Aus eigener Ratgeber-Leseerfahrung wissen wir, dass man gerne auf einen Praxistest verzichtet und erst einmal nur lesen, lesen, lesen will. Kein Problem – das Buch »funktioniert« auch ohne diese erste Videoübung. Wir empfehlen sie trotzdem – und zwar aus folgenden Gründen:
1.Es ist Ihre letzte Gelegenheit, sich unbelastet und ohne theoretischen Input auszuprobieren. Wie tun Sie es unverkopft ? Was ist Ihr Stil in der freien Präsentation? Wie halten Sie einen Vortrag, wenn man Sie jetzt darum bittet?
2.Das produzierte Handyvideo wird Ihnen bei der weiteren Lektüre viele Aha-Momente bescheren. Wenn es um Ihre Stimme geht, um Variationen, Lautstärke und Präsenz, um Gestik und Mimik, um Ihr Sprechtempo, um Pausen, Punkte, Absätze und so weiter: Immer dann werden Sie das Video anschauen und sich selbst prüfen können – und sich auf diese Art ein sehr viel konkreteres Feedback geben.
3.Sie sind von der ersten Sekunde an aktiv. Ein Phänomen, das für das Thema Haltung eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt, wie wir später erläutern werden.
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Smartphone-Übung 1: »Videocheck. Die Begrüßungsmoderation in 60 Sekunden« |
In Hamburg ernteten wir mit dieser Aufgabe kürzlich Kopfschütteln von einem der Teilnehmer: »60 Sekunden? Ich sag Moin, dann bin ich fertig.« Andere wiederum brauchen weit mehr als diese eine Minute, um nur den ersten Satz zu beenden. Wie gesagt, ein sehr individuelles Thema. Versuchen Sie, sich dieser Minute anzunähern, ohne streng nach der Uhr zu schauen. Es geht weder um die sekundengenaue Punktlandung noch um ein cineastisches Meisterwerk; es geht um einen ungeschminkten ersten Eindruck. (Ohne zu weit vorzugreifen: Für Ihre grundsätzliche Vorbereitung ist es wichtig, diese kurzen Zeitspannen immer mal wieder zu trainieren, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie lang 15, 30 oder 60 Sekunden sind. Gerade in Hinblick auf Ihre Kernbotschaften in den engen Zeitfenstern der diversen Medien.)
Schritt 1: Technische Vorbereitung (2 Minuten)
Platzieren Sie Ihr Smartphone in einem Abstand von zwei bis drei Metern so auf einem Stativ, dass Sie als ganze Person (inkl. Ihrer Füße) zu sehen sind. Alternativ können Sie das Smartphone so ausrichten, dass Sie in der »amerikanischen Einstellung« zu sehen sind. Diese Einstellung wurde oft in Western verwendet und zeigt die Cowboys mitsamt ihrem Colt, also etwa von den Knien aufwärts. Bitten Sie eventuell einen Freund oder Kollegen, das Smartphone zu halten, und achten Sie auf eine ruhige Umgebung, ohne laute Störgeräusche.
Schritt 2: Definieren Sie Setting und Zielsetzung anhand folgender Fragen (5 Minuten)
A) Welches Publikum stelle ich mir vor? Wer hört mir eigentlich zu?
B) Was sind das konkrete Thema und der Anlass meiner Begrüßung?
C) Warum spreche ich – oder auch: Was will ich mit meiner Rede erreichen?
Zur Inspiration einige Settingbeispiele
–Bei einem Town Hall Meeting heißen Sie Ihre Mitarbeiter / Kollegen willkommen und geben einen kurzen Überblick über den Tag.
–Sie eröffnen als Gastgeberin einen Fachkongress und machen neugierig auf die geplanten Programmpunkte.
–Beim offiziellen »Tag der offenen Tür« begrüßen Sie die Gäste, die sich für Ihr Unternehmen interessieren.
–Sie treffen einen potenziellen neuen Geschäftspartner und es kommt zum klassischen Elevator Pitch: Was machen Ihr Unternehmen und Ihr Bereich eigentlich konkret?
–Zum 75. Geburtstag Ihrer Schwiegermutter halten Sie die feierliche Eröffnungsrede vor der versammelten Großfamilie.
Anmerkung: Das Setting ist frei wählbar; es geht nicht um inhaltliche Details, sondern darum, wie Sie sich -präsentieren und eine Botschaft kommunizieren .
Schritt 3: Struktur: Ihr »60-Sekunden-Skript« (10 Minuten)
Nachdem Thema, Anlass, Publikum und Ziel definiert sind, können Sie sich mit der Redestruktur beschäftigen. Führen Sie sich die Situation vor Augen und machen Sie sich Notizen auf einer Karteikarte. Sie erhalten so ein Stichwortmanuskript Ihrer Begrüßungsworte.
Schritt 4: Die Videoaufnahme (3 Minuten)
Legen Sie die Stichwortkarte beiseite (Sie brauchen sie nicht. Auch nicht zum Festhalten – dazu später mehr). Starten Sie die Aufnahme und gehen Sie auf Ihre Bühnenposition. Beginnen Sie mit Ihrem Vortrag erst dann, wenn Sie sich bereit fühlen. Ob Sie Ihren Blick in die Kameralinse richten oder hin zu einem imaginären Publikum, spielt in dieser ersten Übung keine Rolle.
Top! Sie haben die letzte Chance genutzt, ohne unseren Input einen Status quo Ihrer Kamerawirkung zu produzieren. Eine Art »Aircheck«, der für alle professionellen On-air-Reporter und Moderatoren ein selbstverständliches Feedbackinstrument ist. Betrachten Sie nun Ihre Präsentation: Was fällt Ihnen auf, was gefällt Ihnen gut und was nicht? Gibt es etwas, von dem Sie noch gar nicht wussten, dass Sie es tun? Machen Sie sich Stichworte und speichern Sie Ihre Aufnahme. Während der Lektüre werden Sie immer wieder einen Blick auf Ihre Präsentation werfen und sie jedes Mal neu, mit anderen Augen sehen.
KAPITEL 1
Executive Presence zu haben reicht nicht. Es gilt, sie in den entscheidenden Momenten sichtbar zu machen
Viele Führungskräfte aus dem Top-Management bringen eigentlich alles mit, was sie für ein überzeugendes Auftreten in der Öffentlichkeit benötigen. Dennoch ist der erste Gedanke vor wichtigen Vorträgen, Fernsehinterviews und Videobotschaften häufig: Was muss ich korrigieren oder abschalten, wie muss ich mich »verstellen«, welcher »Bühnenmensch« muss ich werden, um die bestmögliche Figur abzugeben? Einer unserer Teilnehmer hat das einmal entlarvend offen formuliert: »Wer soll ich sein? Seriöser Finanzwissenschaftler oder spontaner Entertainer?«
Unser Vorschlag: Oft ist es eine gute Idee, möglichst viel von sich selbst zu sein. Denn es gibt nicht die eine Form der Executive Presence . Was es aber sehr wohl gibt, sind Bausteine, die dafür sorgen, dass Ihre individuellen Stärken in den entscheidenden Momenten sichtbar werden. Rhetorik, Körpersprache, Stimme, Haltung , Empathie, Präsenz und die Klarheit der Argumente entscheiden letztendlich darüber, ob eine Botschaft nur ausgesprochen wird oder ob sie beim Gegenüber wirklich ankommt und dadurch ihre kraftvolle Wirkung entfalten kann.
1.1 Okay, es gibt Blackouts. Vor allem aber gibt es verschenkte Chancen
Wenn man sich als Kommunikationstrainer nach fast 15 Jahren noch an eines seiner allerersten Coachings erinnert, hatte man seitdem entweder sehr wenige Aufträge, oder es muss etwas wirklich Außergewöhnliches geschehen sein. Damals dachten wir zumindest noch, einem seltenen Phänomen auf der Spur zu sein, mittlerweile wissen wir: Wir waren Zeuge eines Managementschicksals, das sehr viele Top-Führungskräfte miteinander teilen, wenn es in die öffentliche Kommunikation geht.
Wir befanden uns im Konferenzraum eines internationalen Finanzinstituts und hatten unser mobiles Fernsehstudio aufgebaut. Drei Scheinwerfer waren bereits installiert, der Kameramann hatte die Kamera geschultert und ein weiterer Kollege verkabelte unsere Teilnehmerin mit einem Ansteckmikrofon. Durch die bodentiefen Fenster konnten wir die leuchtenden Türme der Frankfurter Skyline sehen. Unsere Kundin: Bereichsleiterin, Anfang 40, kurze, blonde Haare, Hosenanzug, Brille, freundlich und offenherzig. Wir waren noch am Anfang unserer Session und wollten nach einem kurzen Vorgespräch mit der ersten Interviewübung beginnen. Nichts Kompliziertes, kein heikles Krisenszenario, ein harmloses »Level 1«-Interview über den Status quo im Unternehmen, die Ziele der Bank und ein konkretes Event im kommenden Monat. So zumindest war der Plan.
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