Und das Unheil rückte immer näher und war schon fast auf Schußweite heran.
Als Ribault wieder über die Schulter blickte, sah er zu seiner Verwunderung, daß die große Galeone den Kurs ein wenig geändert hatte. Sie lief dichter auf die Küste zu. Den Franzosen wunderte das sehr. Die anderen reagierten ebenfalls erstaunt.
„Nun brat mir aber einer ’nen Marabu“, sagte der Profos erstaunt. „Gibt’s das auch, daß man bei vollem Preß den gesamten Besan abtakelt? Ausgerechnet den Besan, der bei einem solchen Kasten das Salz in der Suppe ist! Sind die bescheuert?“
„Das kann ich mir auch nicht erklären“, sagte Ribault. „Das tut nur ein ausgesprochener Idiot. Sie können den gewaltigen Kasten kaum noch auf Kurs halten.“
„Eben, weil sie achtern keine Segel mehr haben“, meinte von Hutten. „Da muß etwas passiert sein.“
„Jedenfalls gewinnen wir dadurch ein paar Minuten Zeit, die wir verdammt nötig haben“, sagte Higgy, der rothaarige Ire, erleichtert.
Durch die „Isabella“ ging ein leichter Ruck.
Der Anführer der Negersklaven, ein Kerl von der Größe wie Batuti, riß die Arme hoch. Sein Körper glänzte wie nasses Ebenholz, und er zeigte seine schneeweißen Zähne.
„Gleich sind wir weg!“ schrie er auf Spanisch. „Wir schaffen es bestimmt noch!“
Für die meisten mutete es wie ein Wunder an, als ein zweiter Ruck durch die Galeone ging. Gleichzeitig krängte sie auch wieder zurück.
Die Sklaven stimmten ein begeistertes Gejohle an und begannen an Deck herumzuhüpfen, als die „Isabella“ sich rührte. Ausgelassen und sorglos, als sei nun alles vorbei, tanzten sie und schrien sich die Kehlen heiser.
Karl von Hutten war mit ein paar mächtigen Sätzen am Ruder. Die anderen trimmten die Segel, und diesmal übertrafen sie sich selbst an Schnelligkeit. Jeder Handgriff saß, und ein paar Augenblicke später zeigte der Bugspriet der „Isabella“ aufs Meer hinaus.
Dogon sprang ebenfalls in langen Sätzen aufs Achterdeck und zeigte von Hutten jene Stellen, die er ausgezeichnet kannte, die man aber wegen der gleißenden Wasserfläche nicht sehen konnte. Dort gab es überall Untiefen.
Sie segelten aus der Bucht. Hinter ihnen war die „Casco de la Cruz“ bereits zu einem mächtigen Gebirge angewachsen. Sie hielt jetzt direkten Kurs auf die „Isabella“.
„Gleich werden sie feuern“, sagte Ribault. „Es kann sich nur noch um Augenblicke handeln. Hoffentlich kriegen wir noch den erforderlichen Abstand.“
Sie segelten dem Teufel wahrhaftig ein Ohr ab und mußten der Kriegsgaleone beim Verlassen der Bucht ihre empfindliche Breitseite zeigen, aber zum Glück nur für wenige bange Augenblicke, bevor sie auf Nordkurs gehen konnten.
Geschrei war von der Riesengaleone zu hören, Befehle. Sie schickten sich jetzt an, ihre Breitseiten einzusetzen und drehten ein wenig nach Backbord ab, um ein besseres Schußfeld zu haben.
Den Männern von Ribault brannten die Planken unter den Stiefeln. Auch ihnen selbst war sehr heiß zumute.
Don Julio de Vilches traf fast der Schlag, als er die Galeone näher in Augenschein nahm. Er traute seinen Augen nicht mehr, als sie aus der Bucht segelte.
An Deck tanzten ein paar Dutzend Schwarze herum. Sie sangen dazu und riefen etwas, das er nicht verstand. Aber der wilde Freudengesang war deutlich zu hören.
Seine Augen blickten bösartig und flackernd. Kalte Wut lag in ihnen. Seine Mundwinkel zitterten wieder, was bei ihm ein Zeichen äußerster Erregung war. Die Schultern waren noch mehr nach vorn gefallen. Gebeugt wie ein uralter Mann stand er an Deck. Dann öffnete sich zitternd sein Mund, als er sich an Pergoza wandte.
„Erkennen Sie den Namen des Schiffes?“ fragte er brüchig.
„Die ‚Isabella‘, Don Julio. Es ist dasselbe Schiff, das in Santa Cruz lag und von dem die beiden schwarzhaarigen Kerle stammten, die sich als Montserrat und Mallorca ausgaben.“
„Jetzt sind da Neger an Bord“, sagte der Kommandant fassungslos. „Ich verstehe die Welt nicht mehr – Neger, verdammte Neger“, setzte er abfällig hinzu, „und sie tanzen wahrhaftig. Nein, das verstehe ich wirklich nicht mehr. Es überfordert meinen Verstand. Oder ist es etwa doch nicht dasselbe Schiff?“
„Es ist dasselbe Schiff“, bestätigte der Erste verblüfft. „Es gibt keinen Zweifel daran, und es ist unverkennbar durch seine eigenwillige Bauweise mit den überlangen Masten und den vielen Kanonen, die für einen Handelsfahrer sehr ungewöhnlich sind.“
„Was tun die Neger dort?“ fragte der Kommandant. Er fühlte sich wieder mal um Jahre gealtert und verfluchte sich selbst, weil er keine Zusammenhänge mehr begriff.
„Ich weiß es nicht, wirklich nicht. Es sieht – äh – fast so aus, als hätten die schwarzen Bastarde das Schiff in ihre Gewalt gebracht. Wenn Sie gestatten, Don Julio …“
Er nahm dem reglos und wie eine Marionette dastehenden Kommandanten das Spektiv aus der Hand. Don Julio ließ das willenlos geschehen, was ihn sonst sehr erbost hätte. Er reagierte überhaupt nicht und schien an Leib und Seele gebrochen.
„Nein, sie haben das Schiff nicht in ihre Gewalt gebracht“, sagte er fast flüsternd. „Ich kann mir das auch nicht erklären, es sind auch ganz andere Leute auf dem Schiff als in Santa Cruz.“
Don Julio ähnelte jetzt einem Geier, der sich an einem übergroßen Brocken Aas verschluckt hat. Er würgte und würgte und begann schließlich laut zu husten.
„Was geht hier vor?“ rief er wild. „Ich verlange sofortige Aufklärung, auf der Stelle!“
Die Aufklärung konnte ihm niemand geben, weil die Offiziere genauso verblüfft und verdattert waren wie er selbst. So wartete er vergebens auf eine Antwort.
Dann glaubte Don Julio die Lösung des Rätsels gefunden zu haben.
„Piraten“, sagte er, „es sind Piraten. Können Sie die beiden Schwarzhaarigen irgendwo an Deck erkennen?“
„Nein, Don Julio, sie befinden sich zumindest nicht an Deck. Es sind völlig andere Kerle.“
„Dann ist mir einiges klar. Diese ‚Isabella‘ hat Boa Vista nie erreicht“, sagte er sehr bestimmt. „Sie fiel Piratengesindel in die Hände. Man hat die Männer umgebracht. Auch der Alte mit dem wettergegerbten Gesicht und der großen Halskrause ist nicht zu sehen. Es ist unwahrscheinlich, daß ausgerechnet diese Männer unter Deck sind, wenn das Schiff aus einer Bucht ausläuft. Es sei denn, man hat sie gefangengesetzt, aber auch das glaube ich nicht. Man wird sie umgebracht haben.“ In derartigen Situationen war es am besten, wenn man dem Alten nicht widersprach, auch wenn der ungereimtes Zeug von sich gab.
Er war zwar ein scharfer Denker, aber durch die Ereignisse der letzten Zeit hatte sein Gedächtnis ein wenig gelitten. Er blickte nicht mehr richtig durch und reimte sich seinen Teil zusammen.
„In welchem Zusammenhang stehen dann die Neger an Bord?“ fragte Pergoza und gab sich den Anschein, als ließe er sich gern belehren.
„Die haben sich mit dem Gesindel verbündet, sonst würden sie keine Freudentänze aufführen.“
„Das ist möglich“, gab Pergoza zu, obwohl er kein Wort glaubte. Eine bessere Erklärung hatte er jedoch auch nicht.
„Wenn das alles stimmt, Don Julio“, sagte er nachdenklich. „Wie reimt sich das dann zusammen, daß der Konvoi nicht in Boa Vista eingetroffen ist? Wenn die Portugiesen ihn wirklich nicht vereinnahmt haben, und das dürfte wohl außer Zweifel stehen, hätte es Spuren geben müssen. Aber wir haben, kein einziges Schiff gesehen.“
„Eine Verschwörung“, sagte der Kommandant mit dumpfer Stimme. „Hier ist eine weltweite Verschwörung gegen Spanien im Gange. Ihre Annahme, daß sich die Kapitäne untereinander abgesprochen haben, halte ich immer noch für durchaus möglich. Und trotzdem stimmt bei der ganzen Sache etwas nicht. Irgendwo hat sich ein Fehler eingeschlichen, der sich nicht ergründen läßt. Die Zusammenhänge gehen nicht richtig auf. Das Ganze erscheint mir wie ein unlösbares Rätsel.“
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