin eine kleine Nadel mit einem Schlauch aus ihrer Tasche holte. Aus irgendeinem Grund jagte mir das einen Schauer über den Rücken, und mein Unterbewusstsein vermittelte mir mit aller Deutlichkeit, dass es nichts Gutes verhieß.
»Was ist das?«
»Wir werden dir jetzt Blut abnehmen, um bei der Analyse gegebenenfalls mehr herauszufinden. Da bei Augenschönen die Wunden immer gleich verheilen, ist das Blutabnehmen etwas schmerzhafter und komplizierter.«
Meine Härchen auf den Armen stellten sich auf, als die Dromedin noch näher kam.
»Das … das möchte ich nicht.« Ich wusste selbst nicht, warum ich solche Angst vor der Blutabnahme hatte. Die Aussicht auf Schmerz war es mit Sicherheit nicht. Dennoch sträubte sich mein gesamter Körper dagegen, und eine Stimme in meinem Inneren flüsterte unaufhörlich, dass ich die Dromedin nicht an mich heranlassen durfte.
»Keine Angst, Lucy, Annabeth hat das schon öfter gemacht, es wird nichts schiefgehen.«
Auch die Dromedin namens Annabeth lächelte mir aufmunternd zu und kam noch näher.
Ich begann, leicht und unkontrolliert zu zittern, und warf Rose, die hinter Tatjana stand, einen panisch bittenden Blick zu. Eine leichte Falte legte sich auf ihre makellose Stirn, und sie fragte sich offensichtlich, was mir solche Angst einjagte.
Trotzdem trat sie zu Tatjana. »Muss das Blutabnehmen unbedingt sein? Reichen die bisherigen Untersuchungen nicht aus?«
»Es ist nicht unbedingt nötig, aber hilfreich. Bis jetzt haben wir zwar Anzeichen für eine Reihe möglicher Krankheiten gefunden, aber um welche es sich genau handeln könnte, wissen wir nicht. Das, was wir im Blut finden, könnte uns jedoch weitere wichtige Hinweise geben.«
»Aber was, wenn es gar keine spezielle Krankheit ist? Was, wenn es sich bloß um die Folgen einer sehr anstrengenden Reise handelt, die sich eben auf viele verschiedene Arten bei Lucy äußern?«
»Das könnte natürlich auch sein. Aber …«
»Bitte, Tatjana«, schaltete ich mich rasch ein. »Ich glaube, dass Rose recht hat. Und du hast selbst gesagt, es sei nicht unbedingt notwendig, mir Blut abzunehmen. Können wir es nicht weglassen?« Ich versuchte, einen ängstlichen Gesichtsausdruck aufzusetzen, um ihr Mitgefühl zu wecken, auch wenn ich wusste, dass sich das nicht gehörte.
Doch es schien zu funktionieren. Tatjana sah zwischen Rose und mir hin und her, bevor sie schließlich seufzte. »Ich habe mich wohl in die Vorstellung verrannt, eine neue Krankheit zu entdecken, die sogar stärker als Unsterblichkeit ist. Wahrscheinlich habe ich dadurch die Hauptsache, dein Wohlergehen, aus den Augen verloren. Und wenn du keine Blutabnahme willst …« Sie machte eine Handbewegung zu Annabeth hin, die daraufhin das Blutabnahmegerät zurück in die Arzttasche packte und diese verschloss.
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