Dass vor allem Frauen diese Art des „Entertainments“ mieden, war nur allzu verständlich. Dann lieber Kreuzworträtsel oder Gardinenwaschen. Fußball war kein Vergnügen. Wenigstens nicht in Deutschland. Es war harte Arbeit. Was nicht passte, wurde passend gemacht. Das Zaubern überließ man den anderen, die in der Regel „tragisch“, „unglücklich“ und „unverdient“ ausschieden.
Bis Klinsmann und Löw kamen. Seit ihrem Amtsantritt im Sommer 2004 wird auch in Deutschland Fußball GESPIELT. Das ist hübsch anzuschauen. Ein wenig Fantasie genügt – man stellt sich einfach vor, die Trikots wären gelb statt weiß –, und schon hat man die Illusion, Brasilien wirbelte auf dem Feld. Ende gut, alles gut.
Oder auch nicht. Denn der alte deutsche Fußball verlangte Demut und Unterwerfung. Man legte sein Schicksal in die Hände (= Füße) von Menschen, die damit offenkundig überfordert waren. Das eigene Seelenheil von der Ballbehandlung eines Horst Hrubesch, Jens Jeremies oder Carsten Jancker abhängig zu machen, setzte ein quasi-religiöses Vertrauen voraus. Selbst Atheisten entdeckten die Kraft des Stoßgebets („Oh Gott!“, „Herr im Himmel!“, „Jesses Maria!“), wenn das störrische Leder sich wieder mal den Zähmungsversuchen deutscher Fußarbeiter widersetzte. Wie schafften es die Spieler anderer Mannschaften bloß, den Ball anzunehmen, ohne dass dieser drei Meter versprang?
Doch dann geschah tatsächlich das Wunder: Der Fußballgott hatte ein Einsehen und belohnte all jene, die immer wieder ausgeharrt hatten, mit magischen Momenten. Dann setzte Klaus Fischer zum Fallrückzieher an, oder Guido „Diego“ Buchwald entdeckte den Maradona in sich und schlug die Flanke seines Lebens. Ehe im nächsten Spiel das Martyrium von vorn begann und wieder Demut verlangt war.
Der neue deutsche Fußball verlangt gar nichts. Er ist wie 90 Minuten Popcorn-Kino: beste Action, klasse Spezialeffekte, und am Ende triumphieren meist die Guten. So was gefällt selbst Leuten, die zwischen WM und EM nie auf die Idee kämen, sich ein Spiel anzuschauen. Fußball ist in der Spaßgesellschaft angekommen, mit der Weltmeisterschaft als ihre Loveparade – wir schalten rüber zum Public Viewing.
Zeitgeistentdeckung Nr. 6:
Der Preis der Spaßgesellschaft: Selbst der Fußball ist zu schön geworden. Er macht es einem viel zu leicht, verlangt keine Opfer mehr .
Zum Weiterschauen
Die Fussball-WM Klassikersammlung, Nr. 23: Viertelfinale 1986, Deutschland - Mexiko 4:1 n. E. Das Spiel in voller Länge . (Herausgeber: Bild am Sonntag)
Der Star – ein armes Würstchen
Wie Bunte, Gala & Co. den Starkult ruinieren
Das Zeitalter der Stars ist vorbei. Daran tragen jene Schuld, die deren Privatleben rund um die Uhr ausleuchten.
Archibald Alexander Leach war ein Scheusal ersten Ranges. Exfrauen, die sich wegen seelischer Grausamkeit von ihm scheiden ließen, gaben vor Gericht zu Protokoll, er habe sie geschlagen, neige zur Tobsucht, trinke zu viel und sei meist mürrisch und missmutig. Dieser rundum unsympathische Herr Leach hatte wenig gemein mit dem sanftmütigen Gentleman Cary Grant. Und doch waren beide dieselbe Person. Nur bekam die Öffentlichkeit von der unschönen Seite ihres Stars praktisch nichts mit. Wenn Cary Grant selbstironisch anmerkte, „Jeder will Cary Grant sein, sogar ich“, steckte dahinter die Einsicht, dass sein Image alles überdeckte. Wen interessierte die Wirklichkeit, wenn das Abbild derart attraktiv war!
Heute wäre eine solche Fassadenmalerei undenkbar. Seitdem eine ganze Industrie davon lebt, die Intimsphäre von Stars öffentlich zu machen, ist Mythenbildung unmöglich geworden. Das freut Bunte und Gala, Exklusiv und Brisant – und ärgert Kinogänger und Musikhörer. Denn Populärkultur lebt von der Illusion, in eine andere Welt einzutauchen. Wenn Robert De Niro den Abstieg eines Boxers glaubhaft darzustellen vermochte, dann lag dies nicht nur an seiner Schauspielkunst. Das Ganze funktionierte auch deshalb, weil über sein Privatleben nur wenig bekannt war. Der Zuschauer ging unvorbelastet ins Kino; er war bereit zu akzeptieren, dass De Niro ein gestörter Taxifahrer, ein erfolgloser Komiker oder der Leibhaftige persönlich sein konnte. Stars wie De Niro waren leere Flächen, auf die man alles projizieren konnte.
Davon können heutige Stars nur träumen. Angelina Jolie war mal eine unbekannte Schauspielerin, die für Durchgeknallt einen Oscar gewann. Und sie war die Frau, die aus der Computerspielfigur Lara Croft einen weiblichen Indiana Jones machte. Heute ist Angelina Jolie nur noch Teil von „Brangelina“ und ein Kinderjunkie, dessen Adoptionssucht ziemlich durchgeknallt wirkt. Auch Brad Pitt, der andere Teil von „Brangelina“, wird weniger als seriöser Schauspieler denn als Darsteller einer Dokusoap wahrgenommen, in der Jennifer Aniston – überzeugend schmollend – den Part der Sitzengelassenen verkörpert.
Was für die Filmbranche gilt, trifft auch auf die Musikbranche zu. Der Weg in die Schlagzeilen führt über die Klatschpresse. Was die Medien interessiert, sind nicht kreative Höhenflüge, sondern private Abstürze. Manchmal reichen auch Gerüchte, um einen Künstler zu erledigen. Doch die Opfer sind nicht nur die Stars, die plötzlich als Sonderling oder Charakterschwein dastehen, sondern auch wir, die Zuhörer und Zuschauer. Wer einmal – den Paparazzi sei Dank – Einblicke in Michael Jacksons Neverland-Ranch erhalten hatte, konnte danach nicht mehr unbefangen Thriller hören.
Und dass The Tourist , der erste Hollywoodfilm von Florian Henckel von Donnersmarck, am ersten Wochenende nur rund 200.000 Besucher anlockte, liegt auch an Angelina Jolie. Wir wissen zu viel über ihr Leben, als dass wir ihr die Filmrollen noch glauben würden. Die Illusionsmaschine funktioniert nicht mehr. Das Wesen auf der Leinwand, das ist keine geheimnisvolle Agentin, sondern die Frau, die demnächst Brad Pitt heiratet. Nachzulesen in Bunte .
Zeitgeistentdeckung Nr. 7:
Der Preis der Informationsgesellschaft: Wir wissen alles über unsere Stars. Aber wollen wir wirklich alles wissen?
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