»De nostro foro ecclesiastico te proiicimus et tradimus seu relinquimus bracchio seculari ac potestati curie secularis, dictam curiam secularem efficaciter deprecentes, quod circa et citra sanguinis effusionem et mortis periculum sententiam suam moderetur.« 12
Dieser Wortlaut entschuldigt nicht eine Zusammenarbeit zwischen Kirche und Staat in einer höchst zweifelhaften Sache, aber sie erklärt doch die Grundeinstellung der Kirche. Kein katholischer Theologe wird heute die Möglichkeit eines ehrlichen und tragischen Konfliktes zwischen Gewissen und Wahrheit ableugnen; jedem Häretiker, jedem Glaubensfeind einfach schlechten Willen oder Bosheit zuzuschreiben, war allerdings eher der Ausfluß psychologischen Nichtwissens als philosophischen Unverstands.
Auch darf nicht vergessen werden, daß der Liberalismus – last, but not least — seine wirtschaftlichen Aspekte hat. In diesem Zusammenhang muß man darauf hinweisen, daß ein wahrer Liberalismus schwerlich dem Manchestertum oder einem unbegrenzten Kapitalismus gleichzusetzen ist. Neo-Liberale (»Dezentralisten«), wie z. B. Wilhelm Röpke, haben dies öfters betont. Da der Privatkapitalismus dazu neigt, Besitztum (ein wichtiger Schlüssel zur Freiheit!) in wenigen Händen zu konzentrieren, ist er von einem echt liberalen Gesichtspunkt dem Staatskapitalismus (Sozialismus) immer noch vorzuziehen 13. Doch fragt es sich überhaupt, ob der »Kapitalismus«, ein marxistischer Ausdruck, eine Ideologie, ein »Ismus« ist. Wir bezweifeln das. Viel klüger ist es, den Ausdruck »freie Marktwirtschaft« zu verwenden, wobei das Wörtchen »frei« völlig überflüssig ist.
Die Bezeichnungen »Demokratie« und »demokratisch« sind rein politischer Natur. Demokratie bedeutet »Macht (Regierung) des Volkes« 14auf egalitärer Grundlage 15; auf die verschiedenen soziologischen und sozialen Mißbräuche, die mit diesem Ausdruck getrieben werden, wollen wir nicht gesondert eingehen. Die bloße Sympathie für die unteren Klassen, zum Beispiel, ist nicht Demokratie, sondern Demophilie 16. Der Leser sei daher gewarnt, daß wir uns in diesen Studien fast ausschließlich mit dem politischen Begriff der Demokratie befassen.
Es muß hier betont werden, daß es eine klassische Auffassung der Demokratie gibt, die mit geringen Abweichungen von 500 vor Christi Geburt bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts überall gültig war. Manche Autoren halten sich immer noch an die klassische Auslegung, denn sie allein bietet eine gewisse Klarheit und Deutlichkeit. Deshalb haben auch wir diesen Weg beschritten. Plato, Aristoteles, St. Thomas von Aquin, St. Robert Bellarmin, Juan de Mariana S. J., Alexander Hamilton, John Marshall, James Madison, Gouverneur Morris, N.D. Fustel de Coulanges stimmten alle mehr oder weniger in ihrer Auslegung des Wortes »Demokratie« überein, obwohl man zugeben muß, daß bei einigen der »Gründerväter« Amerikas die Tendenz vorhanden schien, den Begriff der Demokratie zu verengen und ihn nur mit einer ihrer Erscheinungsformen gleichzusetzen, nämlich mit der direkten Demokratie, für welche Einschränkung zu einem Teil der Einfluß Rousseaus verantwortlich ist. Dies, zumindest, ist unser Eindruck, wenn wir Madisons Definition im »The Federalist« (Nr. 10 und 14) 17oder John Adams’ Angriff gegen die Demokratie in seiner A Defense of the Constitution of the United States of America lesen 18. Jedoch ist der Fall John Adams’ nicht ganz klar; eine sorgfältige Studie der Werke dieses zweiten Präsidenten Amerikas, der noch konservativer als Madison war, liefert viele Beweise einer bewußten Ablehnung des Gleichheitsprinzips in allen seinen Formen 19; auch ist es bekannt, daß er heftige Gewissensbisse wegen seiner Teilnahme am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg hatte, da dieser ideengeschichtlich, infolge der ersten großen europäischamerikanischen Mißverständnisse und Fehlinterpretationen zur Französischen Revolution und deren blutigem napoleonischen Nachspiel beigetragen hatte 20. Alexander Hamilton, der konservativste in dieser Gruppe, kritisierte leidenschaftlich die Demokratie in seiner Ansprache vom 21. Juni 1788 (On the Compromise of the Constitution) und auch in der Bundeskonvention am 26. Juni 1787 21. Es sollte kein Zweifel mehr darüber herrschen, daß die überwiegende Mehrzahl der »Gründerväter«, der Founding Fathers , nicht nur die direkte Demokratie gehaßt und sich ihr entgegengestellt hat, sondern auch, daß sie als strenge Republicans selbst der indirekten Demokratie (dem egalitären Repräsentativsystem) zutiefst kritisch, ja ablehnend gegenüberstanden. Am schärfsten in seiner Kritik war vielleicht Gouverneur Morris, der Lafayette in Paris rundweg heraus erklärte: »I am opposed to the democracy from regard to liberty« – dieselben Worte, die später Bachofen gebrauchte 22.
Während der Durchschnittsamerikaner gar nicht so sicher ist, ob die Gründerväter alle wirklich brave Demokraten waren, wird Thomas Jefferson, der dritte Präsident Amerikas, zumeist leichtfertig als Demokrat oder zumindest als Schöpfer der Jeffersonian Democracy (im Gegensatz zu der späteren und echteren Jacksonian Democracy) bezeichnet. Wenn wir jedoch die Demokratie in ihrer direkten sowie indirekten Form betrachten, müssen wir feststellen, daß sein politisches Glaubensbekenntnis alles andere denn demokratisch war. Welches sind aber nun in concreto die Forderungen der Demokratie? Es gibt deren nur zwei: 1. legale und politische Gleichheit für alle, die sich nicht nur vor den Gerichten (Isonomie), sondern besonders in den politischen Funktionen des Bürgers ausdrückt, und 2. »Selbstregierung« (self-government) , die in der Herrschaft der Mehrheit (von Gleichberechtigten) besteht. Je nachdem diese »Selbstregierung« durch das Volk oder durch Abgeordnete ausgeübt wird, sprechen wir von direkter oder indirekter Demokratie. Selbstverständlich haben in einer indirekten Demokratie die Abgeordneten die Pflicht, die Ansichten ihrer Wählerschaft getreulich zu vertreten und zu wiederholen; ist dies nicht der Fall, handelt es sich schon eher um eine Republik als um eine Demokratie. Im übrigen haben die Achtung der Rechte der Minderheiten, Redefreiheit und die der Herrschaft der Mehrheit 23auferlegten Einschränkungen nichts mit der Demokratie als solcher zu tun. Dieses sind Forderungen des Liberalismus, und ihre Anwesenheit in einer Demokratie (oder auch in einer Republik) hängt lediglich von der Annahme des liberalen Prinzips ab.
Jefferson war nun aber in Wirklichkeit ein Agrarromantiker, der von einer Republik träumte, die, von einer Elite des Charakters und des Intellektes regiert, sich auf eine Freibauernschaft stützen sollte 24. Dies bezeugt deutlich sein Brief an John Adams vom 28. Oktober 1814:
»The natural aristocracy I consider as the most precious gift of nature, for the instruction, the trusts and government of society. And indeed, it would have been inconsistent in creation to have formed men for the social state, and not to have provided virtue and wisdom enough to manage the concerns of society. May we not even say that that form of government is the best which provides most effectually for a pure selection of these natural aristoi into the offices of government?«
Und auf einer anderen Seite desselben Briefes fügt er hinzu:
»Every one by his property, or by his satisfactory situation, is interested in the support of law and order. And such men may safely and advantageously reserve to themselves wholesome control over their public affairs, and a degree of freedom, which in the hands of the canaille of the cities of Europe, would be instantly perverted to the demolition and destruction of everything public.« 25
Seine einseitige und unchristliche Ablehnung des städtischen Proletariats und der gesamten Arbeiterklasse war so ausgesprochen, daß es schwer zu verstehen ist, wie er, wenn auch nur vorübergehend, zur erlauchten Würde eines Schutzpatrons des »Common Man« erhoben werden konnte. Diese wenig passende Rolle wurde ihm, einem Sklavenhalter, von der Propaganda während des letzten Krieges zugeschanzt. Schrieb er doch da zum Beispiel:
Читать дальше