„Wir sind zu hoch am Wind“, sagte Don Julio ärgerlich. „Warum sagen Sie das diesem Fettwanst von Dritten Offizier nicht! Oder haben Sie das selbst noch nicht bemerkt? Ich will so schnell wie nur möglich in Santa Cruz sein und keine unnötige Zeit vertrödeln. Legen Sie das Schiff gefälligst besser an den Wind.“
Der Erste wußte, daß das nicht stimmte. Sie lagen so gut am Wind wie es nur ging, aber der Alte mußte Dampf ablassen, und dazu war ihm jedes Mittel recht.
Er widersprach auch nicht, aber er gab den Anpfiff an den Dritten Offizier, Antonio Quieras, weiter. Der Mann mit dem gewaltigen Leib einer Riesentrommel wurde abgekanzelt, bis er fast in den Planken versank.
Doch es änderte sich so gut wie gar nichts. Jedenfalls lief die riesige Galeone deshalb nicht schneller.
Dicht unter der Küste und bei nur leicht bewegter See waren fast alle Rohre des gewaltigen Dreideckers ausgerannt. Auf dem Schiff wurde pausenlos ausgebessert und geflickt, denn die portugiesischen Stücke hatten beachtliche Schäden hinterlassen.
Don Julio wollte in seinem heiligen Zorn gewappnet sein, falls „irgendein Bastard“ auftauchte. Daher befand sich ein Großteil der Mannschaft ständig auf dem Sprung.
Für Pergoza war es allerdings unwahrscheinlich, daß hier in dieser Einöde andere, oder gar feindliche Schiffe auftauchten.
„Ich unternehme einen Rundgang“, sagte er hastig.
„Sie unternehmen gar nichts“, fauchte der Alte zurück. „Ihr Platz ist hier auf dem Achterdeck, verstanden?“
So standen sie wie bisher fast reglos herum wie abgeschlaffte Marionetten. Don Julio hüllte sich weiter in schweigenden Zorn.
Mehr als zwei Stunden vergingen in eisigem Schweigen. Jeder fühlte sich unbehaglich, und jeder vermied die geringste Berührung mit einem anderen. Hin und wieder war nur ein Räuspern zu vernehmen, und das leise Ächzen des Kolderstocks, wenn der Rudergänger ihn bewegte.
Nach einer endlos scheinenden Ewigkeit wandte Don Julio seinem Ersten wieder ruckhaft das verkniffene Gesicht zu.
Pergoza schluckte, denn er rechnete erneut mit einem Donnerwetter.
„Was erwartet uns in Santa Cruz, Señor Pergoza – haben Sie darüber schon nachgedacht?“
Die Frage erfolgte ganz überraschend. Pergoza rang sichtlich um Fassung.
„Ihre Meinung will ich hören!“ blaffte der Kommandant. Er hatte sich von der Schmuckbalustrade halb zur Seite gewandt und sah den Ersten mit seinem kalten Fischblick an.
„Ich habe mir noch keine Meinung gebildet, Don Julio.“
Pergoza wollte sich ätzenden Spott oder einen neuerlichen Wutausbruch ersparen, deshalb hielt er mit seiner Meinung vorerst auch noch hinter dem Berg. Der Alte würde seine Meinung zerpflücken oder ihn der Lächerlichkeit preisgeben, wenn sie sich nicht mit seiner eigenen Meinung deckte.
„Keine Meinung gebildet“, wiederholte Don Julio verächtlich. „Sie sollten sich zumindest darüber eine Meinung bilden oder wenigstens nachdenken, daß wir demnächst vor einem Kriegsgericht stehen, falls dieser dreimal verfluchte Geleitzug nicht wieder auftaucht. Wenn die Krone die Schatzschiffe als Verlust abbuchen muß, können Sie Ihren Kopf ebenfalls als Verlust abbuchen – und ich den meinen auch. Wahrscheinlich wird man uns vorher aber noch ein bißchen foltern und uns unterstellen, wir hätten den Konvoi verschwinden lassen. Und da haben Sie sich noch keine Meinung gebildet, Señor? Vielleicht denken Sie spätestens dann darüber nach, wenn man Ihnen die Garotte um den Hals legt. Die Würgeschraube wird Ihr Gedächtnis schlagartig aktivieren, aber nicht lange.“
„Es ist nicht unsere Schuld, wenn der Geleitzug nicht aufzufinden ist“, sagte Pergoza lahm. „Wir haben getan, was in unseren Kräften steht und uns sogar noch mit den Portugiesen angelegt.“
„Auch das könnte Konsequenzen nach sich ziehen. Wir befinden uns schließlich nicht im Kriegszustand mit Portugal. Aber ich habe nun einmal die Verantwortung für die Silberschiffe, und einen gewissen Teil dieser Verantwortung tragen Sie mit. Daran führt kein Weg vorbei. Ich will jetzt endlich ihre Meinung hören. Was ist mit dem Konvoi geschehen? Was hat das Auftreten dieser Männer von der ‚Isabella‘ damit zu tun, und warum war der Konvoi nicht auf den Kapverden, obwohl wir alle Unterlagen darüber in Händen hielten? An dieser Sache ist etwas oberfaul, sie stinkt zum Himmel.“
„Es muß alles auf einem fürchterlichen Irrtum beruhen, Don Julio. Ich habe keine andere Erklärung für den unglaublichen Vorfall. Ich bin aber sicher, daß sich in Santa Cruz alles aufklären wird.“
„So, das glauben Sie in Ihrer stillen Einfalt. Ich bin sicher, daß sich gar nichts aufklären wird und wir weiterhin mit leeren Händen dastehen wie bestellt und nicht abgeholt.“
„Was sollte denn sonst geschehen sein?“ fragte Pergoza fast flüsternd und mit zuckenden Lippen. Seine Blasiertheit war wie weggeblasen.
Don Julio maß ihn von oben bis unten mit einem langen Blick.
„Vielleicht hat man uns angeschissen“, sagte er drastisch. „Richtig nach Strich und Faden übers Ohr gehauen.“
„Sie glauben, es gibt den Konvoi gar nicht?“
„Idiot“, knurrte der Alte. „Man sollte Sie in einem Faß alten Olivenöls ersäufen. Natürlich gibt es den Konvoi. Wir haben die Namen der Schiffe, der Kapitäne, der Ladungen und noch eine Menge mehr. Wir wissen, daß er losgesegelt ist, aber er traf nicht ein, und er war auch nicht auf den Kapverden, obwohl man uns das vorerzählen wollte. Heiliger Antonius, starren Sie mich nicht so dämlich an und überlegen Sie gefälligst mit, wie wir unsere Hälse aus der Schlinge ziehen. Kann es noch eine andere Möglichkeit geben?“
„Haben Sie denn noch eine andere in Betracht gezogen, Don Julio?“ fragte Pergoza hilflos.
„Das will ich von Ihnen wissen, verdammt noch mal!“
Pergoza, der die drastische Ausdrucksweise des Kommandanten nicht gewohnt war, zuckte jedesmal zusammen.
„Es könnte eine geben“, sagte er dann zögernd, „aber sie klingt sehr abenteuerlich und unwahrscheinlich.“
„Reden Sie endlich. Hier ist sowieso alles abenteuerlich und unwahrscheinlich, also heraus damit!“
„Gehen wir einmal davon aus, daß ein oder zwei Kapitäne … Nein, das ist doch zu unwahrscheinlich, Don Julio.“
„Ach so, ich beginne zu verstehen.“ Im faltigen Gesicht des Alten erschien die schwache Andeutung eines Lächelns. Es war mehr ein boshaftes Grinsen. Dann lachte er einmal stoßartig auf. Es hörte sich so an, als sei ihm die Galle bis in den Hals hochgestiegen.
„Gut, gut“, sagte er, „wahrhaftig sehr ergötzlich. Das ist ja eine gänzlich neue Perspektive. Hm, Sie sind gar nicht so dumm, wie ich dachte. Sie glauben also, ein oder zwei Kapitäne hätten sich abgesprochen und den Konvoi einfach geklaut, was? Hahaha – hahaha!“
Auf dem Achterdeck der Kriegsgaleone schien Hochstimmung zu herrschen, von einem Augenblick zum anderen.
Don Julio de Vilches lachte, er lachte wahrhaftig. Noch niemand hatte ihn lachen sehen, und so lachten auch der Rudergänger und ein paar andere pflichtschuldigst mit, weil der Kommandant sich kaum noch beruhigen konnte.
Der Erste wollte auch grinsen, in der irrigen Annahme, den Alten etwas aufgeheitert zu haben, doch er verkniff es sich gerade noch, denn das welke Gesicht vor ihm wurde augenblicklich wieder ernst, als hätte es dieses Lachen nie gegeben. Die alte Boshaftigkeit kehrte in die Augen zurück, der Mund verkniff sich erneut zu einem dünnen Strich.
„Sie – Sie sind ja verrückt, Señor“, sagte der Alte kalt. „Wie stellen Sie sich das in der Realität vor? Glauben Sie ernsthaft, daß zwei Kapitäne beschließen, die Silberschiffe an sich zu reißen, um damit auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden? Und glauben Sie weiter, die anderen Kapitäne sind ebenfalls Verbrecher und haben nur auf eine derartige Gelegenheit gewartet? Und alle, alle spielen mit, weil das ja die einfachste Sache von der Welt ist? Mann, was geht in Ihrem Kopf nur vor sich? Der Gedanke ist lächerlich, absurd. Das hat es in der ganzen Geschichte noch nie gegeben.“
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