Die Männer lächelten müde, kannten den Spruch wohl schon. Man verabschiedete sich freundlich.
Carlo fragte Georg: Wo wohnst du?
Dom-Hotel !
Gute Wahl, sagte er und im Hinausgehen: Man sieht sich.
Den Gruß an seine Frau und den Dank für die Einladung schien er schon nicht mehr zu hören. Für einen Moment setzte sich Georg noch einmal nieder, goss sich den Rest aus der Rotweinflasche ein und zog erneut sein kleines Heft aus der Tasche. Irgendetwas wollte er aufschreiben, einen Gedanken aus dem Gespräch. Aber er hatte ihn vergessen. Er steckte sein Heft wieder ein, zog seine Lederjacke an, wand sich den Schal um den Hals, nahm seine Mütze in die Hand und verabschiedete sich von dem Wirt.
Der Grater lag unter einem dünnen Nebelschleier, der von der Weihe herüberzog und die Lichter vor den Lokalen mit einem glitzernden Hof umgab. Dazwischen bewegten sich schemenhaft Gestalten, wie in einem Schattenspiel.
Im Hotel angekommen, griff sich Georg im Vorbeigehen seinen Zimmerschlüssel, den die Nachtdame bei seinem Erscheinen in der Windfangtür umsichtig auf den Tresen gelegt hatte, und begab sich zum Fahrstuhl, der gerade offen stand. Ihm schien, er habe soeben erst den Knopf gedrückt, als die Etagenanzeige auf vier stehen blieb und die Glastür, begleitet von einem Klingelzeichen, fast geräuschlos in der verspiegelten Seitenwand verschwand. Der dicke Teppichbelag auf dem Flur schluckte jeden Schritt. Auch mit harten Sohlen und gewollt festem Auftreten würde er sein Zimmer erreichen, als ob er schliche. Er steckte seine Karte in den Schlitz des Türaufsatzes, ein leises Klicken, der Drücker senkte sich unter seiner Hand und öffnete die Tür. Im gleichen Moment sprang das Licht in Flur und Schlafraum an. Wie sympathisch, dachte er, kein Tasten nach einem Schalter, eine gute Erfindung für ängstliche Menschen wie ihn, die im Dunkeln misstrauisch werden. Er legte Jacke und Mütze ab und lümmelte sich vor den Fernseher. Aber alle Programme schienen sich verabredet zu haben, ihn mit Langeweile zu strafen. Er entschied sich für das Bett, konnte dann aber doch lange nicht einschlafen.
Bilder tauchten auf, angeregt von seiner morgigen Begegnung.
Er wartet neben der Diesellok an der Treppe und sieht, wie sie sich mit einem riesigen Koffer aus dem Zug quält. Er will ihr zu Hilfe eilen, aber da steht sie schon auf dem Bahnsteig, entdeckt ihn und lacht ihm mit knallroten Lippen entgegen, dabei wischt sie sich mit einer theatralischen Geste den imaginären Schweiß von der Stirn. Jahrelang haben sie nichts voneinander gehört, allenfalls übereinander. Einmal kommt ein Foto: Katharina, auf der Treppe sitzend, neben einer blühenden Rose in ihrem kleinen verwilderten Gärtchen. Alles Gute zum Neuen Jahr! Er bedankt sich artig, aber den stillen Wink übersieht er. Dann eines Tages ein Anruf.
Hallo, Herr Weber, ich bin nächste Woche in Ihrer Stadt. Ich würde Sie gern mal wieder sehen. Mögen Sie?
Ja, er mag.
Wo werden Sie denn wohnen?
Ich habe mir ein Zimmer in der Westvorstadt gemietet. Vielleicht haben Sie ja Lust, mich vom Bahnhof abzuholen und da hinzufahren. Bei der Gelegenheit machen wir ein Treffen aus.
Nun steht er einer mehr als verlegenen Katharina Stein gegenüber, die mit einem Schwall von Nebensächlichkeiten ihre Aufregung wegzureden bemüht ist. In allem, was sie erzählt, findet er nichts, worauf er weiterführend reagieren könnte. Er nimmt sich des mächtigen Koffers an, zerrt ihn die Stufen herab und quält ihn auf der anderen Seite wieder hinauf. Sein Auto steht im Parkverbot direkt vor dem Bahnhof. Niemand nimmt Anstoß. Als er das Hauptgepäck in den Kofferraum gewuchtet und das übrige auf den Hintersitz geworfen hat und beide selber im Auto sitzen, schauen sie sich zum ersten Mal richtig in die Augen. Ihm stockt der Atem. Unter ihren dunklen Augenbrauen schauen ihn leuchtende, wasserblaue Augen wissend an. Er startet und bittet sie, sich anzuschnallen. Unterwegs macht er den Vorschlag, sie solle doch lediglich ihr Quartier inspizieren und ihren Koffer abstellen, dann wolle er sie gleich mit zu sich nehmen, wo er ein kleines Mittagessen vorbereitet habe. Sie ist einverstanden. An ihrem Quartier angekommen, besteht sie darauf, den Koffer allein ins Haus zu rollen. Er wartet im Wagen.
Nettes Zimmer , sagt sie, als sie wenige Minuten später wieder im Auto sitzt. Hier, das ist für Sie . Dabei reicht sie ihm ein Päckchen, das sich wie eine Pralinenschachtel anfühlt, in eine Art Packpapier gewickelt und mit einem Strick verschlossen. Neugierig schaut er sie an. Sie zuckt mit den Achseln.
Er öffnet die Wohnungstür und lässt sie als Erste eintreten. Wie in einen Tempel tritt sie über die Schwelle. Vorsichtig setzt sie einen Fuß vor den anderen, als befürchte sie, auf etwas Heiliges zu treten. Ihr Blick wandert die Wand des langen Korridors mit den Bücherregalen entlang.
Wow , sagt sie. Das hätte ich nicht gedacht .
Dass es bei mir auch Bücher gibt , fragt er.
Nein, diese Ordnung! So müsste es bei mir einmal aussehen. Ich engagiere Sie für ein Wochenende zum Ordnen meiner Bibliothek .
Er willigt ein.
In der Küche stehen Pellkartoffeln und Spargel bereit. Beides hat sich auf der Platte und unter Folie einigermaßen warmgehalten. Aus dem Kühlschrank holt er den bereits auf einen Teller drapierten Schinken.
Oh, Spargel mit Schinken, das habe ich noch nie gegessen .
Sie werden sehen bzw. schmecken, wie gut das zueinanderpasst. Bei uns isst man das so. Sie können auch noch ein bisschen Hollandaise dazubekommen, allerdings nicht selbst gemacht.
Sie nimmt an seinem Küchentisch Platz und schaut sich ausgiebig um.
Hier gefällt es mir , sagt sie. Das viele Licht, der quadratische Raumschnitt, die Einrichtung – alles ganz nach meinem Geschmack . Und dann, als hätte sie sich zu weit vorgewagt, folgt eine etwas plumpe Einschränkung: Aber die postmoderne Wanduhr fällt für meine Begriffe etwas aus dem Rahmen.
So? Er schaut sie an. Sie weicht seinem Blick aus, greift zum Besteck und sagt, indem sie sich Kartoffeln auffüllt: Ich darf doch ?
Sie essen schweigend, nur ab und an treffen sich ihre Blicke.
Und dann geschieht etwas Unerwartetes.
Ich schwitze , sagt sie, erhebt sich, fragt nach der Toilette und verschwindet. Als sie wieder heraustritt, scheint ihm, ihre Lippen seien soeben neu lackiert worden. Vor allem aber bemerkt er, dass durch ihre Bluse die Knospen ihrer Brüste deutlich hervorstechen.
Sie muss ihren Büstenhalter abgestreift haben, denkt er.
Sie nimmt wieder Platz und fragt provozierend : Und was gibt’s als Kompott?
Er steht auf und sagt: Ich bin auf alles vorbereitet.
Er will an ihr vorbei in die Kammer gehen, um sein letztes Glas Quitten zu holen.
Schlagsahne dafür steht bereits fertig im Kühlschrank. Da berührt er im Vorübergehen wie versehentlich mit der Hand ihre Schulter. Sie zuckt zusammen und schaut zu ihm auf. Und dann geht alles in Sekundenschnelle. Sie erhebt sich und wölbt sich ihm entgegen, er nimmt ihren Kopf in die Hände und küsst sie auf Stirn und Wangen, dann auf den Mund. Sie öffnet ihre roten Lippen. Er dringt mit seiner Zunge in ihn ein und kämpft mit der ihren, indessen seine linke Hand ihre Brust ertastet und beginnt, ihre Bluse aufzuknöpfen. Ihre Hände wandern tiefer, fassen seinen Gürtel und zerren den Riemen aus der Schnalle. Er hört, wie sie den Reißverschluss nach unten zieht. Während er sie in Richtung seines Schlafzimmers schiebt, fallen Stück für Stück alle Sachen zu Boden, bis sich beide nackt auf sein Bett werfen und hitzig lieben. Sie stöhnt auf, lässt die Arme zur Seite sinken und schließt die Augen. Er sucht mit seinen Lippen ihre straffen Brüste und gleitet schließlich neben ihr aufs Laken. Wie lange sie so liegen bleiben, will er gar nicht wissen. Er nimmt nur wahr, dass es bereits zu dämmern beginnt, als sie erwachen und sich in ihrer Nacktheit gegenseitig betrachten. Sie juchzt auf, er lacht, und dann fällt sie über ihn her und lässt ihn so schnell nicht wieder los. Irgendwann sammeln sie ihre Garderobe wieder auf, die über den Gang verstreut liegt, und treffen sich im Bad wieder. Ohne ein Wort darüber zu verlieren, machen sie sich fertig, steigen ins Auto und holen den Koffer aus dem Mietzimmer. Sie zahlt den Preis für die Woche, und er wuchtet noch einmal den riesigen Kasten in seinen Kofferraum. Diese Woche wird er ihr Gastgeber sein, was auch immer sie sonst noch im Schilde führt. Und sie scheint diese Lösung als die einzig denkbare zu betrachten. Es wird eine Flitterwoche ohne Hochzeit.
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