»Ce pouvoir irrésistible est un fait continu et son bon emploi n’est qu’un accident.« 142
George Canning, der ein sehr scharfes Auge für die Zeichen seiner Zeit hatte, stellte fest, daß »the philosophy of the French Revolution reduced the nation to individuals in order afterwards to congregate them into mobs« 143. Und während Walt Whitman in seinen »Leaves of Grass« wimmerte:
»One’s self I sing, a simple, separate person,
Yet after the word democratic, the word en masse «,
donnerte Kierkegaard gegen die wachsende Unterdrückung alles Edlen durch die Massen. So können wir folgendes in seinem Tagebuch lesen:
»Bücher werden für ›die Massen‹, die nichts verstehen, von denen geschrieben, die wissen, wie man für ›die Massen‹ schreibt… Der Kampf gegen die Fürsten und Päpste – und dies ist um so zutreffender, je mehr wir uns unserer Zeit nähern – war leicht im Vergleich zum Kampf gegen die Massen, die Tyrannei der Gleichheit, der grinsenden Seichtheit, Unsinnigkeit, Niedrigkeit und Vertiertheit.« 144
Orestes Brownson, der große amerikanische Konvertit, betrauerte mit nicht weniger Pessimismus den verbrecherischen Einfluß der Massen auf die amerikanische Regierung, die er in ihrer ursprünglichen Fassung nicht mit Unrecht eine »Wahlaristokratie« nannte. Er war jedoch überzeugt, daß diese langsam unter dem Druck der Massen durch die Demokratie und die Herrschaft der von den »Kaprizen des Pöbels« beeinflußten Demagogen ersetzt werden würde. Und dennoch riet er zur Resignation: »Evil, or no evil, such is the fact and we must conform to it«. 145In seinen melancholischen Zukunftserwartungen war er freilich nicht der einzige.
Die Zahl der Denker, die sich mit der Gefahr befaßt haben, die dem Staat, der menschlichen Persönlichkeit und der Freiheit durch die anorganischen Massen droht, hat sich seitdem ständig vermehrt 146. Sie alle sehen deutlich die steigende Sturmflut des Kollektivismus, die nicht nur das Werk der totalitären Pöbelführer ist, sondern auch von anderen Quellen gespeist wird, da Massen offensichtlich leichter »behandelt« und gelenkt werden können als wirkliche Persönlichkeiten 147.
Burke, der den Aufstieg des Bonapartismus sehr richtig voraussah, hatte auch keine Illusionen über den demokratischen Charakter des Vorspiels zu dieser cäsaristischen Tragödie. Er sagte:
»Of this I am certain, that in a democracy, the majority of the citizens is capable of exercising the most cruel oppressions upon the minority, whenever strong divisions prevail in that kind of polity, as they often must; and that oppression of the minority will extend to far greater numbers, and will be carried on with much greater fury, than can almost ever be apprehended from the dominion of a single sceptre. In such a popular persecution, individual sufferers are in a much more deplorable condition than in any other. Under a cruel prince they have the balmy compassion of mankind to assuage the smart of their wounds; they have the plaudits of the people to animate their generous constancy under their sufferings: but those who are subjected to wrong under multitudes, are deprived of all external consolation. They seem deserted by mankind; overpowered by a conspiracy of their whole species.« 148
Es ist offensichtlich, daß dieser Massenhaß für widerspenstige und unvolkstümliche Minderheiten eines Organisators oder Leiters bedarf, und dies gerade ist die Rolle, die der antike sowohl als auch der moderne Diktator anzustreben pflegt 149.
4.Die Weissagungen der Jahrhundertmitte
Unter denen, die von den Schaubildern der modernen Tyrannis verfolgt wurden, ragt ganz besonders Don Juan Donoso Cortés, Marqués de Valdegamas, hervor. In der Genauigkeit seiner Berechnungen und Erwartungen wurde er nur noch von Alexis de Tocqueville übertroffen. In seiner berühmten Rede vor dem Parlament in Madrid am 4. Januar 1849 entwarf dieser große Prophet ein düsteres Bild von der Zukunft des Abendlandes. Die Gedankengänge dieses konservativ-liberalen Katholiken 150haben vieles mit denen de Tocquevilles, Joseph de Maistres und selbst Koestlers gemein. Mit dem normannischen Adeligen teilte unser Marquis die Angst vor den Auswirkungen der modernen Verkehrsmittel, mit de Maistre und Koestler verbindet ihn seine Theorie über die Beziehungen zwischen den »inneren« und »äußeren« Kräften, dem »Yogi« und dem »Kommissar«. Er drückte sich etwas anders aus, denn er sprach von den Druckverhältnissen in den religiösen und politischen Barometern, doch die Schau war dieselbe. Für Donoso Cortés war das Christentum eine Religion der Freiheit, und jede Schwächung dieser religiösen Kraft mußte notwendigerweise ein Zunehmen des »Druckes von außen« herbeiführen. Deshalb darf uns auch sein Pessimismus nicht wundernehmen. Die politische Lage einer Betrachtung unterziehend, sagte er damals am Anfang seiner Rede:
»Señores, meine Worte klingen vielleicht erschreckend, aber man darf vor solchen Worten nicht zurückscheuen, wenn sie der Wahrheit Ausdruck verleihen, – und ich habe beschlossen, sie auszusprechen: Die Freiheit ist tot! Sie wird nicht auferstehen, weder nach drei Tagen noch nach drei Jahren, vielleicht nicht einmal nach drei Jahrhunderten…
Der Urgrund aller Ihrer Irrtümer, meine Herren (sich der linken Seite der Kammer zuwendend) , besteht darin, daß Sie einfach nicht wissen, in welche Richtung sich die Welt bewegt. Sie glauben, daß die Welt und die Zivilisation fortschreiten, während beide lediglich Änderungen unterstehen. Die Welt, meine Herren, geht mit raschen Schritten dem größten und schwärzesten Despotismus seit Menschengedenken entgegen. Dies ist das Ziel unserer Zivilisation, dies ist das Ziel der Welt! Man braucht kein Prophet zu sein, um diese Dinge vorauszusagen. Für mich genügt es, diesen schauerlichen Irrgarten menschlichen Geschehens von dem einzig wahren Gesichtspunkt aus zu betrachten – von den Höhen der katholischen Religion.« 151
Nun begann der Redner seine Theorie der beiden Barometer zu erklären; dann berührte er den Grundgedanken der christlichen Ethik und fügte eine kritische Zergliederung der Geschichte im Sinne seiner Theorie hinzu. Er bestand darauf, daß die Reformation den Aufstieg der absoluten Monarchen in ganz Europa begünstigt hatte; diese gekrönten Autokraten führten dann stehende, bis auf die Zähne bewaffnete Heere ein 152. Was aber sind Soldaten, wenn nicht »Sklaven in Uniform«? Und das war noch nicht das Ende. Das religiöse Barometer sank immer weiter und das politische Barometer hörte nicht auf zu steigen. Und welche neue Einrichtungen wurden dann geschaffen?
»Die Regierung sagte: Wir haben eine Million Arme. Das ist nicht genug; wir brauchen mehr; wir brauchen eine Million Augen; und so schufen sie die Polizei… und mit der Polizei eine Million Augen. Und nun stieg das politische Barometer erst recht und die politische Unterdrückung nahm zu. Sie nahm zu, da trotz allem das religiöse Barometer immer weitersank.
Die Regierungen, meine Herren, waren mit ihrer Million Arme nicht zufrieden; sie waren auch nicht zufrieden mit ihrer Million Augen. Sie wollten eine Million Ohren. Und so erfanden sie die Zentralisierung der Verwaltung.« 153
Aber auch dies brachte das stete Fallen des religiösen Barometers nicht zum Stehen. Es fiel und fiel. Die Regierungen waren sich bald darüber einig, daß eine Million Arme, eine Million Augen und eine Million Ohren nicht genug seien. Sie bestanden darauf, daß sie überall zu gleicher Zeit anwesend sein müßten. Und da wurde zum Glück der Telegraph erfunden. Schade, daß der Marqués de Valdegamas den Lautsprecher am Dorfplatz mit der Stimme des ›Führers‹ nicht mehr erleben konnte!
Im Verlaufe seiner weiteren Darstellung des gegenseitigen Verhältnisses von Regierung und Religion hob Donoso Cortés hervor, daß lediglich eine religiöse Wiederbelebung den wachsenden politischen Despotismus in seine Schranken weisen könnte, doch erschien ihm ein Neuaufleben des Glaubens unwahrscheinlich. Schließlich sagte er:
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