Norbert Johannes Prenner - Wir sind Unikate, Mann

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Inhalt: Nicht genug, dass Arno Schmidts Ehe in Trümmern liegt, verliert er auch noch seinen Job und leidet an Burnout. Seine einzige Stütze in dieser schweren Zeit ist ihm sein Freund Caro Ass, wären da nicht noch einige Freundinnen, die ihm über die schwerste Zeit hinweghelfen und seine Idee, aus seiner rührseligen Geschichte einen Roman zu machen, erschiene ihm der Stoff dafür nicht derart banal.

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Arno angelte sich eine Tageszeitung und blätterte darin. - Treu sein, das kann ich nicht, summte Caro leise vor sich hin, Denisens Tätowierung über dem Hintern scharf im Auge behaltend, und meinte, die Zigarette nach Humphry Bogart Art im Mundwinkel: - Die Jugend heutzutage ist doch völlig verblödet, was? Fragt neulich eine Redakteurin einen Typen, hej Mann, auf dem Plakat da draußen steht, der Joint ist indisch, die Liebe französisch. Was heißt das? Und? Was antwortet der? Keine Ahnung Lady, ich bin Religionsstudent und völlig zu. Sagt irgendeine Tussi hinter ihm, das ist vielleicht OK, wenn einer Joints mag! Hähähähä, ticken die noch richtig? Die können nicht mehr denken, sag‘ ich dir. Keine Ahnung von, wie unser Lateinprofessor zu sagen pflegte, der alte Nazi, Arno, was ist? Bist du noch bei dir? Übrigens, kennst du den?

Ein Girl nennt ihr Baby Kolibri. Fragt ein Bekannter, hey du, was is´n das für´n Name? Sagt sie, das kommt daher, dass ich nicht weiß, ob es vom Kohlenhändler, vom Lichtkassier oder vom Briefträger ist. Hahhahaha!, und er bog sich vor Lachen.- Sehr witzig! Arno atmete tief durch, legte die Zeitung weg und wandte sich seinem Freund mit den Worten zu: Caro Ass, ich sag‘ dir was, sterben möchte‘ ich vor Langeweile, tot umfallen. Wieso machst du nicht einmal eine ordentliche Kultursendung? Könnte ihr nicht ein bisschen kritischer sein in der Auswahl eurer akustischen Dauerbombardements? Ein wenig Wetter, ein bisschen Verkehr, der Rest bloß unnötiges Geschwätz über dies und jenes. Ihr glaubt wohl, euer Publikum besteht ausschließlich aus Idioten, oder? - Ja, das glauben wir, lachte Caro. Die Anrufe bestätigen unsere Programmauswahl, ehrlich! Was willst du eigentlich von mir?

Soll ich Oper machen oder was? Du hast keine Ahnung, was die Leute wollen! Wir richten uns danach, was verlangt wird, verstehst du?- Und das wird verlangt? Das kannst du mir nicht erzählen. Vierundzwanzig Stunden lang Schwachsinn, Mann? - Immerhin, man kann auch abschalten!- Ach ja, sagte Arno leise. Diese Option hätt‘ ich beinah vergessen. Mit einem Handzeichen machte er sich der Serviererin bemerkbar, die sogleich herbeieilte, und bestellte nun doch vorsichtshalber einen Prosecco. Was war von diesem Tag noch zu erwarten? - Sag‘ ich ja! Du hast nichts zu verlieren? Ich bin von vier bis fünf auf Sendung. Danach kehren wir hierher zurück, schnappen uns Denise- Mäuschen und fahren mit ihr hinaus ins Grüne. Oder? - Mich lass‘ aus dem Spiel. Hast du gestern den Film mit der Dingsda gesehen?- Zufällig. Zwischen Geschirrabwaschen und Staubsaugen, lachte Caro.- Ich bin entsetzt, sagte Arno.

Was muss ein Drehbuchautor für einen Stress haben, in ein einziges Drehbuch so viel gesammelte Scheiße zu packen, wie einem nicht einmal in ein paar aufeinanderfolgenden Leben widerfahren kann? Abgesehen von der Arroganz der Hauptdarstellerin, noch dazu ständig die berühmte Mama kopieren zu wollen. Peinlich das Ganze, echt. Ein so ausgeklügelter Mist wird auch noch verfilmt! Es überrascht einen nicht mehr, dass die eigene Mutter mit dem zukünftigen Bräutigam der Tochter pennt, dass die Rivalin ermordet und die Leiche verbrannt wird, das schicke Töchterlein nebenbei auch noch schwanger ist, selbstverständlich eine schwierige Schwangerschaft, klar! Und das alles in einem einzigen Film, ich halt’s nicht aus! Und ich finde den Aus-Knopf nicht! Caro grinste und sah Arno von der Seite an. - Du solltest dir deine Erregtheiten bis übermorgen aufheben, wenn Constance wieder zurückkommt. Findest du nicht? bemerkte er zynisch.

Kapitel 3

In der näheren Umgebung

Das Haus, in dem Arno wohnte, stammte aus den Aufstiegsjahren zur Metropolstellung dieser Stadt, einer Zeit, in der ebenso die zweite Hochquellenwasserleitung als auch die Stadtbahn erbaut worden war, die längst dem modernen U-Bahnprojekt Platz gemacht hatte und deren rote Zuggarnituren in seiner Erinnerung ebenso rasch auf- und untertauchten, wie sie in den zahlreichen im Oberbau geführten Teilabschnitten auch schon wieder in den unergründlichen Katakomben ihrer Tunnelöffnungen verschwunden waren, höhlenartige Löcher der legendären Stadtbahnbögen, in die er als Kind stunden-, ja, tagelang gestarrt hatte wenn es der Regen nicht zuließ, dass man auf die Straße durfte, um darauf zu warten, wann denn endlich der nächste Zug aus dem gespenstischen Backsteindunkel auftauchen würde, dem immer ein sirrendes Geräusch und erst wellenartige Bewegung der Oberleitung vorausgegangen waren, was ihn aufs Äußerste zu fesseln vermocht hatte.

Dieses Haus hier aber hatte zwei Weltkriege überlebt, relativ unbeschadet, friedlich eingebettet zwischen Barockem und Gründerzeit, mit vier Erkern auf die Straße vorn raus und einem feuchten, dunklen Garten an der rückwärtigen Front und nicht nur dieses, sondern die meisten ihrer Bauart standen in krassem Gegensatz zum plötzlichen Paradigmenwechsel der Zwischenkriegszeit und ihren Wohnbauprogrammen, so wie jener Gemeindebau mit Durchhauscharakter an der Ecke der Quergasse, trauriges Relikt profanen Strukturdenkens. Diese Gasse also, alles andere als verkehrsberuhigt, bot mit seinen kleineren Häusern in diesem Abschnitt ein beinahe ländliches Wohngefühl, mit dem Obst- und Gemüseladen, dem Frisörladen, der Trafik und immer denselben Menschen, denen man täglich begegnete.

Arno genoss die Nähe dieser Menschen ebenso wie die der City und ihren zahlreichen Parks, die Nähe der Bildungs- und Kultureinrichtungen mit ihren Angeboten, die er von Zeit zu Zeit auf seine Weise für sich zu nützen pflegte. Die Wohnung in jenem Hause, in der zuvor ein jüdisches Ehepaar gewohnt und in derselben ein stattliches Alter erreicht hatte, und, nachdem die nationalsozialistische Gemeindeverwaltung es sich auf geniale Unart erspart hatte, ihre angekündigten Wohnbauprogramme auch durchzuführen, indem sie ganz einfach die Wohnungsnot durch die Vertreibung der Wiener Juden eben auf ihre Art gelöst hatte, dieses Ehepaar also dem Holocaust Gott sei Dank entgangen war, schien ihm günstig zu sein, dazu noch großzügig angelegt, mit Stuckdecke und dreifenstrigem Erker, Wohn- und Nebenzimmern, Küche und WC, jedoch ohne Badezimmer ausgestattet.

Nachdem Arno eingezogen war, hatte er einen Benjamin in den Erker gestellt, der begierig seine Äste nach allen Seiten der Fenster ausgebreitet hatte, so, als wollte er ihm zeigen, wie wohl er sich hier fühlte und seine Arme nach dem Licht ausstreckte, welches das geräumige Wohnzimmer mit seinen schräg einfallenden Strahlen in sanftes Hell tauchte, zumindest an den Vormittagen, denn gegen Mittag verabschiedete sich die Sonne stets hinter dem hohen First des Vis-avis-Hauses und breitete ihre Schatten behutsam erst über den Teppich, dann über den Esstisch und den roten Samtfauteuil aus, von wo aus sie langsam bis hin zur Vorzimmertür krochen und den sonst so hellen Raum in Augen schonendem Rosa zurückließen, reflektierten doch vorwiegend die Rottöne der Überwurfdecke der Couch wie auch der roten Gardinen ihren Teint an die weißen Wände, ebenso wie an die Stuckdecke.

Arno liebte diese Lichtspiele ganz besonders an den im April und Mai häufiger werdenden Sonnentagen und er konnte sich nicht daran satt sehen, ja, es kam sogar manchmal vor, dass er gerade wegen dieser Spiele seine Aufmerksamkeit beim Lesen verloren hatte und sich dabei ertappte, wie seine Augen bloß den Sonnenstrahlen folgten, ähnlich wie die dünnen Ästchen des Benjamins, und auch er streckte sich dann und hob die Arme empor, die ihm vom Halten der Lektüre oft schon zu ermüden begonnen hatten, um gleich danach wieder den Zeilen jener Stelle des Textes zu folgen, den er vor sich auf den Oberschenkeln aufgebreitet hatte. Das Vorzimmer hingegen war in Dunkel gehüllt, vom engen Lichthof gegen die Sonnenflut abgeschottet, beinahe düster im Gegensatz zum glänzenden wohnzimmerlichen Überschwang und barg zwei große Wandschränke unter ihrem rundbogenartigen Deckengemäuer, in denen Arnos Garderobe ausreichend Platz fand, denen aber im Laufe der Zeit auch die Aufgabe zuteil geworden war, intimste Geheimnisse vor den Blicken allzu Neugieriger hinter wohl verschlossenen Türen zu beherbergen, wie etwa einige lichtempfindliche Whiskeysorten oder den Familienschmuck, der besser in einem Safe aufgehoben worden wäre.

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