Klaus Muller - Stiefelschritt und süßes Leben

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Müllers zweiter Band seiner in Atem haltenden Autobiografie erzählt von den Mannesjahren des Autors in der DDR, von seiner Liebe zu Penelope und den Amouren zwischen Rostock und Dresden, aber auch von den Zumutungen in der NVA, der »Friedensarmee« des kleinen Lands, sowie den vielen Unternehmungen, sich das Leben so lebenswert wie nur möglich zu gestalten. So hält sich Ernstes und Skurriles die Waage, wird gezeigt, wie es bisweilen möglich war, die Verdikte der »alten Männer« in Berlin zu unterwandern …

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Klaus Müller

Stiefelschritt und süßes Leben

Ein Intermezzo

mitteldeutscher verlag

INHALT

Cover

Titel Klaus Müller Stiefelschritt und süßes Leben Ein Intermezzo mitteldeutscher verlag

Erstes Kapitel „Tiefpunkt NVA“ ERSTES KAPITEL: „TIEFPUNKT NVA“ (Mai 1964 bis Oktober 1965)

(Mai 1964 bis Oktober 1965)

„Zwangsrekrutiert“

Herbstmanöver

Ernteeinsatz

Regimentsbibliothekar

Frühjahrsmanöver

Im Verteidigungsministerium

Letzter Sommer bei der NVA

Im Knast mit Lenin

Fazit meiner NVA-Zeit

Zweites Kapitel „Bei Künstlers“

(November 1965 bis Januar 1968)

„Secundogenitur“

Fast eine Familie

Irrtum Fiat Topolino

Stadtführer

„Wahlsonntag“

Bulgarien

Drittes Kapitel „Die Basis“

(Februar 1968 bis Februar 1971)

Kulturschock

Das „Trocadero“

Die Künstler

Weitere Höhepunkte

Meine Goldgrube

Politicals

Lebenspläne

Viertes Kapitel „Der Bruch“

(Februar 1971 bis Mai 1972)

Wohnraumfrage

Intermezzo Russlandreise

Endlich eine eigene Wohnung

Priebsch, der Restaurator

Fünftes Kapitel „Der sanfte Weg“

(Juni 1972 bis September 1977)

„Bambusbar“ (Sommer 1972)

Intermezzo: Erste Pragreise (Herbst 1972)

„Dolce far niente“ (Winter 1972/73)

Intermezzo: Erste Polenreise (Herbst 1973)

Das „Dolce far niente“ währt weiter (Winterhalbjahr 1973/74)

Die Fischerklause

Noch ein Intermezzo: Große Reise durch die ČSSR (Herbst 1974)

Rosenthal

Gefahren und Chancen (Winterhalbjahr 1974 /1975)

„Seeblick“ (Sommer 1975)

Ein aufschlussreiches Winterhalbjahr (1975/76)

„Ostseetanzbar“ (Sommer 1976)

Der Beton zeigt erste Risse (Herbst 1976 bis September 1977)

Sechstes Kapitel „Das Leben zeigt wieder die ernste Seite“

(Oktober 1977 bis Dezember 1979)

Parkhotel „Dresden Weißer Hirsch“

Ein verregneter Sommer (1978)

Wichtige Entscheidungen stehen an

Siebentes Kapitel „Die Burg“

(Dezember 1978 bis Januar 1981)

Die Eroberung der „Burg“

Ausbau der „Burg“

Wie nun weiter?

Weitere Bücher

Impressum

ERSTES KAPITEL: „TIEFPUNKT NVA“

(Mai 1964 bis Oktober 1965)

„Zwangsrekrutiert“

An jenem 4. Mai war der Mittelpavillon des Postplatzes, der als Treffpunkt der Einberufenen ausersehen war, von jungen Männern mit verschieden großen Gepäckstücken umringt. Es waren auch bekannte Gesichter darunter. Wir nickten uns nur missgestimmt zu, wenn wir mal Blickkontakt hatten. Meine Stimmung sank und sank, bereitete fast körperliche Übelkeit. Ich überlegte, ob ich vielleicht doch wieder nach Hause gehen sollte und lieber den, in meinen Augen, ehrenvolleren Knast wählen, als die Demütigung der Zwangsrekrutierung zu ertragen. Doch dazu war es nun wohl zu spät, das Dreieck, auf dem der besagte Pavillon steht, war unbemerkt von einer Postenkette umstellt worden.

Dann dröhnte aus dem Lautsprecher, der ursprünglich für die Durchsagen der Dresdner Verkehrsbetriebe diente, martialischer Lärm. Eine schnarrende Stimme gebot: Bereitmachen, Gepäck aufnehmen und in Kolonnenformation zum Hauptbahnhof marschieren. Auch erschien ein Litzenträger, der kommandierte: „Im Gleichschritt Marsch!“

Noch wurde das mit lachendem Gejohle quittiert.

Auf dem Weg zum Bahnhof fand sich viel Publikum ein. Familienangehörige mit meist traurigen Gesichtern, aber auch höhnische Typen, wie der alte Friedrich, der wohl seine Vorhersage mit dem nächsten Krieg („Wenn die dann soweit sind …“) in Erfüllung gehen sah. Ich hatte den alten Friedrich nie für eine Geistesleuchte gehalten; dass ordinäre Dummheit aber zu solch gehässiger Niedertracht führen kann, erstaunte mich anfangs doch.

Am Hauptbahnhof stand für uns ein Sonderzug bereit, mit dem wir um Berlin herum über Angermünde, durch die Uckermark in 14 Stunden nach Torgelow fuhren.

Die Fahrt endete an einer Rampe in der Nähe eines Kasernenkomplexes, fern aller Zivilisation. Mit Gebrüll und unter Beschimpfungen wurden wir, ich schätze 1.000 Mann, wie Feinde, derer man endlich habhaft geworden ist, in eine riesige Halle getrieben. Dort hielt ein mit glitzernden Raupen auf den Schulterstücken versehener Psychopath eine brüllende Ansprache, die von Drohungen und Beschimpfungen nur so strotzte.

Dieser Mensch litt gewiss noch aus der Zeit vor dem Mauerbau unter seinen erfolglosen Werbeversuchen. Erfolglosigkeit bei Werbungen, sei’s Liebe oder Militär, kann zu bösen Missstimmungen führen, wie man weiß. Soweit ist diese Haltung zu den Zwangsrekrutierten verständlich, doch militärisch ist sie unlogisch. Jeder selbstbewusste junge Mann, der noch kein Feind des DDR-Systems war, musste es hier werden.

*

In dieser Gegend war eine ganze Division stationiert, und wir wurden nun durch Namensaufruf auf die einzelnen Regimenter verteilt. Ich kam zum Artillerieregiment 9 in Eggesin-Karpin, kurz AR 9. Auf der mit Seitensitzen versehenen Ladefläche eines H5 (LKW-Horch, der fünfte Versuch) brachte man mich und die anderen Artilleristen in spe in die Kaserne, die nach dem Willen von Partei und Staatsführung für 18 Monate mein Zuhause sein sollte.

Was die Klamotten betraf: Die Einberufenen hatten alle Kleidungsstücke abzulegen, wurden dann mit Armeeklamotten eingekleidet. Alle Zivilsachen mussten sofort an die Heimatadresse geschickt werden, wir hatten nun Anstaltskleidung, um jeden Gedanken an das Zivilleben auszulöschen. Die Langhaarigen, aber auch die Rundschnittträger, mussten zum Kasernenfriseur, der ihnen einen „militärischen Haarschnitt“ verpasste. Die Demütigungen sollten kein Ende nehmen.

Die Innendienst-Vorschrift der NVA: DV 08 - 15, die seit Kaisers Zeiten die gleiche Ordnungszahl hatte, wurde verlesen, regelte solche einfachen Tätigkeiten wie Grüßen, Exerzieren, Marschieren, Diensträume betreten, sich überhaupt auf dem Kasernenhof bewegen.

Die höheren Chargen des Unteroffizierscorps und einige Feldoffiziere waren fast alle übriggebliebene Wehrmachtsoldaten, die außer Krieg und Kasernenhof in ihrem Leben nichts kannten. Viele waren um die und über 40 Jahre alt. So wie ihr trauriges Leben war auch ihre Geisteshaltung.

Dann begann die militärische Grundausbildung, über deren Stupidität schon viel geschrieben worden ist; ich erspare es dem Leser. Es ist ja auch relativ leicht, einem stupiden, brüllenden Unteroffizier, der einen „schleifen“ will, stehen und brüllen zu lassen, wenn man selbst liegt. Es ist wiederum nur eine Demütigung.

Bei Subordination wurde aber immer mit dem Militärstaatsanwalt und dessen höllischer Militärstrafanstalt in Torgelow gedroht, hauptsächlich nach der Vereidigung. Zu dieser wurden wir Rekruten nach circa zwei Wochen zusammengetrieben, mussten in unserer Ausgehuniform ein Karree bilden, dann plärrte ein in der Mitte aufgestellter Lautsprecher die Eidesformel, mit der wir jederzeit unter Einsatz unseres Lebens und an der Seite der Sowjetarmee dieses System verteidigen sollten. Dann wurden wir aufgefordert, die Formel zu wiederholen. Da das kaum einer tat, manche nur stumm die Lippen bewegten, plärrte der Lautsprecher mit. Vor mir kreuzte einer Zeige- und Mittelfinger.

Die Gefechtsausbildung an einer russischen Haubitze war noch öder, dazu auch gefährlich, denn das Monstrum, Jahrgang 1938, konnte einen Menschen schon zerquetschen, wenn er einen ungeschickten Schritt tat. Der Felddienst an veralteten Kriegsgerät brachte Napoleons Wort vom „Kanonenfutter“ in Erinnerung.

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