»Ein Junggesellenabschied?«
»Anscheinend geht hier unten das verschiedenste irre Zeug ab. Die Cops haben mal ein Kino hier unten gefunden. Ja, kein Scheiß – Beleuchtung, Tonanlage, Projektor, voll ausgestattete Bar. Es war genau unter dem Trocadéro, einen Steinwurf vom Eiffelturm entfernt, einem der berühmtesten Scheißwahrzeichen der Welt. Es gab auch ein komplettes Sicherheitssystem inklusive eines Bewegungsmelders, der eine Aufnahme von bellenden Hunden abspielte, um die Leute fernzuhalten.«
Ich war mir nicht sicher, ob Rob mich auf den Arm nahm oder nicht, aber ich fragte: »Wie haben die das ganze Zeug zum Laufen gebracht? Mit Batterien?«
»Elektrizität, Boss. Sie haben sie von unterirdischen Stromleitungen abgezweigt. Ein paar Tage, nachdem die Polizei die Sache entdeckt hatte, kamen sie mit ein paar Jungs von Électricité de France zurück, um das Ding dichtzumachen. Aber sie waren zu spät. Irgendjemand hatte schon alles entkabelt. Ist mit den ganzen elektronischen Geräten und dem Alkohol verschwunden. Was mal ein Kino gewesen war, war nur noch eine gute alte Steinkammer. Das Einzige, was zurückgelassen worden war, war eine Nachricht mit dem Text: Ne cherchez pas. Sucht nicht.«
»Sucht nicht nach wem? Kataphilen?«
»Das nehm ich an. Das haben die Meisten in den Medien angenommen. Für eine Weile sorgte das ziemlich für Gesprächsstoff. Aber Rascal sagt, Kataphile machen solche Sachen nicht. Die meisten sind Eigenbrötler. Sie gehen nur unter die Erde, um abzuhängen, zu feiern, zu erkunden.«
»Wer hat dann das Kino betrieben?«
Er zuckte mit den Schultern. »Das weiß keiner. Rascal redet von dieser großen Gruppe mit um die hundert Mitgliedern, angeblich organisiert und vermögend, so eine Art Altherrenriege. Sie benutzen die Katakomben, aber nur um sich unbemerkt durch Paris zu bewegen. Sie haben Schlüssel zu allen Orten in der Stadt. Sie veranstalten Lyriklesungen im Keller der Pariser Oper oder lassen sich auf dem Dach vom Parthenon volllaufen, oder was auch immer.«
Ich antwortete nicht, während ich darüber nachdachte. Das klang cool. Es klang auch komplett weit hergeholt.
»Du hast erwähnt, Danièle wäre angeheiratete Verwandtschaft?«, fragte ich. »Was ist sie, deine Schwägerin?«
»Ja. Dev und Danny Laurent. Die Doppel-Ds.«
»Warum versteht ihr zwei euch nicht?«
»Danny und ich? Du meinst wegen der Franzosen-Sticheleien?« Er zuckte mit den Schultern. »Es fing mit mir und meiner Frau an. Dev macht sich ständig über mich lustig, weil ich Frankokanadier bin. Nennt mich Queeb, Bibertreiber, Poutine. Tatsächlich ist sie diejenige, die diese ganze Froschsache angefangen hat, indem sie mich einen gefrorenen Frosch nannte. Und ich geb ihr dann auch bescheuerte Namen. So sind wir eben, so ist unsere Beziehung. Ich fand es lustig, wie beleidigt Danny immer wurde, wenn sie bei uns war, also hab ich angefangen, sie auch Franzmannkram zu nennen. Ich glaube nicht, dass es ihr so viel ausmacht, wie sie behauptet. Was ist mit dir?«
»Was ist mit mir?«
»Du und Danny. Was geht da ab?«
Ich warf einen Blick nach vorne auf Danièle. Sie sprach mit Pascal; ihre Stimme war monoton und leise. Der Schall trug hier unten nicht gut. Die gedämpfte Stille war wie in einer alten Bibliothek oder einem Weinkeller.
»Wir sind nur Freunde«, erwiderte ich.
»Komm schon, Kumpel. Sie hat dich in die Katas eingeladen. Es sind immer nur sie und Pascal. Sie hat sogar Stunk gemacht, weil ich heute mitkommen sollte, und ich gehöre verdammt noch mal zur Familie. Also, wie sieht‘s aus? Bumst du sie?«
Die Frage traf mich unvorbereitet und beschwor Erinnerungen an Samstagmorgen herauf. Das Aufwachen in Danièles kleingeldbeutelschickem Schlafzimmer im schwachen Licht, das durch die fuchsiafarbenen Jalousien kroch, der Geruch von Kaschmirrosen-Weihrauch, den sie am Abend zuvor verbrannt hatte, die sinnliche Wölbung ihrer Wirbelsäule von ihrem Nacken zu der Stelle, an der ihr Steißbein unter der Decke verschwand …
Rob, so bemerkte ich, beobachtete mich ganz genau.
Er prustete. »Nur Freunde am Arsch.«
ROB
Sie treiben es also wirklich miteinander , dachte Rob. Er konnte nicht behaupten, überrascht zu sein. Wie er zu Will gesagt hatte: Danny lud nicht einfach irgendwen in die Katas ein. Nicht nur das, sie hatte förmlich an ihm gehangen, seit er in den Pub gekommen war.
Wieder einmal tat Pascal Rob leid. Er konnte sehen, dass ihre Flirterei den armen Kerl innerlich auffraß. Gleichzeitig freute er sich aber auch für Danièle. Nach diesem Arschloch Marcel verdiente sie es, wieder glücklich zu sein.
Marcel.
Schon sein Name ließ Rob das Messer im Sack aufgehen. Nicht nur, weil er fremdgegangen war. Das war hier fast die Regel. Männer gingen fremd. Frauen gingen fremd. Eine von Robs Arbeitskolleginen glaubte, ihr langjähriger Freund würde sie betrügen, oder es zumindest in Erwägung ziehen, also betrog sie ihn zuerst, um ihm zuvorzukommen. Und man musste sich nur mal den Kerl ansehen, der das Land regierte. Er fing während des Präsidentschaftswahlkampfs ein Verhältnis mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau an. Ein paar Wochen nach den Schlagzeilen ließ er sich von seiner Frau, der First Lady, scheiden und behielt sein Betthäschen. Wenn man den Durchschnittspariser fragte, was er davon hielt, würde man wahrscheinlich ein Achselzucken und ein » C’est la vie « erhalten.
Es ging also nicht ums Fremdgehen. Es war die Art, wie Marcel Danny behandelt hatte, sie herumkommandiert hatte, alles überwacht hatte, was sie tat. Wenn sie ausging, rief er sie oft alle zehn Minuten an und wollte wissen, was sie gerade machte. Aber wenn er ausging, dann war er von der Bildfläche verschwunden, bis er um zwei oder drei Uhr morgens heimkam. In jenen Nächten rief Danny Dev an und heulte sich die Augen aus. Meist war Rob mit den Mädchen in der Nähe und hörte sich Devs Seite der Unterhaltung an. Es wollte ihm nicht in den Kopf gehen, warum Danny bei dem Arschloch blieb. Sonst war sie so stark, so selbstständig. Es war, als würde sie zu einem anderen Menschen, wenn sie in seiner Nähe war. Trotzdem, ganz gleich was Dev zu Danny sagte, servierte sie ihn einfach nicht ab.
Vor ein paar Monaten hatte Dev Danny dann zufällig in Les Quatre Temps getroffen, einem Einkaufszentrum bei der Metrostation La Défense. Danny hatte eine dunkle Prellung auf der linken Gesichtshälfte. Ihr Make-up konnte einen Fremden täuschen, aber nicht Dev, und Dev bekam alles aus ihr heraus.
Marcel hatte es getan. Sie hatten Streit bekommen, als sie am Abend vorher das Essen gekocht hatte. Sie wollte nicht, dass er ausging. Er schlug sie und ging trotzdem. Und es war nicht zum ersten Mal passiert. Sobald Danny einmal zu reden anfing, erzählte sie alles. Er hatte sie fast so lange geschlagen, wie sie ihn kannte. Meistens zielte er auf ihren Körper, damit sie die Beweise verstecken konnte, und wenn er ihr ins Gesicht schlug, dann so, dass er seltenst ein Zeichen hinterließ. Danny wollte Dev weismachen, dass Marcel sie nur schlug, wenn er trank. Ihr Leugnen war atemberaubend. Der Kerl verprügelte sie regelmäßig und sie versuchte, ihn zu beschützen?
An diesem Tag kam Rob spät von der Arbeit nach Hause. Die Mädchen schliefen in ihren Stockbetten und Danny schlief im Gästezimmer, umgeben von all ihren Sachen, die sie und Dev aus Marcels Wohnung geholt hatten, wo Danny im letzten Jahr gewohnt hatte. Dev erzählte ihm, was passiert war, und wollte die Polizei einschalten. Das wäre wahrscheinlich das Beste gewesen, aber in diesem Moment hatte er rotgesehen und nicht auf die Vernunft gehört.
Rob fuhr zu Marcels Apartmenthaus im zwölften Arrondissement und wartete auf der anderen Straßenseite, bis der Wichser irgendwann nach Mitternacht heimkam. Dann drängte er sich hinter Marcel in den Eingangsbereich, ehe die Tür ins Schloss fiel, und prügelte den Franzosen mit einem Stahlrohr zu einem wimmernden, blutigen Klumpen. Er war nicht stolz darauf, aber er bereute es auch nicht.
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