Grand Couteau gab auch sein Bestes und wirbelte das Rad herum. Doch es war bereits zu spät.
Unter dem Bug knirschte es leise und kaum hörbar. Der Ruck war ebenfalls sehr sanft, doch die „Isabella“ saß übergangslos fest. Das Vorschiff hob sich unmerklich an, die Galeone legte sich nach Steuerbord über.
Jean Ribault sah sich ernüchtert um und blickte in ratlose und verstörte Gesichter. Sie konnten es nicht glauben, aber sie saßen wahrhaftig auf einer Sandbank fest.
Die „Casco de la Cruz“ näherte sich schnell mit ihren zweiundneunzig ausgerannten Rohren.
„Das sieht nach einem verdammt unrühmlichen Ende aus“, sagte der Franzose mit jener schnoddrigen Lässigkeit, die ihm eigen war. „Der gute Don Julio wird uns wohl kaum Absolution erteilen, wenn er merkt, mit wem er es zu tun hat. Spätestens dann wird ihm eine riesige Hecklaterne aufgehen.“
„Mir ist sehr wunderlich“, sagte Matt Davies unbehaglich. „Wir sollten nicht allzulange auf die Flut warten. Die läßt sich wesentlich mehr Zeit als der gute Don Julio.“
„Der wird sich wundern“, tönte Carberry herum, „wenn er uns sieht. Ich wette, er kann sich die ganze Geschichte nicht zusammenreimen. Möglicherweise ist das unsere Chance, weil er keinen Durchblick hat.“
„Du glaubst, er hat das Wild gestellt und wird erst lange Fragen stellen?“ fragte Jean. „Der weiß doch genau, wer wir sind.“
„Er kennt nur Hasard und Juan, und die sind nicht an Bord. Also dürfte er erst mal nachforschen, weil wir ihm ohnehin nicht mehr entwischen können. Erst dann wird er ballern, und ob wir ihn ein zweites Mal wieder so leimen können, ist sehr fraglich.“
„Ich verlasse mich lieber auf Tatsachen und auf das, was ich vor mir sehe“, entgegnete der Franzose. „Nehmt die Haken und versucht, das Schiff abzudrücken. Wir sitzen nicht fest auf, wir sind nur über Sand geschrammt und haben eine gute Chance. An die Arbeit! Und behaltet vor allem die Ruhe, nichts überstürzen.“
Die Schwarzen hatten die Gefahr ebenfalls längst erkannt. Außerdem führte Batuti sie ihnen ganz drastisch vor Augen.
Aber selbst Dogon zögerte nicht länger. Er sah das stark armierte Schiff, und er und seine Freunde kannten die Spanier zur Genüge. Für die genügte oftmals schon ihr Anblick, um wild zu reagieren. In seiner Sprache rief er ein paar Worte und erklärte den anderen, was sie zu tun hatten.
Lange Stangen und Bootshaken wurden geholt. Auch lange Spieren aus dem Laderaum wurden eiligst nach oben gebracht.
Hände krampften sich um Haken und Stangen. Sie legten ihr Gewicht mit der Schulter dagegen und gaben alles an Kräften her, was sie hatten.
Für die malerische Bucht hatte keiner mehr einen Blick übrig. Es ging um ihr Leben. Nur hin und wieder blickten sie flüchtig nach Süden.
Dort war die schwimmende Festung inzwischen zu einem monströsen Gebilde aus Segeln, Masten und Kanonen angeschwollen und füllte gut sichtbar einen Teil des Horizontes aus.
Der Abstand zwischen den beiden Schiffen betrug bestenfalls noch eine halbe Meile.
Jeder fragte sich beklommen, ob der Brocken wohl gleich das Feuer eröffnen würde, wenn er auf Schußweite heran war.
Die „Isabella“ rührte sich noch immer nicht. Wie festgenagelt saß sie auf der Sandbank fest.
Die Blicke der Männer wurden jetzt doch etwas nervöser. Ihnen blieb nicht mehr viel Zeit, zumal das schwimmende Ungeheuer jetzt noch wesentlich schneller durch die See zu pflügen schien. Natürlich war das nur Einbildung, weil ihnen die Zeit unter den Nägeln brannte.
„Donegal würde jetzt den Heiligen Antonius anrufen“, maulte Carberry.
„Wir verlassen uns lieber auf uns“, sagte von Hutten. „Mit den Heiligen ist das immer so eine Sache. Oftmals haben sie recht viel zu tun und können sich nicht um alles kümmern.“
„Vielleicht faulenzt er auch nur“, meinte der Profos. „Nehmt noch mal alle eure Kräfte zusammen. Der verdammte Schlorren muß sich doch bewegen.“
Ein weiteres Mißgeschick passierte, als Sir John die Kriegsgaleone erblickte. Natürlich war der Papagei seinem Herrn Carberry wieder mal nachgeflogen, als der auf die „Isabella“ übergewechselt war.
Und weil er Freund und Feind nicht unterscheiden konnte, dafür aber von einer recht üblen Neugier geplagt wurde, begann er auf der Fockrah erst hin und her zu trippeln und dann zu flattern.
Carberry sah das nervöse Gehabe aus den Augenwinkeln, doch um sein Sir Jöhnchen konnte er sich jetzt nicht kümmern. Der krächzte einmal laut „Verlauste Hummerärsche“ an Deck und strich ab.
Carberry lief nicht nur vor Anstrengung knallrot an, als sich der bunte Aracanga in die Lüfte erhob, eine Runde drehte, ein paar weitere sehr üble Schimpfwörter abließ und dann Kurs auf die heransegelnde Kriegsgaleone nahm.
Der Profos schluckte trocken und kriegte fast das Heulen. Als er laut nach dem Papagei brüllte, erfolgte keine Reaktion. Sir John hatte etwas erspäht und ließ es nicht mehr aus den Augen.
„Diese dreimal kalfaterte Nachteule“, knirschte der Profos, „die nehme ich nie mehr mit.“
Sir John verschwand wie ein kleiner bunter Farbtupfer in dem blauen Himmel und hielt weiterhin Kurs auf die fremde Galeone.
Die „Isabella“ rührte sich immer noch nicht von der Stelle, obwohl sie mit allen Kräften verbissen schufteten.
Don Julio de Vilches wurde abgelenkt, als ein großer, buntgefiederter Vogel wie aus dem Nichts erschien.
Durch das Spektiv sah er vor lauter Aufregung kaum noch etwas. Vor der Optik hatten sich Schlieren gebildet, die er immer wieder wegwischen mußte. Der Rumpf des fremden Schiffes war ebenfalls noch von der vorspringenden Felsnase verborgen.
Don Julio sah an den niedrigen Felsen nur Brandungswellen, dahinter einen schmalen Streifen Sand und einen kleinen Wald. Die Wipfel der Bäume wurden von Böen gebeutelt. Der Harmattan fuhr wie wild in sie hinein, und er glaubte, das wilde Rauschen bis hierher zu hören.
Nun, das Schiff konnte ihnen nicht mehr entgehen. Don Julio glaubte zwar, daß sich die Masten um einiges zur See hin bewegt hätten, aber jetzt rührten sie sich nicht mehr. Die Segel waren gesetzt, aber sie killten leicht im Wind.
Er wandte seine Aufmerksamkeit dem bunten Vogel zu. Die Reparaturarbeiten an der Galeone wurden zwar nicht unterbrochen, aber jeder Kerl, der mit Arbeiten und Ausbessern beschäftigt war, blickte unwillkürlich hoch, als ein karmesinroter Papagei flügelschlagend auf dem Besanmast landete. Auch Pergoza blickte irritiert zu dem Vogel hoch.
Es war ein seltsamer Vogel, wie es ihn an der hiesigen Küste nicht gab. Er zeigte auch ein sehr sonderbares Gebaren. Er hob die Flügel etwas an und legte den Kopf mit dem riesigen Schnabel schief. Dann äugte er von der Rah nach unten und schien die Männer auf dem Achterdeck sorgfältig zu mustern.
Seine Musterung fiel offenbar nicht zu seiner Zufriedenheit aus, denn er begann wild mit den Flügeln zu schlagen, als ihn das Segel fast streifte.
Don Julio de Vilches zuckte heftig zusammen, als der Vogel sprach, und er bekreuzigte sich schnell, weil er noch nie einen sprechenden Vogel gesehen und gehört hatte, zumindest keinen, der gleich zwei Sprachen beherrschte.
Das bunte Vieh legte erneut den Kopf schief und plierte ihn mit dem rechten Auge genau an. Der Riesenschnabel öffnete sich einmal kurz.
Was die braven Dons dann zu hören kriegten, ließ sie betroffen zusammenfahren.
„Cerdo de nabos!“ kreischte der Vogel schrill, was soviel wie Rübenschweine bedeutete, und das wiederholte er gleich dreimal hintereinander, damit es auch ja jeder verstand.
Don Julio wurde etwas blaß und schluckte heftig. Wie gebannt starrte er zu dem seltsamen, sprechenden Vogel, der jetzt gemächlich auf der Rah spazierenging.
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