Wolfgang Wiesmann - Das purpurne Tuch

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Bei Ausgrabungen im Römerlager in Haltern am See wird purpurnes Pulver gefunden, das 2000 Jahre lang in der Erde eingeschlossen war. Eine bahnbrechende Entdeckung – aber warum will der Ausgrabungsleiter diesen Fund vertuschen? Da sie ihm nicht mehr vertrauen kann, unterschlägt die Archäologiestudentin Angelina das nächste Ausgrabungsstück – und wird plötzlich von anonymen Anrufern bedroht, die von weiteren Funden wissen. Bei ihren Nachforschungen stößt Angelina auf die geheimnisvolle Geschichte einer Frau, die vor 2000 Jahren gelebt hat. Doch sie ist nicht die Einzige, die eine Sensation wittert. Schon bald fordert die Jagd auf die wertvollen archäologischen Fundstücke ein Todesopfer. Bei der Aufklärung des Falls wird Kommissarin Fey Amber nicht nur mit Habgier und Intrigen konfrontiert, sondern auch mit der unermesslichen Anziehungskraft jahrtausendealter Geschichte.

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Das purpurne Tuch

Wolfgang Wiesmann

1 Auflage März 2018 2018 OCM GmbH Dortmund Gestaltung Satz und - фото 1

1. Auflage März 2018

© 2018 OCM GmbH, Dortmund

Gestaltung, Satz und Herstellung:OCM GmbH, Dortmund

VerlagOCM GmbH, Dortmund, www.ocm-verlag.de

ISBN 978-3-942672-60-3

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

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Inhaltsverzeichnis

1 Teil I Gen Albion, 9 n. Chr. Das Gesuch Die Sage Purpurne Lippen Siobhan Der Schwur Die Idee Das Ticket Blei Die Versuchung Lippia Wolkenbruch

2 Teil II Grabungsstätte Römerlager Haltern Planquadrat 17 A Gestern oder heute Aurelia Skandal Der Neue Die Clique Der Zylinder Kaltschweiß A wie ... Das Tuch Bersisch Patrouille Frühstück Belagerung Investigation Ungeheuerlich Nutellapfannkuchen I-Tüpfelchen Tatort Donnerwetter Fahndung Sondieren Routine Nur so Trennung Kripo-Camp Befreiungsschlag Bei Bowereit Italia Wochenende Sonntagabend Allein Rollercoaster Die Mitte Tatort Black Tübingen White Kulmination Marco Rückzug Presse Zwischenbilanz Letzte Ruhe Römerlager Gedrucktes

Landmarks

1 Cover

I Gen Albion, 9 n. Chr.

Noch perlte der Nieselregen aus ihrem Haar und tropfte über ihre Stirn auf das durchnässte Vlies aus Schafswolle, das ihr Nashtia zum Abschied unter Tränen geschenkt hatte. Sie folgte aufmerksam den Tropfen, wusste sie doch, wie weh sie tun würden, wenn es weiter abkühlte und die Zahl der sonnenlosen Tage zur Verzweiflung stiege und ihre Kleider nicht trockneten. Eis, so hatte ihr der alte Khoman mit gewetzter Zunge erzählt, krieche unter die Haut und färbe das Blut blau, bis es erstarrte. Tot wäre sie dann trotzdem nicht, denn alles Blaue berge das ewige Leben. Sie erinnerte sich an seine kleinen dämonischen Augen und wie er damals sein Haupt der Sonne entgegenreckte und mit den Händen ihre Strahlen auf sich zu fächerte.

Khoman lungerte im Hafen herum, immer auf der Suche nach leichter Arbeit, aber eigentlich lockten ihn die Almosen, die ihm römische Händler und hochgestellte Bürger zusteckten. Manchmal verdiente er einen Tageslohn, wenn mal wieder ein italienischer Siedler in Karthago gelandet war und Hab und Gut mitsamt Familie mitgebracht hatte, um in der Nähe der Thermen und des Odeons eines der stattlichen Häuser zu beziehen. Als ausgedienter Seefahrer kannte Khoman sich im Hafen aus. Schnell organisierte er Eselskarren und eine Schar streunender Halbwüchsiger, um den Transport der Güter und der Gemahlin des römischen Neubürgers in Karthago zu gewährleisten.

Khoman schwärmte für Farben. Purpur sei ihre Königin, philosophierte er. Blau war reserviert für das Dach der Welt und seine Meere. Rot gehörte der Sonne. Alle anderen Farben standen den Menschen zu. Aber – so habe er selbst gesehen – hätten manche von ihnen blaue Augen und rotes Haar. Vor denen müsse man sich in Acht nehmen, weil sie an falsche Götter glaubten. Dann blickte er zum Horizont und ein verschmitztes Lächeln kroch über seine sonnengegerbte Haut, denn er wusste, dass die heimlich geplante Reise nach Britannien, von der sie ihm im Vertrauen erzählt hatte, ohne ihn stattfinden würde.

Ein eisiger Wind zog auf. Sie sah trotzig auf ihre Hände, bevor sie abrupt unter ihrem Umhang verschwanden. Die Vorboten von Khomans Weisheit verschafften sich unmissverständlich Raum, eroberten das Schiff still und ohne Gegenwehr. Immer häufiger versanken die kleinen Tropfen nicht mehr im Stoff ihres Gewandes, sondern klammerten sich aneinander zu einer Schicht aus schillernden Kristallen. Sie richtete ihren Blick auf die Sterne und sah den Mond in voller Blässe, kalt wie der Schiffsboden und ihre Füße. Der Mond war ein mächtiger Verbündeter auf See. Das wusste sie aus eigener Erfahrung und aus Erzählungen der Männer, aber nun klagte sie das bleiche Himmelsauge der Komplizenschaft an. Warum huldigte er dem Eis in dieser sternenklaren Nacht, so dass sie sich mehr vor dem blauen Tod fürchtete als vor dem, der ihr bevorstand? Leider musste sie in den letzten Tagen öfter an Khoman denken, als ihr lieb war. Aber hatte er nicht alle Wetter überlebt? Was war es also, das sie fürchtete? Das Eis war fremd, während sie das Wasser wie eine Heldin durch viele stürmische Manöver zu beherrschen gelernt hatte. Das Fremde war unberechenbar und wenn es stark war, waltete ein Gott darüber. Wie es schien, war dieser Gott ihnen nicht wohlgesinnt und könnte gar die Mission zum Scheitern bringen. Einen Augenblick spürte sie Erleichterung bei dem Gedanken, ihrem Opfertod zu entrinnen, doch welches Schicksal ereilte sie stattdessen?

Sie entstammte dem edlen Blut eines Kriegsfürsten aus Iberien, wurde als Kind von dort verschleppt und diente als Sklavin bei einer römischen Aristokratenfamilie in Karthago. Mit zwölf ließ sie sich die Haare stutzen und heuerte unter dem Namen Carruso als Schiffsjunge an. Seit vier Jahren segelte sie über die Meere. Dem Tod hatte sie mehrfach ins Auge gesehen, sodass er ihr keine Panik mehr einjagte, doch einem eisigen Gott wollte sie nicht in die Hände fallen.

Mit der Kälte hatte auch die Stimmung an Bord einen Tiefpunkt erreicht. Mit jedem Tag, den sie die Küste Galliens entlanggekrochen waren, war es stiller geworden. Selbst Kafur, dessen Mund einen ständigen Singsang oder eine unwahre Geschichte von sich gab, stöhnte, dass ihm die Kehle schmerzte. Mit jedem Wort, so hatte er sich entschuldigt, rieb es wie Feuer in seinem Schlund. Er musste sich schonen, da er am Opfertag zu singen hatte.

Carruso kauerte sich nieder und lehnte sich neben Kafur an die Planken des Schiffs. Es wäre nur zu natürlich gewesen, sich gegenseitig zu wärmen, besonders, da sich zwischen ihnen eine Freundschaft angebahnt hatte. Der zuletzt verstrichene Sommer war der sechzehnte in Carrusos Leben und ihre weibliche Anmut war, trotz ihrer Mannsgewänder und ihrer Bemühungen sich maskulin zu geben, kaum mehr zu verbergen. Manchmal, in unbeobachteten Momenten, und nur wenn es dunkel war und der Mond zur Sichel schrumpfte, fasste sie an ihre Brüste und gestand sich ein, dass auch die Lust in Anwesenheit so vieler Männer nicht immer leicht zu kontrollieren war. Seit Monaten spürte sie, wie sich den Blicken mancher Seefahrer Verlockung beimischte. Zwischen Verlegenheit und Unwissenheit versuchte sie, ihr männliches Auftreten nicht zu verletzen.

Kafur neigte sich ihr zu, aber nur durch eine leichte Drehung seines Kopfes, der bis auf einen Schlitz zum Atmen vollständig von einer Fellmaske verhüllt war. In gewisser Weise teilte er Carrusos Schicksal. Als keltischer Stammesführer wurde er von den Römern nach verlorener Schlacht nordöstlich der Alpen gefangen genommen und sollte wegen seines barbarischen Aussehens und seiner hünenhaften Statur zum Gladiator ausgebildet werden, konnte aber vorher fliehen. Seitdem verdiente er sich seinen Sold als kundiger Navigator auf Schiffen, die vor allem zwischen Karthago und Iberien kreuzten. Oft hatte er Flottenverbände der Römer zu aufständischen Regionen entlang der iberischen Mittelmeerküste geführt, aber auch das kalte Meer an der Westküste bis hoch nach Britannien war ihm vertraut.

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