Auf dem Esszimmertisch lag ein in dunklen Farben gemusterter Teppich. Die Mutter nahm ihn sofort ab, damit ihn keiner schmutzig machte. Der Vater erklärte: Hier sagt man dazu Tischkled. Was glaubst du, wie viel Dreck das schon geschluckt hat! Mutter breitete eine mitgebrachte abwaschbare Decke über den Tisch.
Zum Frühstück gab es Schokoladen-Hagelschlag auf fertig geschnittenem weißen Brot. Es war so weich wie Krantenbollen. Vater fragte, was heißt das Wort? Denkt nach! Hört nach! Hören ist eine einfache Übung. Krantenbollen sind Korinthenballen!
Morgens aßen nur die Eltern mitgebrachte Marmelade. Die Kinder durften beim Frühstück holländisch hageln, soviel sie wollten.
In diesem Sommer übte Marie Schwimmen. Am Seeufer lagen splittrige Holzbohlen, der Vater schmirgelte eine ab und sagte zu den Kindern: Das ist Lili. Das ist ein Nilpferd, das es aus Ägypten bis hierher geschafft hat.
Jutta und Barbara winkten ab: Ein Wasserspielzeug für die beiden Kleinen. Mutter sagte: Katrin geht nicht allein mit einem Tier ins Wasser. So kamen Lili und Marie zusammen. Jutta stieß Pferd und Reiter ab, Marie strampelte mit den Beinen, doch der Schwung war schnell weg, und Jutta mochte nicht lange Trainer der beiden sein. Der Reiter übte allein mit dem Nilpferd weiter, doch Lili bockte, wollte schon das Aufsteigen verhindern, drehte sich tückisch. Marie verstand es, sie dachte daran, ihr die Freiheit zu schenken. Lili sah erleichtert aus, wenn sie am Ufer dümpelte, allein, ohne Reiter. Barbara half Marie mit dem Schwimmen, du musst dir vorstellen, du bist ein Hund! Sie kontrollierte Vorderläufe, Hinterläufe, Kopfstellung. Eines Tages lief Marie zu den Eltern, jetzt kann ich schwimmen, drei Stöße! Barbara sagte: Beim ersten hat sie im Wasser gestanden. Der zweite Stoß war gut. Beim dritten ist sie untergegangen, ich musste sie retten. Lüge, rief Marie. Katrin sagte, ich kann auch schwimmen. Ihr beiden Kleinen haltet den Mund, sagte Jutta, hat man hier nirgendwo Ruhe? Barbara sagte, Marie kann nicht schwimmen, es war nur ein Stoß. Marie trat sie ins Schienbein. Katrin rief, die beiden Großen haben uns gespritzt! Mutter fragte, muss ich euch daran erinnern? Wollt ihr wie Kain sein, der seinen Bruder Abel erschlug? Der Frieden beginnt im Kleinen!
In diesem Sommer fing Marie an, von uns drei Großen zu sprechen.
In diesem Sommer kam der Pater Hugo aus Amsterdam zu Besuch. Vater hatte mit ihm in Bonn studiert. Pater Hugo war Jesuit, man sah es am Kreuz am Jackett. Er stand so früh auf wie die Lerchen, verließ das Haus, um Gott am See zu begrüßen. Kam er zurück und fand jemanden auf den Beinen, meistens noch im Schlafanzug, fing er zu singen an: Guten Morgen, guten Morgen, ich wünsch’ einen guten Tag . Vater wälzte sich im Bett: Frühmorgenfrohnatur. Ich schlafe. Mutter kochte Tee, der Pater kam in Fahrt: Ohne Kummer, ohne Sorgen, ohne Krankheit und ohne Plag’, ob es stürmt oder ob es regnet, ob die Sonne gülden scheint: Der Herrgott der segnet’s, weil er’s gut mit uns meint. Mutter brachte dem Vater Tee ans Bett und nannte ihn Nachteule. Er trank und verschwand unter seiner Decke.
Aber sobald er auf den Beinen war, sprach er gern mit dem Pater. Beide bewunderten den gestirnten Himmel über den Menschen und die Moral in ihnen, sie sprachen von Wissenschaften und Gott und Tugend, sie landeten bei der Kirche. Wenn einer den anderen Ketzer nannte, war es ein Lob. Einmal beim Abendbrot wollten sie klären, wie wir als heutige Katholiken das Geheimnis der Kommunion feiern wollen und dürfen.
Marie war noch zu klein, um Jesus zu empfangen, aber Jutta und Barbara hatten es trotz Verbot oft mit ihr durchgenommen. Man kniete sich hin, öffnete seinen Mund und streckte die Zunge heraus, ohne Fratzen zu schneiden. Man musste die Augen Richtung Himmel heben oder sie schließen, dann legte der Priester einem die heilige Hostie in den Mund. Du musst sie lutschen, hatte Barbara gesagt, die Hostie ist kein Hühnerflügel!
Der Pater sagte, wir Amsterdamer spenden uns die Kommunion von Hand zu Hand, das wird bald überall so sein. Wir küssen auch dem Papst nicht mehr die Füße. Wir alle sind Brüder und Schwestern. Vater prostete ihm zu, die beiden redeten unverständlich. Schließlich mischte Mutter sich ein: Die Hostie ist der Leib Christi. Wir Menschen sind Sünder. Ich habe gelernt, wir haben schmutzige Hände und sollen ihn nicht berühren. Der Pater rief, Gott kennt keinen Dreck. Selbst die Fliege ist ein Teil der Schöpfung! Der Vater sagte, in der Ewigkeit ist Gott in allem, in der Seele und im Engel und auch in der Fliege. Mutter sagte: Nein. Der Pater sagte: Gehen wir zu Jesus. Er ist Mensch geworden, unser Bruder, er aß mit niedrigen Zöllnern! Das war ein einfaches Essen, sagte Mutter, und keine Kommunion. Und wenn wir im Gedenken an Jesus das Abendmahl feiern, wird aus einfachem Brot sein Leib! Die Hostie, das ist nicht irgendein Brot! Der Pater sagte, ob du nun eine Oblate isst oder ein Schwarzbrot oder Krantenbollen, bleibt sich gleich, es kommt nur auf den Segen an. Vater nickte, geweiht ist geweiht.
Jutta sah Barbara und Marie streng an und biss sich auf die Lippen. Barbara und Marie nickten. Jutta hatte einmal Mandeln als Oblaten für die Kommunion gesegnet und in Jesu Leib verwandelt. Später, als sie Rosinen segnete, hatte der Vater sie erwischt und die Messe verboten: Ihr seid keine Priester. Ein Mann muss erst studieren und geweiht werden, bevor er Priester wird. Der Vater wusste nicht, dass Jutta Barbara geweiht hatte und umgekehrt, schon waren sie in Männer und Priester verwandelt, im Namen des Vaters, des Sohnes, des Heiligen Geistes, Amen. Marie war Zeuge, war der Messdiener, der vor den Priestern kniete und sein Jojo pendeln ließ, die Weihrauchkugel.
Die drei Großen saßen wortlos am Abendbrottisch, die Jüngste sprach mit ihrem Teddy Judith. Der Pater und der Vater stritten über Päpste.
Nun wollen wir danken, sagte Mutter endlich, sie wusste, die Kinder langweilten sich.
In diesem holländischen Sommer gab es Haustage und Reisetage. Die Haustage waren für Kinder einfach, man spielte zusammen, oder jeder war mit seiner eigenen Welt befasst.
Mutter hatte alle im Auge, Vater kämpfte mit seinem Aufsatz. Er mochte lieber Reisetage.
Einmal fuhren sie an die Nordsee, tobten in den Dünen, sprangen in die Wellen, ließen sich wiegen. Eine rosaweiße Qualle sah so aus wie feinste Spitze, und Marie wollte dies schönste Tüchlein greifen, rührte es nur an und war überwältigt von Schmerz, vergiftet, verbrannt, erstochen. Sie verlor ihre Grenzen, schrie und wurde mit Wasser begossen. Sie weinte, beruhigte sich nur langsam. An diesem Tag spendierten die Eltern den Kindern zweimal Eis. Abends in Genepp briet die Mutter einen Knochenfisch, der Butt hieß und ein großes und ein kleines Auge machte.
Ein andermal fuhren sie ins Naturschutzgebiet De Hoge Veluwe. Spielplätze mit Geräten, wie die Kinder sie in Deutschland nie gesehen hatten. Im Museum von Ehepaar Kröller und Möller durften Jutta und Katrin auf das Frauenklo, denn sie hatten zwar kurze Topfhaarschnitte wie die beiden anderen, aber sie trugen Kleider. Barbara und Marie in ihren Spielhosen sollten aufs Männerklo und wollten nicht und sagten widerstrebend meisje, meisje. Draußen im Park stand ein bronzener Mann namens Monsieur Jacques. Vater gab ihm die Hand und Mutter schoss ein Foto.
Tagestouren, Holland. Wenn ihr nicht dumm erscheinen wollt, sagt ihr, die Niederlande, wiederholte der Vater zum x-ten Mal. Eine Stadt hieß Arnhem, eine andere hieß anders. Überall gab es Museen und Gotteshäuser, die er besichtigen wollte. Er hielt Vorträge und fragte ab. Kirchenfenster mussten unterschieden werden, sie waren romanisch, nicht römisch, oder sie hießen noch anders. Einfacher war es, Säulen nach ihrem Wert zu bestimmen. Man klopfte sie zur Probe an und wusste, es ist edler Marmor oder nur bemaltes Holz.
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