Norbert Johannes Prenner
Wir sind Unikate, Mann
Roman
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Inhaltsverzeichnis
Titel Norbert Johannes Prenner Wir sind Unikate, Mann Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Impressum neobooks
Wir sind Unikate, Mann
Roman
Norbert Johannes Prenner
Wie alles anfing
Als würde der Herr des Universums, selbst verwirrt durch die unendlichen Weiten des Weltalls mit seinen Aber- und Abermillionen von Sternen und Planeten in der endlos scheinenden interstellaren Materie auf seinen unergründlichen Wegen auf uns unglückselige Erdenwesen vergessen haben, dachte Arno, als er die Zeitung, in der er soeben mit mehr oder weniger großer Aufmerksamkeit gelesen hatte, beinahe verzweifelt über die Flut der mutlos machenden Berichte und Statistiken, in denen nur von Preissteigerungen und negativen Zukunftsprognosen, von politischer Freunderlwirtschaft und unverschämten Abfertigungsplänen von Managergehältern aus mühsam abgezweigten Steuertöpfen, dem Verschleudern des Budgets gewissermaßen der letzten Wochen und Monate die Rede war, sinken ließ. Wie konnte das passieren?
Hätte der Schöpfer nicht längst lernen können aus all‘ dem Elend, den Intrigen, den Kriegen der letzten Jahrhunderte und Hungersnöten auf den Kontinenten, den Festländern und den Inseln, den glückseligen und weniger glückseligen, und sollte es immer so weiter gehen mit den Ausbeutern und den Ausgebeuteten und dem endlosen Stillen der Wunden, der seelischen und der körperlichen, wenn wir schon nicht selbst daraus gelernt haben? Ist nicht einmal genug damit, oder hatte sich der Chefdesigner dieses geheimnisvollen Kosmos tatsächlich zurückgezogen, sich aus der Verantwortung gestohlen, wenn er sie überhaupt jemals übernommen hatte, was in manchen Fällen zu bezweifeln sei, meinte Arno, und er gedachte der letzten Weltkriege, des 11. September und des Tsunami, und er dachte an den Vietnam- und Irakkrieg, und an den Konflikt in Tibet und an die EM, die noch bevorstand und überhaupt.
Und waren bis dato nicht Tonnen von Papier beschrieben worden, mit weisen Sprüchen und Ratschlägen an die kommenden Generationen, mit dem Auftrag, ihr sollt es besser machen als wir, man wäre wieder einen Schritt weiter gekommen im Umgang mit uns selber, wir zeigen euch, was wir falsch gemacht haben, macht ihr es besser, hieraus führt ein Weg den wir euch beschreiben und so fort, begann er sich zu fragen und ließ die Zeitung seine Beine hinab gleiten, wo sie auf dem schwarz-weiß gekachelten Fußboden liegen blieb, ohne dass er überhaupt Anstalten gemacht hätte, sie aufzuheben, zu sich heranzuziehen um weiter darin lesen zu wollen. Wie hatte ihm neulich Professor Wasner geraten? Sie sind zu anspruchsvoll, lieber Freund, als ihr Gespräch auf gegenwärtige Literatur gekommen war. Sie rechnen nicht mit dem gewöhnlichen Publikum, sondern meinen, alles Geschriebene müsste an eine Elite gerichtet sein.
Irrtum! Ihre Erwartungshaltung in dieser Sache ist zu hoch, um nicht zu sagen, schlichtweg überzogen. Das, was Sie vom gängigen Schrifttum erwarten, kann als Postulat, nennen wir es eine notwendige Annahme, wenn es überhaupt ein solches gegeben hat, in der Tat nicht erfüllt werden, weil seine Funktionalität eine andere geworden ist. Und was hatte er noch gesagt? Das ehemalige Postulat der Literatur, die Bestellung kritisch-moralischen Bodens, läge nun in der Option, nachdem ihre politische Funktionsbestimmung obsolet geworden sei, in gewisser Weise freigestellt zu sein, ja, sich sogar in tendenziösen und wechselhaften Gegenläufigkeiten üben zu dürfen, wie sie es in einer offenen Gesellschaft zu tun gewohnt wäre. Sie müssen Literatur in einem völlig anderen Licht sehen als Sie es bisher gewohnt waren, in einem anderen Licht!
Arno stützte sein Kinn in seine linke Hand, in jene mit der Narbe, die er sich zugezogen hatte, als er als Kind, um einen unbedeutenden Graben zu überwinden, diesen übersprungen und, um nicht zu unsanft auf der anderen Seite aufzukommen, sich mit dieser Hand abgestützt hatte um den Fall zu bremsen, just dort, wo eine alte Glasscherbe unsichtbar, weil flaschengrün und gut getarnt aus dem hohen Gras ragte, welche sogleich eine böse Wunde, einen tiefen Schnitt sozusagen, sichtbar für alle Zeiten, der längs durch seinen Daumenballen gegangen war, hinterlassen hatte. Er betrachtete die helle, vom Daumen hin zur Pulsader gezogene Narbe, und mit einem Mal schien alles in seiner Vorstellung plötzlich so gegenwärtig und klar, wie damals alles ausgesehen hatte, der feuchte Graben, davor die hohe Linde, an die hundert Jahre alt, die mittlerweile gefällt worden war, um das Verbreitern der Straße zu gestatten, das Haus, in dem sein Freund bis zum heutigen Tage wohnte.
Die Kirche und die Schule vor dem Platz, sicht- und greifbar, als wäre alles wirklich. Nur der Platz selber, Schulhof seinerzeit, war nicht mehr lehmig und aufgeweicht vom Dauerregen der letzten Wochen, sondern säuberlich asphaltiert und eingezäunt, mit Rastern weiß gekennzeichnet als Stellplatz ständig wechselnder parkender Fahrzeuge. Kein Kind durfte hier spielen, nicht so wie früher, als man bis in die Dämmerung hinein umher tollen durfte, ungestört, nicht verjagt von einer Technik, die ursprünglich der rascheren Fortbewegung dienen sollte und dieses Verhältnis sich im Lauf der Zeit längst umgekehrt hatte und der Mensch dem Dämon der Mobilität hinterher hetzte, schon lange nicht mehr ausschließlich, um aus irgend einem Grunde von da nach dort zu gelangen, nein, oft schon allein bloß um des Fahrens Willen.
Oft gar nur dem Rausch der Geschwindigkeit folgend, als sich sein Blick nach Sekundenlanger Zeitreise plötzlich wieder zu klären begann, sich die Vorstellungen dieser Erinnerungen in Nebel aufzulösen begannen und er wieder nur auf die schwarz-weißen Kacheln am Boden starrte. Als Kind hatte Arno stets an den Wahrheitsgehalt alles Geschriebenen geglaubt, wobei er sich die infantile Ehrfurcht davor sehr lange, ja, als Erwachsener sogar noch bewahrt hatte, wie alles, was gedruckt war, für ihn von ungemein wichtiger Bedeutung schien, unumstößlich, für die Ewigkeit gemacht, von Menschen, die sich ihrer Verantwortung darüber, wenn darauf bestanden wurde, das Unumstößliche darzustellen, voll bewusst waren. Umso enttäuschter schien er, als sich auch diese Vorstellung von der Existenz einer für alle gültigen Wahrheit als unerfüllbare Traumvorstellung entpuppt hatte und heißem Dampf gleich sich zu verflüchtigen anschickte.
Und er, vielleicht später als andere, die ernüchternde Entdeckung gemacht hatte, dass es mit der Übertragung von Wahrheit und ihrer Wirklichkeit nicht weit her sei. ganz besonders aber fürchtete er seither das Dogma des Boulevards und seines Diktates, nicht nur das für den kleinen Mann, mit dem eine Art Verpflichtung zur Lektüre einherzugehen schien, wie auch zu Texten des täglichen Gebrauchs, und diese Texte schrien ihn an, stachen ihm ins Auge, sobald er sie, wenn auch bloß flüchtig, überflogen hatte, so leuchteten ihm einzelne Passagen aus dem Schriftbild hervor, als wären sie in Signalfarbe gedruckt, Stellen zumeist, die das Normative eines halbwegs logischen vernünftigen Satzes überschritten hatten und das Außerordentliche signalisierten, Wichtiges in ihrem Leuchten transportierten, wie Arno glaubte.
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