Travemünde, 1988
Klaus Müller, geb. 1941 in Dresden, lebt in Rostock. Ausbildung zum Maschinenschlosser. Nach der Abendschule, die er nicht beenden durfte, und Lehre als Kellner und Gaststättenleiter viele Jahre im gastronomischen Gewerbe tätig. Für seine spektakuläre Italienreise, bis heute Gegenstand des öffentlichen Interesses, eignete er sich umfangreiche nautische/seglerische Kenntnisse an. Nach der Wende war er als Projektleiter und ist nun als Sachbuchautor tätig.
Klaus Müller
Gehen, um zu bleiben
Aus der DDR nach Italien – und zurück
Cover
Titel Klaus Müller Gehen, um zu bleiben Aus der DDR nach Italien – und zurück
Der Autor Travemünde, 1988 Klaus Müller, geb. 1941 in Dresden, lebt in Rostock. Ausbildung zum Maschinenschlosser. Nach der Abendschule, die er nicht beenden durfte, und Lehre als Kellner und Gaststättenleiter viele Jahre im gastronomischen Gewerbe tätig. Für seine spektakuläre Italienreise, bis heute Gegenstand des öffentlichen Interesses, eignete er sich umfangreiche nautische/seglerische Kenntnisse an. Nach der Wende war er als Projektleiter und ist nun als Sachbuchautor tätig.
Ein Wort vorab
1. Kapitel: Der Plan
Das Seebäderschiff
Die Krise kommt näher
Erste Schritte
Eine Nachlässigkeit bringt große Gefahr
Die große Gefahr
2. Kapitel: Die Vorbereitung
Segelsommer
Schon mal auf Seumes Spuren
Wieder bei der „Weißen Flotte“
Ein Winterhalbjahr in der Vorbereitungsphase
Hiddenseefähre und Mitropa
3. Kapitel: „Die Lauer“
Heimatgefühl
Hiddensee-Sommer 1986
„Jubiläum 25 Jahre Mauerbau“
Ein weiteres Winterhalbjahr auf der Lauer
Hiddenseesommer 1987
Im „Kugelfisch“ mit Don Avocado
Der Samurai
4. Kapitel: Der Grenzdurchbruch über die Ostsee
5. Kapitel: Im Westen
Ankunft
Erste Eindrücke
Hamburg
6. Kapitel: Italien
Nach Süden
Nach Rom
Rom
Weiter nach Syrakus
Syrakus
Mein Rückweg über Palermo
Durch Italien in die Emilia-Romagna
Parma
Durch die Lombardei
Von Verona über die Alpen zurück nach Deutschland
Rückreise durch Deutschland
7. Kapitel: Wieder daheim
Stasi-Empfang
Das Wiederaufnahmelager Röntgenthal
Wieder bei Penelope, und: Mein Jahr 1989
Ein Wort zum Schluss
Impressum
Klappentext
1958 – ich hatte gerade meine Facharbeiterprüfung als Maschinenschlosser mit gutem Ergebnis abgeschlossen – wurde ich von SED-Agitatoren zum Studium vorgesehen. Nachgeborene müssen wissen, dass die SED-Führung vor dem Mauerbau 1961 den Studenten, die zumeist dem Bürgertum entstammten, ideologisch höchst misstrauisch gegenüberstand – viele „hauten nach dem Westen ab“, mit dem DDR-Hochschul-Diplom in der Tasche. Deshalb intensivierte die SED-Führung die Facharbeiterausbildung. Facharbeiter erschienen den neuen Machthabern braver als die selbstbewussten und unruhigen Studenten. Man brauchte die Arbeiterschaft nur ausreichend zu ernähren, denn bei Hungerrevolten wie am 17. Juni 1953 konnte auch sie ungemütlich werden. Obwohl ich herzlich wenig Interesse für die Maschinenbauerei verspürte, verfüge ich noch heute über fundierte Kenntnisse in Materialkunde, Mechanik, Statik und bin ein exakter Technischer Zeichner.
Als im September 1961 das Abiturvorbereitungsjahr unseres Hochschulbefähigungs-Lehrganges begann, war es mit der Idylle vorbei, die Mauer stand. Uns empfing ein Trio NVA-Offiziere, die, vom Schuldirektor sekundiert, uns eine Verpflichtungserklärung vorlegten. Jedes Wort traf mich wie ein Peitschenhieb: Wir sollten uns bereiterklären, die sozialistische Ordnung in der DDR (die mich vor drei Wochen gerade eingemauert hatte) mit der Waffe in der Hand (und in jener peinlichen Naziuniform der NVA), unter Einsatz des Lebens (mit dessen Genuss ich gerade begann) und im Bündnis mit der schrecklichen Sowjetarmee (die in meinen Augen das Böse schlechthin war) zu verteidigen. Das Schlimmste aber war die Argumentation: Wir, als zukünftige sozialistische Leitungskader, wären verpflichtet, mit gutem Beispiel voranzugehen und den übrigen Jugendlichen als Vorbild zu dienen. Diese Kampagne hieß: „FDJ-Aufgebot“. Die Wehrpflicht in der DDR begann acht Monate später.
Bisher war meine Distanz zum SED-Regime in der DDR eher ästhetischer Art gewesen. Ich kam schließlich aus der Arbeiterschaft, und die SED wollte ja den Arbeitern geben und es den reichen Kapitalisten nehmen. Damit konnte man als jugendlicher Angehöriger der Arbeiterklasse ohne volkswirtschaftliche Bildung durchaus leben, wenn auch alles, was die SED tat, hässlich war. Ihre Reden, ihre Aufmärsche und Kundgebungen, ihre Bauten, ihr persönliches Auftreten und das Schlimmste, ihr Militär. Ein unüberwindlicher Ekel packte mich, ich fand daher sogar den Mut, als Einziger unserer Klasse die Unterschrift unter dieser Erklärung zu verweigern. Diese Verweigerung bewirkte eine brüllende Schimpfkanonade aus dem Munde der Uniformträger gegen mich und meinen Hinauswurf aus dem Abiturkursus durch den Direktor der Abend-Oberschule. Herkunft aus der Arbeiterklasse und gutes theoretisches Wissen hatten als Kriterien für meinen Verbleib in dieser Bildungseinrichtung ausgedient. Die Militarisierung des Lebens in der DDR deutete sich an.
Der Hinauswurf traf mich nicht als eine besonders tiefe Zäsur. Akademiker hatten in der DDR ohnehin nicht mit hohem Einkommen zu rechnen. Mittlerweile hatte ich als Aushilfskellner eine Möglichkeit gefunden, meine Liquidität aufzufrischen, was etwas Freiheit bedeutete. Mein Lehrberuf als Maschinenschlosser war schlecht bezahlt und bot keine Möglichkeit, ein Zubrot zu verdienen, so dass ich ihn aufgab. Die Kellnerei hatte auch den Vorteil, dass ich mit vielen anderen verhinderten Akademikern und auch mit Studenten in Kontakt kam. Aber auch wirkliche Akademiker entzogen sich nicht dem Umgang mit einem forschen jungen Mann, der gepflegte Umgangsformen, einiges Wissen und immer die Taschen voller Bargeld hatte. Ähnlich wie Alexej Maximowitsch Peschkow, der unter seinem Kampfnamen „Der Bittere“ (russisch: „Gorki“) zu Weltruhm gelangte, nenne ich diese meine Zeit in Dresden und später in Rostock „meine Universitäten“.
Verschiedene Verbindungen da und dort bescherten Glücksansätze von Liebe und Familienleben, denn einige meiner Geliebten hatten eigene Kinder. Die Beziehungen führten aber nie zu einer standesamtlichen Bindung; es blieb immer nur bei dem, was das schöne, französische Wort „Liaison“ nennt oder der katholische Klerus mit dem Schmähwort „Konkubinat“ bedenkt. Meine Ablehnung von administrativen Bindungen blieb auch dann noch, als ich Penelope kennenlernte, mit der ich, im oben angedeuteten Verhältnis, noch heute zusammenlebe.
Sinnlich und materiell konnte ich mich nun nicht mehr beklagen – sommers an der Ostseeküste einträgliche Saisontätigkeit bewältigend und die übrige Zeit des Jahres unterwegs, zum Lebensgenuss und der Libido des Lernens nachgehend. Schließlich war mir ein geisteswissenschaftliches Studium verwehrt worden, aber ich legte dennoch großen Wert auf Bildung. So nebenbei wurde ich in Dresden zu einem erfolgreichen Antiquitätensammler, -händler und auch -restaurator, der das im Sommer gescheffelte Geld nicht zur Gänze verjubeln musste oder wollte, sondern langfristig sichern konnte.
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