„Ich sehe nichts!“ rief er wütend und ungeduldig.
Pergoza sah auch noch nichts, denn der Ausblick, den die Männer da oben hatten, war wesentlich weitflächiger und größer.
Aber nach einer Viertelstunde entdeckte er ebenfalls die Masten eines Schiffes hinter einer Landzunge. Sie waren noch ganz dünn und kaum zu bemerken.
Seine Finger zitterten so stark, daß er das Spektiv kaum halten konnte. Das Bild verwackelte und verschwamm vor seinen Augen. Es dauerte lange, bis er die Masten wieder entdeckte.
Das Schiff selbst war nicht zu sehen. Eine Landzunge verbarg es vor seinen Blicken.
„Gefechtsbereitschaft anordnen, Señor Pergoza“, befahl er. „Kurs halten auf die Landzunge. Ich glaube, wir haben eine erste Spur, denn was bewegt eine Galeone, diesen öden Küstenstrich anzulaufen? Es muß eine Galeone sein, ich kann mir nichts anderes vorstellen.“
„Es muß so sein“, sagte der Erste zögernd. „Vermutlich ist es nur ein Portugiese.“
„Ein Portugiese soll mir auch recht sein“, knurrte Don Julio. Er mußte seinen Zorn und seine riesengroße Enttäuschung abreagieren. Aber dieses Schiff wollte er sich genau ansehen.
Das Schiff, das hinter der Landzunge lag, war die „Isabella“, die zur Zeit der Franzose Jean Ribault befehligte. Sie hatten fünf Dutzend Sklaven an Bord, die ihnen der Kapitän der Kriegsgaleone „Aguila“ regelrecht aufgedrängt hatte.
Bei Nacht und Nebel war Ribault auf Gegenkurs gegangen, nachdem er versprochen hatte, die schwarzen Sklaven nach Spanien zu bringen. Dadurch waren sie den recht aufdringlichen Kapitän César Garcia erst mal los, der ihnen eine Menge Ärger und Scherereien bereitet hatte und dessen Neugier schon fast penetrant war.
Natürlich dachte niemand im Traum daran, die Sklaven nach Spanien zu bringen. Hasard hatte sich mit Jean dahingehend beraten, daß die Schwarzen wieder in ihre Heimat zurückgebracht werden sollten, aber das durften wiederum die Kapitäne des Konvois nicht wissen.
Ribault hatte von der Schebecke zusätzlich sechs Arwenacks übernommen und war dann angeblich schon vorausgesegelt, in Wirklichkeit aber heimlich nach Süden abgelaufen, wo er die mauretanische Küste ansteuern wollte.
Nicht alles hatte geklappt, denn unter den Schwarzen war Aufruhr ausgebrochen. Keiner der Sklaven hatte glauben wollen, daß man sie in ihre Heimat zurückbrachte, und so hatten sich die Mißverständnisse auf der „Isabella“ gehäuft, bis schließlich alles ein gutes Ende gefunden hatte.
Die Sklaven befanden sich noch an Bord, denn vor ein paar Minuten war ein riesiger Dreidecker mit vier Masten von Jonny gemeldet worden.
Ribault war verblüfft, als er die „Casco de la Cruz“ erkannte, die von den Kapverden herauftörnte.
Der Dreidecker war ein tödlicher Gegner, gegen den sie keine Chance hatten. Mit seinen zweiundneunzig Geschützen konnte er die „Isabella“ in Grund und Boden schießen, und keiner würde das überleben.
So entschloß sich der verwegene Franzose zu einem „strategischen Rückzug“, einem keinesfalls überhasteten, aber wohlberechneten Rückzug, dem auch Karl von Hutten zustimmte.
„Ich weiß nicht, ob sie uns schon entdeckt haben“, sagte Karl von Hutten, der Sohn einer indianischen Häuptlingstochter und des Deutschen Philipp von Hutten. Er hatte von Natur aus blonde Haare, die jetzt aber schwarz glänzten, seit sie gefärbt waren. „Wahrscheinlich haben sie, wenn überhaupt, nur unsere Masten bemerkt. Uns bleibt also noch etwas Zeit. Die Schwarzen bringen wir dann später an Land. Wenn wir sie hier absetzen, wird es den Dons ein Vergnügen bereiten, sie wieder einzufangen, und dieses Vergnügen gönne ich ihnen nicht. Don Julio wird sich sehr geärgert haben und dürfte in einem unberechenbaren Zustand sein. Er würde die armen Kerle vor Wut abschlachten.“
Die exotisch wirkenden Züge von Huttens verhärteten sich sekundenlang, als er das gesagt hatte. Er war ein Spanienhasser, denn Spanier hatten in Venezuela seine Eltern umgebracht, wo Philipp von Hutten ein Handelshaus der Welser betrieben hatte. Die Spanier waren bei dem Mord nicht zimperlich gewesen.
Ribault war wieder einmal die Ruhe selbst.
„Nur keine Hast“, sagte er lässig. „Wir wissen, wie behäbig dieser Dreidecker segelt, und wir wissen, wie schnell wir sind. In der Bucht können wir uns nicht verstecken, weil sie keinen ausreichenden Platz bietet und von See her einsehbar ist. Also verschwinden wir und empfehlen uns mit den besten Grüßen an Don Julio. Seit er gemerkt hat, daß der Konvoi verschwunden ist, wird sich seine Laune kaum gebessert haben.“
„Er dürfte sich in einem Zustand der Raserei befinden“, entgegnete von Hutten, „und auf alles ballern, was seinen Kurs kreuzt.“
Als hätten sie alle Zeit der Welt, griff Ribault noch einmal nach dem Spektiv. Er warf nur einen kurzen Blick hindurch und drehte sich um, als der Profos neben ihn trat. Er, Batuti, Matt Davies, Paddy Rogers, Jack Finnegan und der Ire Mac O’Higgins, genannt Higgy, waren auf die „Isabella“ abkommandiert worden.
„Die Rübenschweine haben was abgekriegt“, sagte Carberry, „und das nicht zu knapp. Die Galeone ist beschädigt und kann nicht so schnell segeln wie sonst. Offenbar haben sie sich mit den Portus angelegt. Auf welchen Kurs gehen wir, Jean?“
„Wir klüsen erst nach Norden und drehen dann aufs offene Meer ab, um unseren Vorsprung zu halten.“
„Schade um die schöne Bucht“, meinte der Profos bedauernd. „Die einzige Abwechslung an dieser öden Küste, und wir müssen jetzt verschwinden, wirklich bedauerlich.“
„Wir kehren später ja wieder zurück.“
Carberry warf einen bedauernden Blick in die Bucht. Sie hatte einen langen Strand mit einer Baumgruppe und ein felsiges Kap, an dem sich die Brandung gischtend und donnernd brach. Edwin Carberry hatte schon ein Bad in dieser Brandung in Betracht gezogen, sobald die Sklaven ausgeschifft waren, aber daraus wurde jetzt leider nichts.
Die Segel waren gesetzt. Der Bug der „Isabella“ schwang langsam herum. Der Bugspriet deutete auf die offene See.
Da geschah etwas, mit dem niemand gerechnet hatte.
Der Harmattan briste auf, bösartig und ganz plötzlich. Es war ein wilder Windstoß, der in die Segel fuhr und die Galeone hart überkrängen ließ. Die Bö reichte aus, um die „Isabella“ hart nach Backbord zu versetzen. Der Franzose Grand Couteau kriegte sie jedoch schnell wieder in den Griff und fluchte lauthals.
„Mehr Steuerbord!“ rief Jean Ribault.
Langsam glitt die „Isabella“ aus der malerischen Bucht mit dem vorspringenden Kap und der Landzunge. Die Sonne glitzerte auf dem Wasser und ließ es wie flüssiges Silber erscheinen.
Im Süden wurde die „Casco de la Cruz“ merklich größer. Sie pflügte mit ausgerannten Geschützen durch die See und schob einen milchigen Bart vor sich her. Das große Schiff schien in allen Verbänden zu zittern, wenn es in Bewegung war.
Der riesenhafte Neger Dogon erschien wie ein Wilder an Deck. Seine schwarze Haut glänzte, er war ziemlich aufgeregt.
Carberry ging gleich auf ihn zu, in der Annahme, der schwarze Bursche würde wieder mit neuem Ärger beginnen. Sie hatten sich zwar zusammengerauft, doch so ganz war dem Anführer der Schwarzen noch nicht zu trauen, weil immer noch ein kleiner Rest Mißtrauen in ihm steckte.
„Reg dich wieder ab“, sagte der Profos trocken. Dogon verstand die Sprache der Spanier und beherrschte sie selbst ganz gut.
„Untiefen!“ schrie er, ohne den Profos zu beachten. „Dort vorn sind Sandbänke, viele Stellen!“
Er gestikulierte dabei wild mit den Armen und zeigte immer wieder ins gleißende Wasser.
Keiner sah etwas, weder eine Sandbank noch andere Untiefen.
„Hart Steuerbord!“ brüllte Ribault und hoffte, die wilden Handzeichen des Schwarzen richtig zu deuten.
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