Ich tat, als hätte ich sie nicht gehört, und wandte mich ab. Während ich auf das Zuschlagen der Eingangstür wartete, stieg ich langsam die restlichen Stufen hinauf, den Koffer hinter mir her wuchtend.
Atlas stand immer noch an derselben Stelle und sah mir dabei zu.
»Hör mal … Izzy, es tut mir leid, dass …«
»Nein, nein«, unterbrach ich ihn schnell. Dass mir auffiel, dass er beim Nennen meines Namens gestockt hatte, ließ ich mir nicht anmerken, ebenso wenig, dass ich mich fragte, warum er sich entschuldigte. An seinem Ton hatte ich gehört, dass er genau wusste, dass Eifersucht der Auslöser für meinen Gefühlsausbruch gewesen war.
Verlegen betrachtete ich meine Stiefelspitzen, während ich fortfuhr. »Du solltest zusammen sein können, mit wem du willst, ohne dass es mir etwas ausmacht. Schließlich hast du … « Ich brachte es nicht über mich, die Worte auszusprechen, und räusperte mich stattdessen. »Jedenfalls … ich sollte mich entschuldigen. Dafür, dass ich mich nicht besser im Griff habe. Aber … i-ich kann meine Gefühle für dich nicht einfach abstellen.« Ich knetete meine Finger und schaute überallhin, nur nicht zu ihm. Letztendlich landete mein Blick doch noch auf ihm.
Er strich mit verschlossenem Gesicht über den Riss, an dessen Seiten der Wandputz abbröckelte, doch ich kannte ihn inzwischen gut genug, dass ich wusste, dass hinter seiner Teilnahmslosigkeit die Gefühle nur so brodelten. Allerdings konnte ich nicht sagen, was genau in ihm vorging.
Aus Angst, dass alles, was er jetzt noch sagen würde, bloß wehtat, hauchte ich ein »Also, bis dann« und huschte an ihm vorbei in mein Zimmer. Die kurze Zeit mit ihm, es waren gerade einmal zwei, drei Minuten gewesen, hatte das Messer so tief in mein Herz gerammt, dass ich mich wunderte, dass ich vor Schmerzen nicht laut schrie. Doch mir fehlte die Kraft dazu, die wie Blut aus der Wunde zu fließen schien.
Unschlüssig, was ich einpacken sollte, verharrte ich vor meinem Kleiderschrank. Letztendlich warf ich von allem etwas in den Koffer. Falls ich etwas vergaß, war es ja nicht weit, um es zu holen. Schließlich stand ich nachdenklich neben der Schublade, in der ich meine Socken aufbewahrte, und hielt ein weißes Paar in der Hand. Zögerlich betrachtete ich es eine Weile, bis ich entschlossen die unscheinbare Kette daraus hervorholte. Das Herz der Zeit.
Atlas hatte recht gehabt. Hier in der vierten Schleife spürte und sah ich nichts von der magischen Atmosphäre, die das Herz der Zeit umgab. Ich hatte nicht gewusst, wo ich ein geeignetes Versteck finden sollte, und meine Sockenschublade war mir als eine gute Lösung erschienen. Jetzt war ich jedoch erneut mit dem Problem konfrontiert, wo ich die Kette während meiner Abwesenheit unterbringen sollte. Ob ich sie überhaupt unbeaufsichtigt zurücklassen konnte oder stattdessen mitnehmen sollte. Einer plötzlichen Eingebung folgend, legte ich sie mir kurzerhand um den Hals und versteckte sie unter meinem Shirt und dem Rollkragenpulli, den ich darüber trug. Es würde sich wohl niemand über das Tragen eines Glücksamuletts wundern.
»Lexi ist eine hochmütige kleine Zicke, da gebe ich dir schon recht. Manchmal kann sie allerdings echt nett sein, das solltest du nicht unterschätzen. Sie hat mir zum Beispiel, ohne sich zu beschweren, geholfen, dein Bett zu beziehen und es umzustellen.«
Caitlin führte mich in einen großen Raum mit hoher Decke und weiß gestrichenen Wänden. Auf der rechten Seite drängte sich ein Bett neben dem anderen, ein ziemlich vollgestelltes Krankenzimmer. Auf der linken Seite stand ein einzelnes breites Bett, das im Gegensatz zu den anderen bezogen und mit einer dicken Daunendecke bestückt war. Daneben befanden sich ein kleiner Nachttisch und ein breiter Schrank aus dunklem Holz. Caitlin stellte meinen Koffer davor ab, den wir nur hatten schließen können, weil wir uns gemeinsam draufgesetzt hatten.
Währenddessen sah ich mich weiter in dem riesigen Raum um. Zwei Meter neben dem bezogenen Bett war ein riesiges Fenster in die Wand eingelassen, durch das man einen guten Blick auf Teile der Ost- und Westwiese sowie den Nordwald hatte.
Caitlin stellte sich neben mich und sah ebenfalls hinaus. »Später kommt Tatjana mit einer der Dromeden, um dich zu untersuchen. Bis dahin sollst du dich schonen und darauf achten, dich nicht erneut zu überlasten so wie heute Morgen. Das soll ich dir von ihr ausrichten. Und das auch: Essen wirst du ab sofort hier einnehmen, bis sich dein Zustand so weit gebessert hat, dass du für den Weg zum Speisesaal keine halbe Stunde brauchst. Das Bad ist nebenan. Zum Duschen benutzt du vielleicht besser den großen Duschraum, den du wahrscheinlich an deinem Ankunftstag schon gesehen hast, da die Dusche hier wirklich sehr klein ist. Besuch kannst du so oft und so viel empfangen, wie du willst, solange man davon ausgeht, dass du nicht ansteckend bist und es dich nicht überanstrengt. Selbstständig solltest du dich nicht auf dem Gelände bewegen, sondern immer eine Aufsichtsperson dabeihaben, falls du umkippst. Ach – und du sollst möglichst auf jegliche Magie verzichten, also sowohl auf Grund- wie auch Variantmagie. Falls du irgendetwas brauchst, drückst du den blauen Knopf neben dem Lichtschalter an der Tür«, leierte Caitlin monoton herunter. Dann verzog sie das Gesicht zu einer Grimasse. »Wie gesagt, diese Anweisungen stammen alle von Tatjana. Ich soll sie bloß weitergeben. Echt ätzend.« Sie sah mich mitleidig an.
Wem sagte sie das? Ich stöhnte innerlich auf.
Caitlin ging zu dem Schrank, öffnete ihn und deutete auf eines der höheren Regalbretter, auf dem sich eine Reihe gebundener Bücher befand. »Hier ist, falls du überhaupt Lust zum Lesen hast, eine kleine Sammlung von Büchern. Keine Sachliteratur, sondern«, sie musterte die Einbände, »Fantasy- und Liebesromane, Abenteuerromane … ah, doch etwas höhere Literatur und … eine Biografie. Wie du siehst, jede Menge Auswahl.«
Ich nickte. Vielleicht würde ich etwas darunter finden.
Sie schloss die Schranktüren und zog ihre Omunalisuhr aus der Tasche. »Entschuldige bitte, ich muss wieder los. Training.« Es klang bedauernd. Sie ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern. »Am besten, du räumst deinen Koffer aus und richtest dich hier ein. Gegen drei Uhr wird Tatjana voraussichtlich kommen, bis dahin: schonen, schonen, schonen.« Sie versuchte sich an einem aufmunternden Lächeln, das reichlich schief ausfiel. »Nun gut. Bis bald, Lulu«, sagte sie neckisch und drehte sich um.
Als sie schon fast an der Tür angelangt war, fiel mir etwas ein, um das ich sie bitten musste. »Ähm, Caitlin?«
Sie drehte sich um.
»Kannst du Rose Bescheid geben, dass ich hier bin? Damit würdest du mir einen großen Gefallen tun.«
»Natürlich.« Sie wandte sich ab.
Doch mir kam noch etwas in den Sinn. »Und … kannst du auch ab und zu mal vorbeischauen? Etwas helfen bei meinem Kampf gegen die Langeweile?« Und beim Kampf gegen meine innere Leere, fügte ich in Gedanken hinzu.
Caitlin lachte und salutierte. »Immer zu Diensten, Mylady.«
Ich rang mir ebenfalls ein Lächeln ab, bevor die schwere, ebenfalls weiß gestrichene Tür hinter Caitlin ins Schloss fiel und ich mich mutterseelenallein in einem riesigen Krankenzimmer wiederfand. Jetzt hätte ich sogar Xaviers Gesellschaft vorgezogen.
Tick-tack.
Tick-tack.
Tick-tack.
Ich beobachtete den dürren Zeiger, der über das Ziffernblatt meiner Omunalisuhr wanderte.
Tick-tack.
Tick-tack.
Tick-tack.
Meinen Koffer hatte ich ausgeräumt, den Inhalt in den Schrank geräumt und den leeren Koffer unter meinem Bett verstaut.
Tick-tack.
Tick-tack.
Tick-tack.
Die Jacke und die Stiefel hatte ich ausgezogen und die Jacke neben der Tür an einen Haken gehängt. Die Stiefel standen darunter. Jetzt trug ich nur noch Jeans, Socken, Unterwäsche, das Shirt und den dicken Rollkragenpullover da-rüber.
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