Sexuelle Gefühle rangieren gleich nach den Bedürfnissen nach Schmerz- und Hungerfreiheit an dritter Stelle. Geht es dem Organismus gut, so macht er sich sofort an die Vermehrung. Allerdings ist die Paarung etwas höchst Gefährliches, weil währenddessen sämtliche Sinne bis auf einen völlig vernebelt sind. Deshalb braucht sie einen entsprechend starken Anreiz. Es muss Spaß machen, und warum sollte die Natur unsere Mitgeschöpfe mit schwächeren Trieben oder geringerer Belohnung in Form von Lustgefühlen ausstatten als uns?
Um sich erfolgreich zu paaren, muss man sich gemeinsam mit dem Partner in eine Situation relativer Hilflosigkeit begeben. Schnelle Reaktionen sind aufgrund der Körperhaltung und Ablenkung nicht möglich; zudem zieht die Interaktion die Aufmerksamkeit anderer Arten nach sich. Versteckt sich das Paar, so kann es umgekehrt erst recht nicht sehen, wer sich da alles während des Rausches der Gefühle nähert. Bei vielen Tieren ist das Vorspiel sehr auffällig. So treibt etwa unser Ziegenbock Micky seine Damen meckernd über die Weide. Er testet, ob sie seinem Geruch erliegen und stehen bleiben, um ihn aufreiten zu lassen. Selbst wenn dem so ist, wird erst mehrere Runden »Fangen« gespielt. Auch bei Vögeln, etwa den Birk- und Auerhühnern, finden im Vorfeld heftige Balzspiele statt, um die Aufmerksamkeit des Partners zu erregen. Dummerweise erhalten die männlichen Darsteller nicht nur Beachtung von der Angebeteten, sondern auch von Raubtieren. Und die verschaffen sich dann einen Genuss auf gänzlich andere Art und Weise.
Es sind aber nicht nur Raubtiere, die aufmerksam werden können. Gerade männliche Konkurrenten, die schwächer sind als der Chef im Ring, sehen dem Treiben vom Rande aus gierig zu. Aufgrund ihrer Rangstellung bleibt ihnen grundsätzlich jede sexuelle Betätigung verwehrt. So etwa bei Hirschen, wie folgendes von mir beobachtetes Beispiel zeigt: Ein mächtiger, kapitaler Sechzehnender, rund zehn Jahre alt, hat sich einen Harem von acht Hirschkühen erobert. Eifersüchtig bewacht er seine Damen und vertreibt mit seinem schweren Geweih jeden Eindringling. Zwischendurch lässt er sein Röhren erschallen, um etwaige Interessenten schon von Weitem vorzuwarnen. Und dennoch: Ist der Herrscher mit einem Konkurrenten beschäftigt, so mogelt sich manchmal ein junges Hirschlein an das Rudel heran und verschafft sich den ersehnten Genuss. Es nutzt seine Chance, obwohl es jederzeit mit der Rückkehr des Platzhirsches und mit schwerer Bestrafung in Form eines heftigen, manchmal blutigen Kampfes rechnen muss, bei dem es in jedem Fall unterliegt. Doch die Möglichkeit, trotz des jungen Alters schon zum Zuge zu kommen, lässt es jede Vorsicht vergessen.
Aber auch der Akt an sich, selbst wenn er in der jeweiligen Gemeinschaft ganz legal vollzogen wird, birgt Gefahren. Zum einen lenkt der starke Drang nach Paarung ab, beschäftigt die Sinne so sehr, dass die Registrierung nahenden Unheils in Form von Raubtieren in den Hintergrund rückt. Und auch wenn diese bemerkt werden, so steigert die Aussicht auf einen Orgasmus die Risikobereitschaft enorm.
Apropos Aufmerksamkeit erregen: Alle Arten haben ihr eigenes Schönheitsideal. Und nicht jedes Individuum entspricht diesem, wie wir Menschen an unseren Mitbürgern sofort erkennen können. Schönheit ist jedoch ein wichtiges Auswahlkriterium für die Fortpflanzung. Je attraktiver, desto mehr Sex und desto mehr Nachkommen, so sollte der logische Schluss lauten. Dementsprechend müssten Schönheiten bevorzugt Nachwuchs haben, sodass sich die optisch ansprechenden Eigenschaften durchsetzen. Im Laufe der Evolution würden irgendwann alle Individuen einer Art gleich aussehen, nämlich schön. So ist es aber nicht, und das hat einen ganz einfachen Grund: Schönheiten haben Stress, und Stress schadet der Gesundheit. Um attraktive Weibchen buhlen die Männchen ganz besonders heftig, zum Teil wird sich der begehrte Sex einfach mit Gewalt genommen. Zumindest bei Taufliegen konnten dies Forscher der Universität von Kalifornien nachweisen. Wer weniger schön ist, hat weniger Stress und damit eine höhere Chance, zu überleben und die eigenen Gene weiterzugeben.
Nun gut, der Schönheit der Weibchen sind also Grenzen gesetzt. Wie aber ist es mit den Männchen? Denn in der Regel übernehmen diese den aktiven Part und bauen sich vor begehrten Partnerinnen auf, nicht umgekehrt. Der Auswahlstress wirkt hier eher gegenteilig: Zum Zuge kommen nur besonders imposante Werber, was den Ausstattungswettlauf nur noch anheizt. Und die Männchen staffieren sich tatsächlich bis zur Verkrüppelung aus und machen sich mit allerlei Verrenkungen zum Clown. Ob das große Federrad des Auerhahns, ob aufblasbare Kehlsäcke bei Fröschen und Kröten, ob die ohrenbetäubenden Schreie der Hirsche oder groteske Tänze der Kraniche, einer versucht den anderen zu überbieten. Alle Maßnahmen haben jedoch einen gewaltigen Nachteil. Sie machen Feinde aufmerksam und behindern die Hitzköpfe in ihrer Flucht. Wer als Männchen zu üppig ausstaffiert ist, wird bevorzugt gefressen und kann sich dann logischerweise nicht mehr fortpflanzen. Bei den Weibchen begrenzt das Gerangel der Bewerber die Schönheit, bei den Männchen begrenzen die Raubtiere sie. Die Evolution hin zu mehr Attraktivität dürfte also bei den meisten Arten schon heute am Ende der Fahnenstange angekommen sein – auch wenn einzelne Exemplare immer wieder versuchen, höher zu kommen.
Nun aber noch einmal: Macht Tieren Sex wirklich Spaß? Es gibt eine Handlung, die abseits aller logischen Schlüsse den direkten Beweis zu liefern scheint: die Masturbation. Sie erfüllt augenscheinlich keinen biologischen Sinn und kostet nur unnötig Energie. Zudem gelten für diese Tätigkeit alle Gefahren steigernden Faktoren wie beim regulären Sex, also eine erhöhte Risikobereitschaft, eine verminderte Aufmerksamkeit und eine gewisse Hilflosigkeit, kurz, Raubtiere können masturbierende Männchen oder Weibchen viel leichter erbeuten. Normalerweise müsste die Evolution derartiges Handeln daher längst ausgemerzt haben, die Frage wäre nur: wie? Denn die Reizung der Geschlechtsorgane soll ja belohnende Gefühle auslösen, und eine Manipulation des Besitzers an diesen empfindlichen Körperteilen muss ebenfalls möglich sein, etwa um sie zu reinigen. Vielleicht ist es aber auch eine Art sexuelles Trainingsprogramm oder dient ganz einfach der Entspannung. Denn nicht immer findet sich ein paarungswilliger Partner, und bevor der Triebstau zu mächtig wird, alles andere überlagert, ist es möglicherweise günstiger, diesen selbst ruckzuck abzubauen und sich wieder den Alltagsgeschäften zu widmen. Aktuell geben je nach Studie rund 80 Prozent der Bevölkerung der Industriestaaten an, zu masturbieren. Wenn Tiere vielfach ähnlich ticken, ähnliche Möglichkeiten haben und höchstes Vergnügen beim Sex empfinden, sollte die Wissenschaft auf breiter Flur fündig werden. Sie wird und nicht nur sie. Wie verstörte Hundebesitzer in Internetforen berichten, verschaffen sich sexuell besonders aktive Rüden hin und wieder Entspannung. Ob mit den Pfoten, durch bloßes In-die-Luft-Stoßen oder mithilfe einer alten Decke, der Beleg des Bemühens landet vor den menschlichen Rudelmitgliedern, denen dabei regelmäßig der Appetit vergeht. Auch unser Ziegenbock namens Vito demonstrierte früher seine Libido fast täglich. Mit seinem erigierten Penis beförderte er Urin und Sperma nicht nur gegen seine vormals weißen Vorderbeine, sondern meist auch noch ins Maul. Der Duft muss unter Ziegen umwerfend sein, denn paarungsbereite Ziegendamen fanden Vito unwiderstehlich (Besucher unseres Anwesens allerdings weniger).
Schaut man sich zwischen den Säugetieren um, so wird man überall fündig. Ob Braunbären oder Wildkatzen, viele wurden schon dabei beobachtet, Pfote und Schnauze einzusetzen oder Baumstämme zur Hilfe zu nehmen. Bereits im Jahre 1902 beschrieb Autor Hermann Rohleder masturbierende Hirsche sowie Pferde. Aber auch andere Klassen von Landwirbeltieren vergnügen sich. Beobachtungen werden bei in Gefangenschaft gehaltenen Vögeln, etwa Wellensittichen, gemacht, die ihre Kloake an der Hand des genervten Besitzers reiben. Von den allermeisten Tierarten fehlen jedoch solche Hinweise. Das kann vielerlei Gründe haben. Zum einen gibt es vielleicht etliche Spezies, die keinen derartigen Drang verspüren. Zudem lässt sich das Phänomen naturbedingt bei Weibchen nicht so gut beobachten. Andererseits ist Masturbation selbst im menschlichen Bereich ein Tabuthema, welches möglicherweise deswegen bei Wissenschaftlern nicht im Brennpunkt von Untersuchungen steht. Davon abgesehen wäre eine Beobachtung sicherlich nicht gerade einfach: Woran etwa sollte man masturbierende Stubenfliegen oder Kreuzspinnen erkennen?
Читать дальше