Und er hörte wie aus weiter Ferne Pergoza eindringlich sagen: „Mann über Bord, Don Julio.“
In Don Julio kam schlagartig Bewegung. Wütend fuhr er herum.
„Der Kerl soll zum Land schwimmen. Wir können jetzt keine Rettungsmanöver ansetzen. Er ist zu dämlich gewesen, das Bad wird ihm nicht weiter schaden.“
Der Mann hatte sich inzwischen im blasenwerfenden Kielwasser freigestrampelt und wußte wohl, daß er keine Hilfe zu erwarten hatte. Diese gewaltige Kriegsmaschine konnte nicht einfach angehalten werden, dazu bedurfte es langwieriger und umständlicher Manöver, die sich so dicht unter der Küste von selbst verboten.
So schwamm er entnervt zum Land und sah dem Heck jenes Schiffes nach, auf dem er eben noch gedient hatte. Er fühlte sich ungerecht behandelt und fluchte Don Julio und allen anderen lautstark die Knochen ab.
Da stand er nun im fremden Mauretanien und sah erbittert seinem Schiff nach, das ruhig seine Bahn zog. Zu allem Unglück hatte er auch noch einen stark lädierten und blutenden Daumen.
Sir John berührte das alles nicht. Er legte den Kopf schief und sah dem Mann nach, der mit einem wilden Aufschrei im Wasser verschwand. Das Geschrei störte ihn nicht weiter, wohl aber seine teilweise gerupften Federn, die er jetzt sehr sorgfältig zu putzen begann.
Nur einmal hob er den Kopf und öffnete den Schnabel.
„Aufgedockte Kanalratten!“ verkündete er und widmete sich erneut der Gefiederpflege.
Für Don Julio war damit das Maß aller Dinge überschritten. Dieser Vogel hatte alles durcheinandergebracht und für Aufregung gesorgt. Er hatte ihn der Lächerlichkeit preisgegeben, und ein Mann war seinetwegen über Bord gegangen.
„Was zuviel ist, ist zuviel“, sagte er, vor Wut schäumend. „Das ist kein Vogel, das ist ein Dämon. Holen Sie sofort einen Musketenschützen aufs Achterdeck, Señor Pergoza. Der Vogel wird von der Rah geschossen. Ich werde ihn mir ausstopfen lassen.“
„Ein Musketenschütze aufs Achterdeck!“ brüllte Pergoza.
Der Stückmeister setzte einen Seesoldaten in Marsch, der mit geschulterter Muskete das Achterdeck betrat und sich in diesem Augenblick fühlte, als sei er der Nabel der Welt. Er hatte wohl das Gefühl, ganz Spanien von einem lästigen Übel zu befreien und reckte die Brust unter seinem Brustpanzer gewaltig raus.
Er trat vor den Kommandanten und salutierte.
„Den Vogel abknallen!“ schrie Don Julio, dem die Zornesader auf der Stirn zu beängstigender Dicke anschwoll. „Wenn Sie ihn nicht treffen, landen Sie in der Vorpiek.“
Der Soldat salutierte wieder, ließ sich auf die Knie nieder und visierte mit der Muskete Sir John an. Der Vogel hockte jetzt dicht vor der Besangaffel.
Der Soldat, der keinesfalls in der Vorpiek landen und daher lieber einen heroischen Eindruck hinterlassen wollte, zielte so genau wie nie zuvor in seinem Leben. Er ließ sich reichlich Zeit, bis Don Julio ungeduldig von einem Bein aufs andere trat.
Er sah über Kimme und Korn, wie Sir John seinen Achtersteven vorreckte, und genau da wollte er ihm eine reinballern, denn das Ziel bot sich geradezu an.
Sir John tat es gewiß nicht mit Absicht, aber er ließ nun mal von Zeit zu Zeit etwas fallen, und jetzt war die Zeit gerade wieder da.
Das Etwas war ein großer, grauweißer Klecks und sah nicht unbedingt sehr appetitlich aus.
Der Soldat kriegte dieses Etwas genau auf die Stirn, und weil es mit großer Wucht aufklatschte, flog ihm was ins linke Auge.
Aus dem heroisch wirkenden Soldaten wurde augenblicklich ein ganz normaler Mensch, der einen Schreck kriegte und dessen linkes Auge schmerzhaft brannte.
Er verriß die Muskete in genau dem Augenblick, als er abdrückte. Sie entlud sich und spie einen Blitz aus, der von einem blauen Rauchwölkchen begleitet wurde. Der Knall war laut und dröhnend.
Dem Soldaten fiel die Muskete aus der Hand, und er fuhr sich mit der linken Hand hastig ans Auge, auf dem er nichts mehr sah.
Der Schuß hatte Folgen, denn der Bleibrocken zischte zwar noch dicht an Sir John vorbei, erwischte ihn jedoch nicht mehr.
Dafür erwischte das Bleistück die Kreuzstengepardune. Sie dröselte auf und brach mit einem peitschenden Knall.
Für den Besanmast war das nicht gerade von Vorteil, denn die Pardune verlieh ihm Halt und gab ihm Stabilität. Die Segel standen voll und übten einen gewaltigen Druck aus.
Don Julio blieb nichts anderes übrig, als zähneknirschend das Besanmarssegel aufgeien zu lassen, um den Druck etwas zu mildern. Der Besan mußte ebenfalls niedergeholt werden, ausgerechnet das Segel, das zum Manövrieren wichtig war.
An Bord war jetzt die Hölle los.
Don Julio schäumte vor Wut, ebenso der Erste Offizier. Er trat vor und stieß dem Schützen voller Zorn die Faust ins Genick. Der landete mit einem überraschten Schrei auf den Planken und blieb dort der Länge nach liegen.
Dann wurde der Rudergänger angebrüllt, weil die Kriegsgaleone aus dem Kurs lief und er den Kolderstock kaum noch halten konnte, was wiederum auf den fehlenden Besan zurückzuführen war.
„Abführen, einsperren, in Eisen schließen!“ schrie Don Julio und hielt sich mühsam zurück, um dem Schützen nicht ebenfalls einen derben Tritt zu verpassen.
Die Geschwindigkeit der Galeone nahm ein wenig ab. Der Rudergänger hatte sichtlich Mühe, sie auf Kurs zu halten.
Ein Teniente führte den Schützen ab und ging nicht gerade zimperlich mit ihm um.
„Auf halbe Ration setzen!“ brüllte Don Julio dem Teniente noch nach.
Sir John hatte von dem Gebrüll auf dem Achterdeck genug. Er kreischte ein obszönes Wort an Deck und empfahl sich flügelschlagend. Zur Abwechslung suchte er die Großbramrah in luftiger Höhe auf. Als ein paar Dons aufenterten, um dem höllischen Spuk ein Ende zu bereiten, ließ Sir John sie immer dicht heran und flog dann zum nächsten Mast. Die Spanier verzweifelten fast.
Ein Stückmeister schlug ganz ernsthaft vor, den Großmast mit einer Drehbasse unter Feuer zu nehmen, aber er erntete nur wenig Verständnis für seinen gutgemeinten Vorschlag. Ein Corporal tippte ihm daraufhin so hart an die Stirn, daß der Stückmeister nur noch Sterne sah.
Nachdem der Krakeeler das gesamte Schiff durcheinandergebracht hatte, strich er ab und nahm Kurs auf die Bucht, wo immer noch die Galeone lag.
Aber da waren die Dons mit ihren Nerven bereits am Ende.
Carberry registrierte Sir Johns Erscheinen mit einem erleichterten Seitenblick. Endlich war die Krachente wieder da.
Sie hatten einmal einen Schuß gehört, sich aber nicht weiter darum gekümmert, denn sie waren immer noch stark beschäftigt, um die Galeone von der Sandbank zu drücken.
Einmal hatte sie sich auch leicht bewegt, und ein leiser Aufschrei war durch die Reihen der Männer gegangen, aber jetzt schien sie wieder festzuliegen.
„Verdammter Mist!“ schrie Jack Finnegan. „Die Kerle rücken uns so dicht auf den Pelz, daß sie gleich feuern können, und wir haben immer noch nichts erreicht. Zum Kotzen ist das.“
Ribault und von Hutten blickten über die Schultern der heransegelnden, mächtigen Galeone entgegen.
„Gleich fliegen die Fetzen“, prophezeite von Hutten. „Die scheinen völlig aus dem Häuschen zu sein.“
Es war zu erkennen, daß auf den Decks Durcheinander herrschte. Als Grund nahmen Jean und von Hutten an, daß dort alles feuerbereit bemacht wurde. Was Sir John sich da geleistet hatte, wußten sie nicht.
Sekundenlang erwog Jean Ribault, das Schiff zu räumen, damit sich wenigstens die Männer in Sicherheit bringen konnten. Doch er verwarf den Gedanken wieder. Sie würden doch nicht gehen. Vielleicht war es auch schon zu spät dazu.
Der Schweiß lief ihnen über die Gesichter, und sie feuerten sich gegenseitig an.
Читать дальше