Es nützte nichts. Er war nicht da. Würde sie eben zurückfahren. Oder aufs Boot klettern und warten.
Ein Boot betreten in Abwesenheit des Eigners, das ist wie in eine Wohnung einbrechen, hatte Hendrik ihr erzählt.
Egal, sie würde warten. Wenigstens eine Weile!
Sie zog das Schiff an der Achterleine näher an den schmalen Steg, und mit einem beherzten Sprung über die Reling landete sie in der Plicht.
Gerade wollte sie es sich auf einer der Sitzbänke bequem machen, da meinte sie ein Stöhnen oder Schnarchen zu hören. Sie schaute sich um, konnte aber niemanden entdecken.
Da war es wieder. Das Schnarchen. Und wie es sich anhörte, kam das Geräusch von gar nicht so weit her: direkt aus der Kabine der Antje. Britta klopfte vorsichtig an der Kajüttür. Nichts! Sie klopfte wieder und bemerkte, dass die Tür nur angelehnt war. Vorsichtig öffnete sie.
Sie traute ihren Augen kaum. Da lag Hendrik rücklings und nur mit Boxershorts bekleidet auf dem Boden der Kajüte und schlief tief und fest. Seine nackten Füße zuckten leicht und streckten sich ihr wie zur Begrüßung entgegen. Aus dem kleinen Raum stieg Britta mit jedem Einatmen der Duft des schottischen Hochlandes in die Nase. Auch der Eindruck, dass auf dem Hochland ein paar Schafe und Rinder geweidet hatten, wurde mit jedem Atemzug stärker.
Das durfte doch wohl nicht wahr sein. Besoffen am helllichten Tag! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Wie sollte sie mit dem Mann in dem Zustand denn reden können? Sie würde gehen. Ganz einfach wieder gehen. Männer! Sie drehte sich um, dann zögerte sie.
Wenn er doch ein ganz kleines bisschen wach würde … Irgendwie sah er auch süß aus, so unschuldig, wie er da lag. Und sie brauchte ihn. Sie kitzelte ihn an seinem großen Zeh. Er rührte sich nicht. Sie zwickte ihn leicht. Noch immer nichts. Sie kniff beherzt zu. Das hatte Erfolg. Mit lautem Stöhnen öffnete Hendrik seine Augen – und erstarrte.
»Was um alles in der Welt machst du denn hier?«, krächzte er.
»Danke der Nachfrage. Ich wollte dich sehen. Scheinbar aber keine so gute Idee. Ich geh dann mal.« Britta drehte sich um und stieg entschlossen den Niedergang hinauf.
»Nein, warte, war doch nicht so gemeint. Ich bin nur gerade aus dem Tiefschlaf gekommen.«
Sie zögerte. Sollte sie gehen oder nicht? Britta entschloss sich zu bleiben. Sie setzte sich auf den kleinen Hocker im Heck des Bootes und gab Hendrik Zeit, sich aus seiner unbequemen Lage zu befreien. Es schien ihr, als brauchte er ungewöhnlich lange, bis er endlich, bekleidet mit T-Shirt und kurzer Hose, in der Hand eine Flasche Mineralwasser, aus der Kajüte auftauchte und sich neben sie setzte. Das Rot seiner Augen sprach immer noch Bände.
»Du musst ja nicht, aber willst du mir die Geschichte deines Zustandes näherbringen?«, fragte Britta.
»Tja, das war so«, begann er, »ich habe heute Morgen einen alten Bekannten getroffen und einen neuen kennengelernt, und das war es doch wohl wert, darauf einen zu nehmen, oder nicht?«
»Komisch, ich hatte bei deinem Anruf überhaupt nicht das Gefühl, du hättest einen im Tee.« Warum konnte Britta sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie gerade mit einer Lügengeschichte konfrontiert wurde?
»Soll das hier ein Verhör werden, oder was?« Hendrik schüttelte den Kopf. »Kommst hier rein, weckst mich und ich soll dir Rede und Antwort stehen. So nicht, da habe ich keinen Bock drauf.«
»Nun blas dich mal nicht künstlich auf. Mach doch, was du willst, mir doch egal, wie du deine Tage verbringst. Konnte ich doch nicht ahnen, dass du Komasaufen toll findest. Ich geh dann mal. Du kannst dich ja melden, wenn du wieder nüchtern bist.«
Wütend stand Britta auf, aber Hendrik zog sie am Arm wieder neben sich.
»Entschuldige. Wir fangen das Gespräch noch einmal neu an. Gib mir ein paar Minuten. Ich schleudere mir einen Eimer Wasser ins Gesicht und wir gehen auf die Terrasse vom Hotel Witthus, einen Kaffee trinken.«
*
Leicht schwankend kletterte Hendrik zurück in die Kajüte seines Bootes. Er warf einen vorsichtigen Blick in den kleinen Spiegel, den er neben der Tür des Niederganges angebracht hatte, und zuckte zusammen. Ihm wurde klar, dass nicht einmal drei Eimer Wasser seinen roten Augen und seiner unter der Seemannsbräune fast bleichen Gesichtsfarbe wieder zu einem einigermaßen gesunden Aussehen verhelfen würden. Ihm war schlecht, so schlecht wie es einem nur sein konnte, zwei Stunden nach einem Saufgelage, aber außergewöhnliche Situationen erforderten außergewöhnliche Maßnahmen. Denn eines erschien ihm jetzt am wichtigsten, nämlich Britta aus der direkten Nachbarschaft des Schauplatzes seiner nachmittäglichen Aktivitäten wegzubringen. Nicht vorzustellen, dass Schnucki auch noch zu ihrer fröhlichen Runde stoßen würde. Diese Situation wäre schlichtweg nicht auszudenken. Er nahm jedoch an, dass sie ebenfalls selig in Morpheus’ Armen lag. Aber wissen konnte man das natürlich nicht. Sein Kopf dröhnte bei dem Gedanken, die beiden Frauen könnten aufeinandertreffen. Er wusste, Frauen waren entsetzlich nachtragend!
»Wasch dir mal über die Hand. Ich glaube, du hast geblutet«, hörte er Brittas Stimme. Er schaute auf seine Hand, zuckte unwirsch mit den Schultern und murmelte: »Lieber nicht, fängt sonst nur wieder von neuem an.«
Klaus Kuhlmann stand in Neßmersiel und wartete auf die Fähre. Er war sauer. Natürlich war logisch, dass der Segelmacher in Norden heute geschlossen hatte. Tourismus, Service am Gast, Segelsaison, alles Banane. Es war Feiertag und das war’s.
Er hätte noch stundenlang weiter vor sich hin schimpfen können, so wie er es getan hatte, seit er die kleine Stadt mit dem großen Marktplatz verlassen hatte. Genauer gesagt, seit er mit dem Bus nach Norden zum Bahnhof gelangt war und von dort mit der Taxe zum Segelmacher ins Gewerbegebiet Leegmoor. Nur um dann vor verschlossener Tür zu stehen. Das Taxi hatte er da natürlich schon wieder weggeschickt. Kostete ja Geld. Nicht, dass er geizig wäre. Aber einem Taxifahrer Geld in den Hintern schieben? Nur im Notfall!
Er hätte vorher bei der Firma anrufen sollen, das wusste er jetzt auch. So war er mit seinem schweren Segelsack und der kaputten Fock über der Schulter und Wuffel an seiner Seite langsam zum Bahnhof zurückgelaufen. Eine Tortur bei der Hitze. Und dann die vergeudete Zeit. Was hätte er schön mit seiner Schnucki segeln können! Wenn nur nicht die Fock so blöde eingerissen wäre.
Nicht mal die Stadt hatte er besichtigen können. Wo hätte er denn mit seinem verdammten Segelsack hin sollen. Die Geschäfte hatten auch alle zu. Die Stunden, bis der Bus der Baltrum-Linie wieder Richtung Neßmersiel gefahren war, hatte Kuhlmann im Burger King am Bahnhof abgesessen.
Langsam kam das Schiff durch die Fahrrinne dem Anleger näher.
Er freute sich. Auf die Insel, sein Boot und natürlich auf Schnucki. Er hoffte nur, dass sie kein großes Abendessen zubereitet hatte. Die Stunden im Schnellrestaurant hatten seinen Magen gut gefüllt. Er wollte jetzt nur noch die Beine hochlegen und später mit einem guten Gläschen Talisker den Sonnenuntergang genießen. Auch Wuffel merkte man an, dass er sich gerne in seinen Hundekorb in der Kajüte zurückgezogen hätte. Das Abendschiff war recht leer, so hatte Klaus Kuhlmann auf dem Oberdeck freie Platzwahl. Er ließ sich auf eine der blauen Bänke sinken und genoss die Sonne, die noch hoch über Norderney stand.
»Bitte einzeln die Fahrkarten vorzeigen!«
Klaus Kuhlmann schreckte auf. Da hatte er doch die ganze Überfahrt verschlafen. Egal. Er war da. Kuhlmann schaute vom Deck aus auf den Anleger. Er war enttäuscht. Hatte er doch gehofft, dass Schnucki ihn und Wuffel abholen würde. Aber es war nichts von ihr zu sehen. Erstaunlich, wenn man bedenkt, wie vernarrt sie in den Hund ist, dachte er sarkastisch.
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