»Nichts zu danken«, sagte sie. »Ich könnte es mir natürlich auch selbst besorgen, aber warum sollte ich mich anstrengen?«
Ich stellte mir vor, wie es wäre, mit Martha zu schlafen, und ich sah nur schwarzes Leder, schwarzen Latex, schwarze Peitschen, die knallend auf meinen Hintern niederfuhren, schwarze Fesseln und Stöcke und Schnüre und Masken und Vibratoren. So schön der Körper dieser Frau auch anzusehen war, ich verspürte keinerlei Drang, mich ihr zu nähern. Und das verwirrte und überraschte mich. Und ja, es ärgerte mich. War es ihr Geruch? Konnte ich sie, wie man so schön sagte, nicht riechen? Trotzdem: Welcher Mann würde solch ein Angebot abschlagen? Man musste verrückt sein. Sex ist Sex, da braucht man nicht mehr hineindichten, als vorhanden ist. Und man muss einen Menschen bekanntlich nicht mögen, um mit ihm zu schlafen. Da sind doch nur zwei Körper, die passen immer, zumindest auf die eine oder andere Art, ineinander, egal ob man sich sympathisch findet oder nicht.
»Ich … ich weiß dein Angebot echt zu schätzen«, hörte ich mich sagen und dachte mir, dass diese Worte furchtbar klangen und absolut falsch waren und doch gesagt werden mussten, »aber ich möchte lieber nicht. Und das hat bitte nichts mit dir zu tun«, fügte ich entschuldigend hinzu. »Du bist echt …«
»Makellos«, sagte sie, »ich weiß.«
Sie bewegte langsam ihre Arme in die Höhe und streckte sich, wodurch ihr Nachthemd sich um einige Zentimeter anhob und mir die Sicht auf ihren Slip ermöglichte. Ich fühlte mich wie ein Darsteller in einem billigen Softporno. Verdammt, sagte ich mir, was bist du nur für ein Weichei, was für ein Mann? Das kann doch nicht wahr sein! Nun wäre wohl der richtige Augenblick gewesen (und es hätte ja auch im Porno-Skript gestanden), zu ihr hinzugehen und das Nachthemd langsam nach oben über ihren Kopf zu streifen, wodurch ihre Nippel (die natürlich kurz vor Drehbeginn mit Eiswürfeln behandelt worden wären) steif sich meinem Mund entgegengestreckt hätten und so weiter und so bla bla bla.
Sie ließ ihre Arme wieder nach unten fallen. Wir schauten uns ein paar Sekunden stillschweigend an, und da sah ich diesen eigenartigen Blick in ihren Augen. Ich kannte ihn und spürte deutlich, dass ich meine Meinung nicht ändern würde, denn mit einem Mal erinnerte ich mich: Menschen, die wissen, dass sie schön sind, und das auch noch zur Schau stellen, hatte ich nie anziehend gefunden. Aber darum ging es hier nicht. Ich denke, ich wollte nicht von ihr benutzt werden wie ein Dildo, das hatte ich bereits hinter mir, ebenso die Erfahrung, jemand anderen zu benutzen. Es war schon okay, aber es gab mir nichts; ein Objekt zu sein, das hatte für mich nichts mit wahrer Lust zu tun, und daher schüttelte ich den Kopf.
»Also doch ein Homo«, sagte sie.
»Ich?«, fragte ich, als ob sich noch jemand im Flur befunden hätte. »Nein, bin ich nicht.« Sofern ich ihren Gesichtsausdruck richtig interpretiert hatte, wirkte sie durch ihre Abschätzigkeit hindurch auf einmal verletzt; ihre Augen hatten den Panzer verloren, da schien, so glaubte ich, für einen kurzen Augenblick ein Funken der echten Martha zu mir hindurch. So wie sie nun dastand, mit leicht nach vorne gebeugtem Oberkörper und mit den Augen nach etwas suchend, das ihr Halt geben könnte, hätte man sie fast liebenswert finden können.
»Da ich annehme, dass du kein strenger Katholik bist«, sagte sie und setzte wieder ihre undurchdringliche Miene auf, »kann ich dir mit absoluter Sicherheit sagen, dass du schwul bist.«
»Wenn es dir damit besser geht«, sagte ich, »dann nenn mich halt schwul. Passiert mir nicht zum ersten Mal.«
»Sag ich doch!« Mit diesen Worten ging sie ins angrenzende Zimmer und schlug die Tür zu, sodass ein lautes Krachen durch die Luft des Flurs klang. Klaus erschien im gegenüberliegenden Türrahmen und fragte, ob etwas passiert sei. Nein, sagte ich, nichts passiert, mir sei bloß der Türgriff ausgerutscht.
Wir lagen nebeneinander, er in seinem Bett, ich am Boden auf einer für meinen Geschmack zu weichen Matratze. Wenn ich den Kopf ein wenig nach hinten drehte und meinen Hals leicht überdehnte, konnte ich die schmale Mondsichel durchs Fenster erkennen, die sich wie ein Stempel aus Licht mit scharf gezeichnetem Rand von der ihn umgebenden Dunkelheit abhob. Ich fragte mich, ob am Mond jemals Menschen leben würden und, wenn ja, welche Gesetze es dort gäbe oder ob es, wenn es einmal so weit wäre, im Zweifel gar keine mehr bräuchte. Wer wohl das erste Kunstwerk auf dem Mond erschaffen würde? Ob es bereits irgendwo dort oben existierte, für niemanden sichtbar? Der erste Schritt auf der Mondoberfläche von Neil Armstrong: War das bereits ein Kunstwerk oder nur ein Zeitdokument? Müsste es konserviert werden oder übernähme dies ohnehin die fehlende Atmosphäre? Ist dieser Abdruck, der zu einem bleibenden Eindruck wurde, denn überhaupt noch dort oben – oder dort unten oder dort drüben oder besser gesagt: dort draußen? Die Andeutung von Marthas Schamlippen glitt langsam über die Mondsichel, meine Augenlider wurden schwer und ich merkte, dass ich nicht gegen diese Fantasie, die die Zügel in die Hand genommen hatte, ankämpfen konnte und es – wenn ich es recht bedachte – nun auch nicht mehr wollte. Was hatte mich vorhin nur geritten?
»Bist du noch wach?«, fragte Klaus im Flüsterton.
Ein Zucken durchfuhr meinen Körper. In meiner Vorstellung war der Mond zu einem dunklen Bett geworden, nein, es war nicht dunkel, sondern schwarz glänzend, und Martha lag darauf in einem weißen, durchsichtigen Kleid.
»Ja«, sagte ich. »Bin noch wach.«
»An was denkst du?«
»Ich versuche an nichts zu denken«, log ich, »aber das geht nicht.«
»Es geht«, sagte Klaus, »nur darf man sich dabei nicht anstrengen.«
»Und wenn sich … wenn sich irgendwelche Bilder vors innere Auge schieben?«, fragte ich.
»Dann musst du sie wohl oder übel zulassen«, sagte er. »Damit sie wieder verschwinden können, verstehst du?«
»Zulassen«, sagte ich und dachte an die Fußstapfen von Neil Armstrong und ans erste Kunstwerk im All, das es meines Erachtens dort oben noch nicht gab, und dass wir das All auf keinen Fall allein den Wissenschaftlern und dem Militär überlassen dürfen. Aber was weiß ich schon, sagte ich mir, ich müsste es googeln, aber dazu müsste ich das Handy einschalten, und es würde, auch wenn ich es runterdimmen würde, weh tun in meinen Augen. »Wenn du unendlich viel Geld hättest«, fragte ich Klaus, um auf andere Gedanken zu kommen, »also egal wie viel, welches Kunstwerk würdest du dann kaufen?«
Klaus antwortete lange nicht, sodass ich annahm, er wäre eingeschlafen.
»Wenn ich alles Geld der Welt hätte«, sagte er in die Stille und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, »dann würde ich …« Er hielt inne und meinte: »Aber ich glaube, das geht nicht. Nicht um alles Geld der Welt. Die sind meines Wissens im Staatsbesitz und somit unverkäuflich.«
»Wovon redest du?«
»Ach, entschuldige, ich habe mir nur gedacht, also wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich Folgendes tun: Als erstes würde ich in den Louvre gehen und die Mona Lisa kaufen, ich würde sie in einem Bunker verstecken, du wärst natürlich für die Archivierung und Konservierung zuständig.«
»Natürlich«, sagte ich. »Und warum, wenn ich fragen darf, würdest du das machen wollen?«
»Weil mich diese Kunst-Touristenströme ankotzen, die Leute, die durchs Museum rennen, nicht links und nicht rechts schauen, sondern nur, wo sich das Schildchen mit dem Pfeil zur Mona Lisa befindet, um der Weganweisung blind zu folgen. Ebenso würde ich den Kuss vom Oberen Belvedere entfernen und in den Bunker verfrachten. Im Kunsthistorischen Museum würde ich den Großen Turmbau zu Babel abhängen. In jedes namhafte Museum dieser Welt würde ich reisen, um ähnlich zu verfahren. Und zu guter Letzt in den Vatikan, um die Fresken der Sixtinischen Kapelle hinter einem gut gespannten, undurchsichtigen Tuch zu verstecken, damit die Menschen, die dort unbedingt hinpilgern wollen, sich wieder erinnern, dass sie nicht an diesen Ort müssen, um aus sich hinaus-, sondern um in sich hineinzugehen.«
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