Clemens Sedmak
Mensch bleiben
im Krankenhaus
ZWISCHEN ALLTAG UND
AUSNAHMESITUATION
Unter Mitarbeit von Gunter Graf und Gottfried Schweiger
ISBN 9783990402320
© 2013 by Styria premium
in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG
Wien · Graz · Klagenfurt
Alle Rechte vorbehalten
Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop
LEKTORAT: Elisabeth Wagner
UMSCHLAGGESTALTUNG: Bruno Wegscheider
BUCHGESTALTUNG: Maria Schuster
COVERFOTO: iStockphoto.com/Tina Lorien
1. DIGITALE AUFLAGE: Zeilenwert GmbH 2014
Cover
Titel Clemens Sedmak Mensch bleiben im Krankenhaus ZWISCHEN ALLTAG UND AUSNAHMESITUATION Unter Mitarbeit von Gunter Graf und Gottfried Schweiger
Impressum ISBN 9783990402320 © 2013 by Styria premium in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG Wien · Graz · Klagenfurt Alle Rechte vorbehalten Bücher aus der Verlagsgruppe Styria gibt es in jeder Buchhandlung und im Online-Shop LEKTORAT: Elisabeth Wagner UMSCHLAGGESTALTUNG: Bruno Wegscheider BUCHGESTALTUNG: Maria Schuster COVERFOTO: iStockphoto.com /Tina Lorien 1. DIGITALE AUFLAGE: Zeilenwert GmbH 2014
Vorwort
EINLEITUNG: Ethik im Krankenhausalltag
I. „ETHIK FÜR MENSCHEN“: der Blick auf den Alltag
Ethik
Alltag
Eine Zwischenbemerkung: Gesundheit als Fähigkeitsfähigkeit
Ein kleines Wörterbuch
II. DAS KRANKENHAUS als menschliche Institution
„Anständige Institutionen“
Interaktion und Kommunikation: eine Gesprächskultur
Fehlerkultur: Transparenz und Lernen
Das Glück am Arbeitsplatz: „happy hospitals“
III. MENSCHEN: Rollen und Beziehungen
Gedankenlosigkeit und Gleichgültigkeit
Patient/in sein: dennoch Pflichten
Selbsttäuschung und Hierarchien: aus der Blase heraustreten
Starke Sorge: die Menschen lieben
Schlussbemerkung
Eine kleine Leseliste zum Thema
Anmerkungen
Wie fühlt es sich an, in einem Krankenhaus zu arbeiten oder sich als Patient/in dort aufzuhalten? Wie steht es um die Menschen in einem Krankenhaus? Was macht ein menschengerechtes, menschenfreundliches Krankenhaus aus? Dieser Frage sind wir am „Internationalen Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen“ (ifz) in Salzburg nachgegangen. Diese Frage entspricht dem ifz, das „Wissenschaft für Menschen“ betreiben will, also forschen „as if people mattered“, „weil es um Menschen geht“. Mit diesem Anliegen, den Fragen der Menschen zu dienen, haben wir am ifz auch einen Gesundheitsschwerpunkt eingerichtet, der sich mit Fragen an der Schnittstelle von Gesundheitswissenschaft und Ethik beschäftigt.
Das vorliegende Buch ist unter Mitarbeit von Gunter Graf und Gottfried Schweiger entstanden, die Literatur gesichtet und Interviews geführt haben. Wir haben uns in der Methode darum bemüht, nicht nur am Schreibtisch zu sitzen, sondern auch mit Menschen zu reden. So sind in dieses Buch auch Anliegen und Einsichten von Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Gesprächsrunden und Fachgesprächen des ifz eingeflossen.
Wir danken allen, die an der Entstehung des Buches mitgeholfen haben, den Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern, dem Team am ifz und dem Styria-Verlag, namentlich Elisabeth Wagner für das sorgsame Lektorat.
Salzburg, im Sommer 2013
EINLEITUNG
Ethik im Krankenhausalltag
In seinem berührenden Buch „Im Himmel warten Bäume auf dich“ schildert Michael Schophaus die Krankheit und das Sterben seines Sohnes Jakob, der im Alter von zwei Jahren an Krebs erkrankte. Die junge Familie lebte bis dahin in einer Welt, in der „nur die anderen“ Krebs haben. Und mit einem Mal wurde das Krankenhaus zum Alltag, der Krankenhausalltag zur Lebensaufgabe. Michael Schophaus schildert sich selbst als ungeduldigen Menschen, der angesichts seines schwer kranken Kindes wenig Verständnis für das Personal im Krankenhaus zeigen kann und will. Der Oberarzt, der sich ständig entschuldigen lässt, stellt ebenso eine nervliche Belastung dar wie Bettenmangel, Zeitnot, Raumnot oder eine unbedachte Bemerkung eines mitleidvollen Arztes bei der Chemotherapie: „Haben Sie noch andere Kinder?“ Zur notwendigen Belastung wird der Krankenhausalltag natürlich auch für den zweijährigen Patienten.
„Hier eine Spritze und dort ein Verband … Nur selten gab es Antworten, wenn ihn die Ärzte etwas fragten, denn sein Misstrauen wuchs mit dem Tumor … und wenn es ihm bei der Visite zu viel wurde, wenn die weißen Kittel wichtig und dicht gedrängt ums Bettchen standen, legte er sich einfach auf die andere Seite und schloss die Augen. Stellte sich tot, bis es wieder ruhiger wurde, bis er sich sicher wähnte in seiner kleinen Welt.“1
Eine kleine vertraute Welt mit Regeln, Regelmäßigkeit und Rhythmus schafft Geborgenheit – das ist eine Funktion wiederkehrenden Alltags. Auch im Krankenhaus gibt es solche Regelmäßigkeiten: Alltag inmitten des Ungeheuerlichen einer schweren Krankheit. Und auf diesen Alltag kann man sich auf verschiedene Weisen einlassen. Michael Schophaus schreibt davon, wie er mit seinem Sohn die Ärzte eingeteilt hat „in gute und schlechte, in nette und blöde, in arrogante und nahbare Gesellen“.2 Im Laufe des Berichts stellen sich zwei Eigenschaften als Schlüssel heraus: Fürsorglichkeit und Ernsthaftigkeit. Nicht kumpelhafte, das Leiden bagatellisierende und geschwätzige Ärzte, nicht überambitionierte Ärzte, die den Eindruck vermitteln, dass ihre Forschungstätigkeit wichtiger als alles andere sei, nicht die Eitlen und die Arroganten bestanden die Prüfung durch Michael und Jakob Schophaus, sondern die guten Zuhörer, die selbstverständlich Fürsorglichen, die Ernsthaftigkeit und Sicherheit ausstrahlten. Das ist eine Frage der Charakterbildung, eine Frage der Werte, eine Frage der strukturellen Rahmenbedingungen. Man könnte sich an John Hatties Forschungen aus der Bildungswissenschaft erinnert fühlen: Die mit Abstand wichtigste Variable im Unterricht ist die Person der Lehrerin oder des Lehrers mit den Fähigkeiten, ein gutes Klima zu schaffen, den Schüler/inne/n Respekt entgegenzubringen und persönliches, spezifisches Feedback zu geben. Ist es im medizinischen Bereich grundsätzlich anders?
Auch Kleinigkeiten spielen eine Rolle, „details matter“. Der japanische Schriftsteller Haruki Murakami hat nach dem Nervengasanschlag auf die U-Bahn in Tokio im März 1995 Interviews mit Opfern geführt. In einem Gespräch mit Toshiaki Toyoda, einem Angestellten der U-Bahn, sagte ihm dieser, dass Terrorismus von einem gesellschaftlichen Klima der Achtlosigkeit, wie er es täglich beobachten könne, genährt werde:
„Wenn man wie ich täglich mit so vielen Fahrgästen zu tun hat, erkennt man das. Es ist eine Frage der Moral. Wenn man auf dem Bahnhof arbeitet, bekommt man die Menschen von ihrer negativsten Seite zu Gesicht. Zum Beispiel: Es gibt Leute, die, wenn wir gerade den Abfall zusammengefegt haben, eine Kippe oder ein Stück Papier genau auf die Stelle werfen. Es gibt zu viele, die, statt Verantwortung zu übernehmen, nur an sich selbst denken.“3
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