Ihre individuellen Stärken zum Ausgangspunkt der Coachingarbeit zu machen, ist unser methodischer Ansatz. Dass wir auf den folgenden Seiten dennoch ein spezielles Setting etwas genauer betrachten, liegt an den vielen Gesprächen, die wir seit Frühjahr 2020 mit unseren Klienten und Partnern führen.
Denn das Corona-Virus hat nicht nur unser aller privates, sondern auch das berufliche Miteinander auf den Kopf gestellt. Videobotschaften ersetzen plötzlich Mitarbeiterversammlungen, virtuelle Konferenzen die persönlichen Treffen von (analogem) Angesicht zu Angesicht. Angestellte machen ihr Home zum Office, Geschäftsführer, Vorstände, Team- und Projektleiter verzichten auf unzählige Flugmeilen und treffen sich stattdessen im Netz. Digitalisierung im Zeitraffer. Gefühlt kommt kaum eine Nachrichtensendung mehr ohne das Wort »Videokonferenz« aus. Frau Merkel trifft sich dort mit Herrn Macron, Minister Altmaier mit den Wirtschaftsexperten, der Virologe mit Unternehmenssprechern aus aller Welt.
Als Kommunikationstrainer bekommen wir eine Frage immer häufiger gestellt: »Was gilt es zu beachten, um in den nun ständig stattfindenden Videokonferenzen überzeugend aufzutreten?« Oder, allgemeiner ausgedrückt: Kann dieser »zu beherrschende Raum«, über den wir im vorherigen Kapitel gesprochen haben, auch ein virtueller sein? Ist es überhaupt möglich, dort Executive Presence sichtbar zu machen? Oder verschwimmen die Stärken einer Persönlichkeit nicht sowieso in den winzigen Fenstern meines Laptops?
Stimme / Sprache, Haltung, Struktur und sogar Gestik und Mimik entwickeln durch die Verdichtung oft sogar eine größere, positive Kraft, allerdings werden Schwächen auch schonungsloser aufgedeckt.
Wir verzichten auf jeglichen dramatischen Spannungsaufbau und sagen: Nein, tun sie nicht, im Gegenteil: Stimme / Sprache, Haltung, Struktur und sogar Gestik und Mimik entwickeln durch die Verdichtung oft sogar eine größere, positive Kraft, allerdings werden Schwächen auch schonungsloser aufgedeckt. Und ja, Präsenz lässt sich auch online erzielen; in der Regel mit durchaus vergleichbaren Tools, wie sie auch für alle anderen Settings eingesetzt werden können.
Angelehnt an unsere vier Bausteine für sichtbare Präsenz ( Teil B) werfen wir auf den folgenden Seiten daher einen Blick auf die Chancen und Risiken der Kommunikation im virtuellen Raum. Unser Ziel ist es – ohne dabei zu sehr ins Detail zu gehen –, Ihnen zu einem selbstverständlicheren, authentischen Auftreten zu verhelfen und Ihnen darüber hinaus den einen oder anderen Gedanken an die Hand zu geben, wie Sie als Führungskraft eine »Videokonferenzkultur des Integrierens« (statt Isolierens) etablieren können.
Vorab einige Stichworte zur erforderlichen Vorbereitung jeder Videokonferenz – mit diesem zentralen Grundgedanken:
Ob Homeoffice oder Meetingraum – für die Dauer der Videokonferenz ist Ihre Umgebung Ihr Studio
Daher sollten Sie alle Vorbereitungen treffen, die auch in einem echten Studio getroffen werden – angefangen bei der richtigen Ausleuchtung. Tageslicht ist meistens eine gute Wahl, solange Sie sich nicht mit dem Rücken vor das Fenster setzen (Schattenmann-Effekt). Von Fotografen und Kamerakollegen hört man gerne den Satz »Vordergrund mach Bild gesund« – in Videokonferenzen sollten Sie aber auch den Bild- Hintergrund nicht vernachlässigen. Er sollte möglichst neutral und »aufgeräumt« sein, dadurch nicht von Ihren Aussagen ablenken und vor allem keine unerwünschten Botschaften senden. (Die Kraft des Bildes: Nach einem ZDF-Interview mit Friedrich Merz wurde in verschiedenen Medien vor allem über die Proseccoflasche im Regal hinter ihm gesprochen. 6) Sind Sie regelmäßig in Videokonferenzen unterwegs, empfiehlt sich eine feste, definierte Position für Laptop / Hintergrund, das spart Vorbereitungszeit. Leitung, Ton und Bild unbedingt vorher (!) testen; die Technik ist Mittel zum Zweck und sollte nicht zum Diskussionsgegenstand werden. Geht während der Datenübertragung doch einmal etwas schief (Netzstörung, Leitungsprobleme, Tonpannen), sprechen Sie dies offen an. Ein oder zwei Testdurchgänge können helfen, Ihre Konzentration weg von der Technik und den ungewohnten Begleitumständen, hin zu Ihren eigentlichen Botschaften zu lenken.
In Telefon- und Videokonferenzen spielt der Ton eine entscheidende Rolle. Alle möglicherweise auftretenden Störgeräusche sind daher zu vermeiden (konkret: Bürotür abschließen, Telefone ausschalten). Insbesondere Geräusche, die sich aus dem Bildausschnitt nicht erschließen (läuft da etwa die Waschmaschine?) und die der Betrachter nicht zuordnen kann, wirken irritierend. Ein klickender Kugelschreiber macht eine Botschaft möglicherweise unhörbar, denn anders als das menschliche Ohr filtert das Mikrofon die unwichtigen, störenden Geräusche nicht heraus. Sprudelndes Mineralwasser oder eine knisternde Kekspackung? Keine gute Idee. Und schließlich gilt, wie bei jedem echten Studioauftritt, auch im Homeoffice: Schweißperlen auf der Stirn (durch zu helle / warme Lampen, Anspannung, schlechte Luft) zu kaschieren, ist kein Beleg für Eitelkeit, sondern für Professionalität. Wer bei seinen eigenen Argumenten – im wahrsten Sinne des Wortes – ins Schwitzen kommt, liefert kein überzeugendes Bild. Es muss nicht gleich die Visagistin kommen, ein trockenes Küchentuch und etwas Puder – ja, auch für die Herren der Schöpfung – helfen bereits.
Und damit sind wir bei unseren »Big Four der Präsenz«. Welche Rolle spielen Struktur, Haltung, Sprache / Stimme und Körpersprache in der Videokonferenz?
Stichwort Struktur: Ohne sie versinkt jede Videokonferenz im Chaos
Teilnehmer brauchen oft sehr viel mehr Konzentration, um einer Konferenz am Bildschirm zu folgen. Umso wichtiger ist es, die einzelnen Wortbeiträge kurz, klar und strukturiert zu halten. Ansonsten laufen Sie Gefahr, dass Ihre Botschaften untergehen.
Für die Konferenzleitung gilt es, jeden Teilnehmer abzuholen und mitzunehmen und immer wieder klare Orientierungspunkte zu setzen (»Bisher haben wir besprochen«, »Wir sind jetzt an dieser und jener Stelle«). Wer einmal den Anschluss an die Diskussion verliert und draußen ist, kommt nur schwer wieder hinein.
Lieber einmal zu viel als zu wenig: Zwischenfazits und Ergebnisse deutlich vernehmbar zusammenfassen, Ausblicke geben. Das gilt für Sie als Teilnehmer einer Konferenz, insbesondere aber, wenn Sie die Leitung innehaben.
Schaffen Sie aktiv Absätze und auch den (Zeit-)Raum, in dem Teilnehmer ein paar Sekunden über eine Antwort nachdenken können.
Wichtiges Strukturelement jedes Vortrages und jeder Präsentation sind: Pausen. In Videokonferenzen wird deren Bedeutung allerdings oft sträflich vernachlässigt. Schaffen Sie aktiv Absätze und auch den (Zeit-) Raum, in dem Teilnehmer ein paar Sekunden über eine Antwort nachdenken können. Gerade Stille brauchen Stille – sonst bleiben sie stumm. Und so gehen oft wertvolle Anregungen verloren.
Pausen sind in jedem Setting entscheidend, wenn es darum geht, die wichtigen Aussagen zu betonen. Sie strahlen damit Ruhe und Souveränität aus. Auch im Rahmen einer Videokonferenz kann es ein starkes Stilmittel sein, nach einer zentralen Botschaft einen kurzen Moment nichts zu sagen.
Und ein letzter »Pausen-Hinweis«: Planen Sie auch eine kurze Auszeit zwischen zwei Videokonferenzen ein. Von einer virtuellen Konferenz pausenlos in die nächste zu springen, wird Ihnen langfristig nicht guttun.
Zur Struktur gehört auch die Absprache über Redeanteile und Reihenfolge. Von einem unverständlichen Durcheinander profitiert niemand, dafür ist Ihre Zeit zu schade. Planen Sie bei einer Konferenz mit mehreren Teilnehmern einen Moderator ein, dessen Aufgabe es ist, Struktur zu geben und Redebeiträge zu kanalisieren.
Читать дальше