Sara-Maria Lukas
DAS PURPURNE HEMDCHEN
Erotischer Roman
© 2017 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels
www.plaisirdamour.de
info@plaisirdamourbooks.com
© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg (www.art-for-your-book.de)
ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-310-1
ISBN eBook: 978-3-86495-311-8
Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Epilog
Autorin
„Vielleicht ist gerade der wirklich stark,
der den Mut hat, sich selbst zu begegnen.“
„Und du willst wirklich nichts mitnehmen?“
Sina lächelt geduldig. „Nein, Tante Laura.“
Sie legt den Arm um die fast einen Kopf kleinere alte Dame, die mit großen, tränenfeuchten Augen zu ihr aufsieht, und drückt sie sanft. „Mutter hätte es so gewollt. Der Pfarrer wird die Möbel und den Hausrat an Menschen verteilen, die es gut gebrauchen können.“
Tante Laura schüttelt den Kopf. „Ach Mädchen, ich will das noch nicht glauben. So lange haben wir nebeneinander gewohnt. Nun ist deine Mutter tot und du gibst einfach alles auf. Hast du dir das wirklich gut überlegt?“
Ein Anflug stechenden Zorns verursacht einen bitteren Geschmack in Sinas Mund. Sie will das nicht mehr hören, sie kann es nicht mehr hören. Dieser Satz verfolgt sie wie der Geruch in den engen Fluren der alten Reihenhäuser, mit dem sie seit ihrer Kindheit vertraut ist. Zu oft hat sie ihn in den letzten Wochen und Nächten als innere Stimme im Kopf gehört. Er fühlt sich wie ein riesiges Kaugummi an, das mit der einen Seite an ihrem Arsch und mit der anderen in ihrem Elternhaus klebt und sie daran hindern will, sich fortzubewegen.
Was soll dieses weinerliche Getue? Tante Laura ist nicht mal eine Verwandte, sondern nur die Nachbarin. Sie hatten doch in Wahrheit nie etwas miteinander zu tun, außer dass sie sich jeden Tag gesehen haben. Zu ihrer Mutter mag sie ja ein enges Verhältnis gehabt haben, aber die ist tot. Ende. Aus. Vorbei.
Echte Verwandte gibt es nicht. Nichts hält sie hier. Nichts, verdammt noch mal. Verfluchte Gefühlsduselei! Schluss mit dem sentimentalen Gesäusel!
Innerlich einen Seufzer ausstoßend und sich selbst für ihre Gedanken rügend, drückt Sina der Nachbarin den Hausschlüssel in die Hand. „Ich habe es dir doch erklärt. Meine Wohnung in Hamburg ist sehr klein, ich muss mich von den Sachen trennen. Und jetzt laufe ich los, sonst verpasse ich noch den Zug.“
Sie will nichts mehr erklären. Sie will endlich diesen letzten Akt des Abschieds hinter sich bringen, in den Zug steigen und der Kleinstadt den Rücken kehren.
„Der Pfarrer holt den Schlüssel morgen früh und bringt ihn dir zurück, wenn das Haus leergeräumt ist, und der Makler meldet sich nächste Woche bei dir. Falls irgendwas ist, hast du meine Handynummer.“
„Ja Kind, ich weiß. Pass auf dich auf.“
„Du auch, Tante Laura.“
Eine letzte kurze Umarmung, dann zieht Sina energisch den Reißverschluss ihrer Jacke hoch, legt den Schal fest um Hals und Kinn, dreht sich um und verlässt das Haus.
Die Rollen des Koffers blockieren im frisch gefallenen Schnee, als wollten sie sich weigern, ihr Zuhause zu verlassen. Neuer Zorn brodelt in ihrer Brust. Sie beißt die Zähne zusammen und blickt mit leicht verschwommenem Blick starr nach vorn, stapft ein letztes Mal an ihrem Elternhaus vorbei, ohne noch einmal den Kopf zu drehen. Ende. Aus. Schluss. Scheiß Gepäck. Scheiß Schnee.
Als sie Hamburg erreicht, ist es schon dunkel. Während der dreistündigen Zugfahrt hat sie sich kaum bewegt, sondern still dagesessen und aus dem Fenster gestarrt, dabei nichts von der Landschaft wahrgenommen, sondern die Erinnerungen ihrer Kindheit vor ihrem inneren Auge an sich vorbeiziehen lassen. Ein letztes Mal. Ab sofort ist nur noch der Blick nach vorn erlaubt.
Der Zug hält. Sina zerrt den schweren Koffer aus der Tür und sieht sich auf dem Bahnsteig um. Der Hamburger Bahnhof ist mindestens zehn Mal so groß wie der in ihrer Heimatstadt. Sie taucht in den Trubel ein wie eine Ameise in ihren Ameisenstaat. Anonym und in der Menge unsichtbar. Ein herrliches Gefühl. Der Bahnsteig ist voller Menschen, viele tragen Aktentaschen oder rollen kleine, schicke Trolleys hinter sich her. Vermutlich sind die meisten von ihnen Pendler auf dem Heimweg. Klar, es ist Freitag. Alle drängen routiniert aneinander vorbei, ohne sich gegenseitig umzurennen. Keiner beachtet sie. Kopfschüttelnd verdreht sie die Augen. Mein Gott, natürlich nicht.
Plötzlich läuft eine schauererregende Freude über ihren Rücken. Tief einatmend saugt sie die Atmosphäre in sich auf. Lärm, Lichter, Lachen, Schreien, Gerüche … Leben. Endlich das pralle Leben, und sie ist mittendrin, gehört dazu, ist ein Teil dieser sprudelnden, aufregenden Welt. Yeah!
Voller Tatendrang folgt sie dem Hinweisschild Richtung Ausgang. Draußen erfasst sie unvermittelt ein böiger Windstoß, und kalter Regen klatscht ihr ins Gesicht.
„Hey, was ist das denn für ein Empfang“, motzt sie lachend und zieht die Schultern hoch. In ihrem Glücksrausch kann ihr so ein bisschen mieses Wetter sicher nicht die Laune verderben. Sie hebt den Kopf und schnuppert. Es riecht anders als in den Bergen der Rhön. Ob das von der Elbe kommt? Nord- und Ostsee sind ja auch nah. Sie wird ganz kribbelig bei der Vorstellung, das alles bald zu sehen. Sie will barfuß am Strand laufen, das hat sie sich fest vorgenommen, egal, was für ein Wetter an dem Tag ist, an dem sie zum ersten Mal das Meer sieht.
Der Taxistand vor dem Hauptbahnhof ist nicht zu verfehlen. Sie wartet unter dem Dach, bis ein Wagen mit einer Fahrerin frei ist, steigt ein und nennt die Adresse des billigen Jugendhotels, das Sina übers Internet gefunden hat. Es ist nicht weit vom Bahnhof entfernt, doch zur Rushhour in Hamburg kommen selbst Taxis kaum voran. Staunend, und auch ein wenig eingeschüchtert, betrachtet sie durch die nasse Fensterscheibe das Gewusel von Autos und Menschen im Schein der Laternen. Als die Fahrerin endlich vor dem grauen mehrstöckigen Gebäude hält, zeigt die goldene Armbanduhr ihrer Mutter fast zwanzig Uhr an. Das ist zwar nicht ganz korrekt, denn die Uhr geht seit Jahren vor, aber das ist ihr egal. Sie trägt sie an diesem Tag sowieso zum letzten Mal.
Unter Aufbietung aller Kräfte betritt sie das Gebäude durch die schwere Schwingtür, die sich anscheinend weigern will, verschrammte, altmodische Rollkoffer mit hineinzulassen. Zum Glück ist die Empfangshalle leer und niemand beobachtet ihren ungelenken Kampf gegen die Tür. Die Kofferrollen scheppern unangenehm laut auf dem Fliesenboden, und Sina atmet erleichtert auf, als sie endlich vor dem Tresen steht und der Lärm aufhört, aber die junge Frau dahinter scheint ihn gar nicht bemerkt zu haben. Ihre Hände klappern ohne Unterbrechung auf der Computertastatur herum. Aus einem Gang rechts von ihr schlendern vier in Jeans und legere Jacken gekleidete Typen lachend und plaudernd heran. Unwillkürlich zieht Sina die Schultern hoch, doch die Männer gehen vorbei, ohne sie zu beachten. Entschlossen richtet sie sich kerzengerade auf. Neuanfang, alte Mimosensumpfkuh! Schon vergessen?
„Hallo“, grüßt sie, als die Rezeptionistin den Kopf hebt.
„Hi! Was kann ich für dich tun?“
„Sina Augustin, ich habe reserviert.“
„Moment …“ Ihre Finger mit den langen, schwarz lackierten Nägeln rasen erneut über die Computertastatur, während sie mit gerunzelter Stirn auf den Bildschirm sieht. In Sinas Kehle bildet sich ein Kloß. Wenn es nun mit der Reservierung per Mail nicht geklappt hat, was macht …
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