Ein Seufzen, das aus den Tiefen ihrer Seele zu kommen schien, entrang sich ihrer Kehle. „Jemand muss das Rad am Laufen halten, bis die Nachfolge geklärt ist.“ Die Büroleiterin zwang sich zu einem Lächeln, das jedoch traurig ausfiel. „Das Leben geht weiter, wissen Sie?“
Und wie Heinz das wusste!
„Bitte kommen Sie hier herein.“ Waltraud Mühlwirth trat zu einer Seitentür und ging voran in ein Büro, welches das krasse Gegenteil von jenem zu sein schien, aus dem sie kamen. Der Raum war geräumig und hell, ein großer Schreibtisch mit einem wuchtigen Lederstuhl stand am Fenster, die andere Raumhälfte wurde von einem Besuchertisch samt Sesseln dominiert. „Nehmen Sie Platz“, sagte die Büroleiterin, während sie die Sitzgruppe umrundete und zu einem niederen Schrank ging, auf dem Kaltgetränke, eine Kaffeemaschine, ein Wasserkocher, Gläser und Kaffeegeschirr sowie Teebeutel und Zuckerpäckchen Platz fanden.
Heinz ließ sich nieder und sah sich um. Die Wände waren mit modernen, farbenfrohen Kunstwerken behängt, in den Ecken standen schmale Büroschränke. Waltraud Mühlwirth stellte ungefragt ein Wasserglas vor ihn hin sowie eine kleine Glasflasche mit stillem Wasser mit Apfel-Rosengeschmack, die sie sogleich öffnete. Es wirkte wie eine automatische Bewegung.
„Ist das hier ...?“
„Rudis Büro.“ Frau Mühlwirth nickte. „Das heißt, jetzt natürlich Ex-Büro.“ Sie griff hinter sich und zauberte eine Glasschüssel mit Gummibärchen auf den Tisch. „Die hat er so gerne gehabt.“ Ihre Stimme erstickte, aber nur kurz. Sie setzte sich Heinz gegenüber. „Sie müssen wissen, dass dies hier auch das Büro seiner Mutter gewesen ist, als sie Landesrätin war. Dazwischen waren freilich ein paar andere Landesräte hier, aber nach dem letzten Regierungswechsel habe ich mein Büro wieder gleich eingerichtet wie damals. Es kommt mir oft so vor, als wäre ich hier nie weggewesen.“
„Sie waren auch die Büroleiterin von Frau Doktor Moritsch?“
„Ganz genau.“ Heinz vernahm den Stolz in ihrer Stimme. „Ich bin ein Teil dieser Kontinuität, wenn Sie so wollen.“
Heinz verstand nicht. „Welche Kontinuität meinen Sie?“
„Na, dass die Mutter dem Sohn den Stab weiterreicht, dass wir wieder in denselben Räumlichkeiten unterkommen, dass Rudi Maßnahmen wiederaufgenommen hat, die seine Mutter seinerzeit in die Wege geleitet hatte und so weiter.“
„Ach so?“ Heinz dachte an die herrische Liese Moritsch und fragte sich, inwieweit die Fortführung ihrer Maßnahmen die Idee ihres Sohnes gewesen sein mochte. „Welche Maßnahmen zum Beispiel?“
Waltraud Mühlwirth ließ sich nicht lange bitten. „Zum Beispiel das Programm Landeseigentum gegen Arbeitsplätze . Damit ist es seinerzeit schon ihr gelungen, aberhunderten Menschen Arbeit zu geben, und Rudi war auf dem besten Weg, sie noch zu übertrumpfen.“
„Davon habe ich gelesen“, hakte Heinz ein, „gibt es da eigentlich kein Problem, dass die Verkäufe immer über dieselbe Firma abgewickelt werden? Ich denke, Landesaufträge müssen immer ausgeschrieben werden.“
Die Büroleiterin schenkte Heinz einen vielsagenden Blick über die Ränder ihrer Brillengläser hinweg. „Offiziell schon. Aber wenn man so viele Jahre so gut mit einem Partner wie der Immosorg zusammenarbeitet, dann wäre es doch dumm, ihn zu wechseln. Und nachdem wir die Kriterien vorgeben, nach denen wir unsere Projektpartner suchen ...“
Sie ließ den Satz offen, doch Heinz wusste, was sie meinte. Es war ein offenes Geheimnis, dass in der öffentlichen Verwaltung die vom Gesetz verlangten Ausschreibungen so formuliert wurden, dass nur der Bewerber sie erfüllen konnte, für den man sich vorab schon entschieden hatte. Eines aber interessierte ihn. „Das heißt, Immosorg hat schon damals den Kauf und Weiterverkauf der Landesgrundstücke abgewickelt, als noch die Mutter von Herrn Moritsch Landesrätin war?“
„Ja, die hat das eingefädelt.“ Waltraud Mühlwirth nickte. „Sie hat ein ausgezeichnetes Verhältnis zum damaligen Chef Herrn Sorger gehabt. Er war auch der Gründer von Immosorg . Die jetzige Geschäftsführerin ist seine Nichte.“
Auch wenn er nicht sagen konnte warum, spürte Heinz, dass dies von großer Bedeutung für seine Ermittlungen war. Er hoffte inständig, dass er sich das alles merken würde, zumindest in den Grundzügen. „Sagen Sie, war da nicht auch die Rede von einem Kirchengrund und einem Altersheim?“
„Ja“, die Büroleiterin wurde schlagartig betont sachlich, „ja, ich weiß schon, was Sie irritiert, das ist auch den Medien so gegangen. Sie fragen sich, warum der Herr Landesrat zwischen der Immosorg und der Kirche vermittelt hat. Da waren die wildesten Spekulationen dabei, dass Rudi Schmiergelder kassiert hätte und so weiter, aber keiner hat das große Ganze gesehen, die Vision.“ Ihre Arme unterstrichen ihre Worte mit einer ausladenden Bewegung.
Heinz fühlte sich ertappt, denn auch er hatte angenommen, Landesrat Moritsch hätte eine Vermittlungsprovision kassiert – doch im nächsten Moment wurde ihm klar, dass diese Aussage von Frau Mühlwirth nichts weiter war, als ein rhetorischer Trick. Indem sie selbst den naheliegenden Verdacht aussprach, nahm sie ihm die Glaubwürdigkeit. Heinz war gespannt, welche Begründung sie nun vorbringen würde.
„Wenn man nämlich die Vision betrachtet“, fuhr die Büroleiterin fort, „erkennt man, wie sehr dieses Geschäft mit der Kirche das Gesamtprojekt abrundet. Denn worum geht es bei diesem Projekt? Es geht um eine Gesamtlösung zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger Kärntens. Grundstücke, die dem Land Kärnten gehören, und damit den Bürgerinnen und Bürgern, werden verkauft und das Geld in Arbeitsplätze investiert. Im ersten Schritt profitieren nur wenige davon, das ist klar, aber insgesamt gesehen steigt mit dieser Maßnahme, wenn man sie konsequent durchführt, die Kaufkraft und damit, über den Wirtschaftskreislauf, der Wohlstand für alle. Das ist die Vision, und deshalb brauchen wir den Schulterschluss möglichst vieler Institutionen im Land. Wenn jeder einen Beitrag leistet, profitieren alle davon und das war es, wovon der Herr Landesrat den Herrn Magister Weißhaupt von der katholischen Kirche überzeugt hat, das war seine Vermittlungsleistung.“
„Aber was hat die Kirche davon?“, fragte Heinz.
Waltraud Mühlwirths Miene war wie versteinert. „Da haben wir es schon wieder, Sie verstehen mich nicht. Genauso wie die Medienvertreter. Noch einmal: Es geht hier nicht um Profit, es geht hier um das Wohl für alle Kärntnerinnen und Kärntner. Der Herr Landesrat hat den Herrn Magister Weißhaupt davon überzeugt, dass dieses Geschäft einem guten Zweck dient. Junge Menschen bekommen Arbeit und können ihre Familien ernähren, alte Menschen werden versorgt – das deckt sich mit den Kircheninteressen. Der günstige Verkaufspreis ist folglich eine Art Investment in die eigene, in die gute Sache. Und nebenbei bemerkt“, sie senkte ihre Stimme verschwörerisch, „haben wir etwas Glück gehabt. Die katholische Kirche hat das fragliche Grundstück erst vor Kurzem geerbt. Es ist viele Jahre lang brach gelegen und hätte erst für eine Menge Geld erschlossen werden müssen. Diese Kosten hat sich die Kirche mit dem Verkauf erspart, das relativiert das finanzielle Opfer nicht unwesentlich.“
Heinz war nicht hier, um über politische Vorgänge zu streiten, deshalb nickte er und lächelte, als würde er verstehen.
In Wahrheit glaubte er der Büroleiterin kein Wort. Die Erschließungskosten als Argument für einen Preisnachlass in Höhe von fünfhunderttausend Euro vorzubringen, das war, als würde man seinen Diskussionspartner für dumm verkaufen. In dieselbe Kategorie fiel die Mär von der Menschlichkeit in der Politik. Wann immer Heinz hörte, dass etwas „zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger“ geschah, wusste er, dass die damit gerechtfertigte Aktion in Wahrheit zum Wohle des jeweiligen Politikers oder dessen Partei in die Wege geleitet wurde. Und wenn es um Geld ging, dann war Menschlichkeit das Letzte, was eine Rolle spielte, egal, bei welcher Institution.
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