Manfred Matzka
Hofräte Einflüsterer Spin-Doktoren
300 Jahre graue Eminenzen am Ballhausplatz
VIELER HERREN RÄTE
1.Der allzeit Getreue
JOHANN CHRISTOPH VON BARTENSTEIN
„Ohne seiner währe alles zugrund gegangen“
2.Visionär und Lehrmeister
JOSEPH FREIHERR VON SONNENFELS
Der Reformator der Kaiserin
3.Schillernder Stratege
FRIEDRICH VON GENTZ
Aufstieg und Fall des Sekretärs Europas
4.Gefährliche Nähe
ERZHERZOGIN SOPHIE und FREIHERR VON KÜBECK
Die reaktionären Ratgeber des jungen Monarchen
5.Der Bürokrat des Kaisers
ERICH GRAF VON KIELMANSEGG
Treuer Paladin seines alten Herrn in der Hofburg
6.Macher ohne Skrupel
ALEXANDER GRAF VON HOYOS
Ein junger Diplomat führt das Land in den Krieg
7.Wissen ist Macht
HANS KELSEN
Mehr als der Vater der Bundesverfassung
8.Der Schreibtischtäter
ROBERT HECHT
Ein Sektionschef zerstört die Republik
9.Ein Diener vieler Herren
WALTHER KASTNER
Wendiger Einflüsterer, rehabilitierter Ariseur
10.Hinter den Kulissen
HEINRICH WILDNER
Der Manager des Wiederaufbaus am Ballhausplatz
11.Der Netzwerker
EDUARD CHALOUPKA
Hochbürokratie im Griff des Cartellverbands
12.Ein stiller Freund
HANS THALBERG
Vertrauter und weltläufiger Staatsdiener
13.Republik der Sekretäre
KARRIEREN VOM BERATER ZUM MINISTER
Die Kanzlerkabinette von Klaus und Kreisky
14.Spin-Doktoren und Consulting GmbHs
POLITIKBERATUNG ALS ANONYME DIENSTLEISTUNG
Die Einsager von Schüssel, Gusenbauer, Faymann, Kern
15.Krisenmanagement am Ballhausplatz
ZWISCHEN MESSAGE CONTROL UND STAATSRÄSON
Von Kurz zu Bierlein und wieder retour
Graue Eminenzen
DAS WESEN DES HOFRATS
Dank
Literatur
„Kennt der Regent noch so genau seine Pflichten, so ist es doch zur Ausübung der Majestätsrechte notwendig, dass er die Verhältnisse des ganzen Staates und die besonderen Bedürfnisse kennt. Diese müssen ihm nun von seinen Räten getreu vorgelegt werden. Hieraus erhellt, von welcher Wichtigkeit die Wahl des Beamten sei. Auf diese kommt alles an. Ist der Monarch von vernünftigen Beamten umgeben, so ist er vor den meisten Fehltritten gesichert.“
MARTINI, Lehrsätze über das allgemeine Staatsrecht, 1791
„Zum Chef! Tausendmal hat mich diese denkbar knappe telefonische Mitteilung einer Sekretärin Richtung Minister, Kanzler oder Kanzlerin in Bewegung gesetzt. Selten riefen die hohen Herren und Damen selbst an – manch ein Kollege fuhr sogleich aus seinem Bürostuhl hoch und zupfte sich hektisch die Krawatte zurecht. Ganz selten erschienen sie persönlich in meinem Zimmer, dann war er oder sie entweder sehr gut oder sehr schlecht drauf. „Zum Chef“, mitunter verstärkt mit „gleich!“, heißt, auf den 50 Metern bis zum Allerheiligsten blitzschnell Revue passieren zu lassen, mit welchem Journalisten du gesprochen hast, welches Projekt aus dem Ruder zu laufen droht, was heute Früh in der Zeitung zu lesen war, welcher Parteirebell oder Intrigant im Terminkalender steht. „Zum Chef“ impliziert nicht immer einen Beratungsbedarf, es kann auch sein, dass er einfach nur jemandem zum Reden braucht, Frustration am Ende des Tages abarbeitet, eine spontane Idee loswerden will, Mensch sein will inmitten des gnadenlosen Offiziellen.
Das darauf gemünzte Bonmot eines im obersten Stock des Ministeriums residierenden österreichischen Sektionschefs, der gemeint haben soll, „Es ist mir eigentlich egal, wer unter mir Minister ist“, ist allerdings ebenso beliebt wie falsch. Ich war 22 Jahre Sektionschef, fünf Jahre Kabinettschef, mehrmals Kanzlerberater, durfte sieben Bundeskanzlern und acht Ministern dienen – ich weiß das. Kein tatsächlich einflussreicher Spitzenbeamter würde je so etwas sagen und kein Minister würde so etwas dulden. Dennoch ist das Bild von Franz Werfel von „den vierzig bis 50 Beamten, die in Wirklichkeit den Staat regieren“ nicht ganz falsch. Schließlich kommt der Verwaltung, den Routiniers, den Ratgebern in unserem Land seit jeher eine wichtige Bedeutung zu. Auch in meinen 40 Berufsjahren in diesem System war das so.
Berater, Sonderberater, Kabinettschef, Generalsekretär, Consulter, Spin-Doctor, Thinktank-Leiter – die Bezeichnungen für jene, die hinter den Kulissen die Regierenden beeinflussen, sind vielfältig. Aber allen ist gemeinsam: Sie treten selbst nicht in das Licht der Öffentlichkeit und stellen sich dort nicht der Verantwortung. Sie sind intelligent, gebildet, wissen viel oder Spezielles, sind bereit, hinter dem Chef zurückzustehen und ihm zuzuarbeiten. Sie werden von diesem geschätzt und gefördert, kennen das Umfeld, dessen Strukturen, die Abläufe und die handelnden Personen bis ins kleinste Detail. Sie verlieren nie die Übersicht und haben einen langen Atem, sie denken strategisch und handeln unbeirrt. Sie überdauern die Politiker und sind daher wichtig.
Diese Rolle ist kein Phänomen der jüngeren Vergangenheit. Seit es Staaten und Verwaltungen in unserem heutigen Verständnis gibt, wird sie ausgeübt. Seit es Minister gibt, sind sie von solchen Personen abhängig. Ihre Funktionen, Arbeitsweisen und ihre Bedeutung haben sich im Kern wenig verändert, nur die Erscheinungsform passte sich dem Wandel der Politik und Gesellschaft an. Zunächst war es das Mitglied des Geheimen Rates, das dem Kaiser mit Rat und Tat zur Seite stand, dann trat der Hofrat beim k. u. k.-Minister in Erscheinung, danach der Sektionschef oder Kabinettschef in republikanischer Zeit. Ab und zu konnte es auch ein Universitätsprofessor sein. Und mit der Zeit modernisierte sich diese Rolle hin zum Medienstrategen, Consulter und Sonderberater.
Die Einflüsse dieser Ratgeber sind nicht immer klar nachvollziehbar, schließlich wird nach außen hin bloß der politische Wille des Ministers und der Regierung sichtbar. Unbestritten ist jedoch, dass die höchsten Ränge der Bürokratie und die beigezogenen externen Experten enormen Einfluss haben. Sie sind rechte Hand, Auge und Ohr des Chefs, sie entscheiden, wer und was zu ihm vordringt und wer und was nicht, sie entwickeln, wie er denkt und was er sagt. Die graue Eminenz ist immer in der Nähe, wenn entschieden wird, sie lenkt und steuert – zumeist erfolgreich – in die gewollte Richtung, sie vermag einer Entscheidung im Nu zur Umsetzung zu verhelfen oder alles so zu steuern, bis die Sache still im Sande verläuft. Geschickt kann sie Hindernisse aufbauen und wachsen lassen, sie aber gleichzeitig so kunstvoll tarnen, dass sie zunächst ebenso wenig wahrgenommen werden wie derjenige, der sie errichtet hat – bemerkt werden sie erst, wenn es zu spät ist und wieder einmal eine Initiative an den „allgemeinen Umständen“ scheitert. Die graue Eminenz erkennt frühzeitig Fallstricke, beseitigt sie unmerklich oder knüpft sie noch fester. Sie weiß, wie es geht, und stellt dieses Wissen auch zur Verfügung – vorbehaltlos oder nur teilweise, allen oder nur Ausgewählten, rechtzeitig oder im Nachhinein.
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