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Kapitel 1
Mittwoch, 22 Uhr
Ein kalter Windstoß wehte über den Parkplatz, als Heinz Sablatnig auf den Eingang zum Abflugbereich zuging. Dort sah er Direktor Oberhofer wie einen Tiger in seinem Käfig hin- und herlaufen.
„Na endlich, Sablatnig, wo bleiben Sie denn?“
Heinz drückte ihm stumm die Hand. Es hatte keinen Sinn, darauf hinzuweisen, dass er pünktlich gekommen war, Oberhofer brauchte offenbar das Gefühl, in der Offensive zu sein, egal ob er im Recht war.
„Kommen Sie“, sagte der Direktor, „wir müssen dorthin.“ Er wandte sich nach rechts und ging voraus, der Außenfassade des Flughafens Klagenfurt entlang.
Als Landesdirektor der Fiducia Versicherungsgesellschaft für Kärnten und Osttirol war Oberhofer der beste Kunde von Heinz Sablatnigs Ein-Mann-Detektei. Nicht nur, dass er gut und pünktlich bezahlte, auch seine Aufträge waren immer interessant, oft auch außergewöhnlich. Das erleichterte es Heinz, über das anmaßende Verhalten des Direktors hinwegzusehen.
Dieser betrat nun das Flughafengebäude durch eine unscheinbare Tür, die zu einem engen Gang führte. Heinz folgte ihm bis zu einer schmalen Glasfront, hinter der ein Mann saß, dem der Landesdirektor grußlos seinen Ausweis hinhielt und erklärte: „Oberhofer und Sablatnig.“
Der Mann nickte und warf einen Kontrollblick auf den Monitor vor sich. „Ihre Maschine landet gleich“, sagte er.
Heinz stutzte – unsere Maschine?
Der Direktor musterte ihn mit einem verstohlenen Seitenblick. Er fand es wohl seltsam, dass Heinz ihm keine Fragen stellte. Dann ging er weiter voran zum Sicherheitskorridor, wo zwei Security-Leute auf sie warteten. Außer Heinz und Oberhofer waren keine weiteren Fluggäste zu sehen. Heinz empfand die Situation als eigenartig – aber nicht eigenartiger als die Tatsache, dass er mit Oberhofer nun irgendwohin fliegen sollte.
Als der Versicherungsmann ihn am Nachmittag angerufen hatte, hatte er nichts davon erwähnt, sondern nur gesagt, Heinz solle ihn um 22 Uhr vor dem Eingang zum Abflugbereich treffen. Aber Heinz war es gewohnt, dass sein Auftraggeber Informationen zurückhielt, das gab ihm Macht über andere – wie er offenbar glaubte. Heinz seufzte.
Nach dem Sicherheitscheck legte er seinen Gürtel wieder an und verstaute Brieftasche, Schlüssel und Mobiltelefon. Dann gingen er und der Direktor auf das Rollfeld hinaus. Obwohl es Mitte Juli war, trugen sie beide Windjacken, denn die Kaltwetterfront der vergangenen Woche hatte die Temperaturen empfindlich sinken lassen. Zwar war sie mittlerweile wieder abgezogen, doch der Sommer kehrte nur langsam zurück. Die Jacke erwies sich nun als gute Wahl, denn der böige, unangenehm kalte Wind wurde stärker. Heinz hörte das entfernte Aufbrüllen von Flugzeugturbinen, und schon im nächsten Augenblick zischte hinter den Hangars für die Sportflugzeuge ein Privatjet auf der Landebahn daher und verlor rasch an Geschwindigkeit.
Direktor Oberhofer deutete mit dem Kinn auf die kleine Passagiermaschine und brummte: „Das ist sie.“
In nunmehr langsamer Fahrt und mit blinkenden Lichtern verließ das Flugzeug die Landebahn und folgte dem Kleinwagen mit dem Follow Me -Schild, welcher auf das Flughafengebäude zusteuerte. Etwa dreißig Meter vor ihnen schwenkte das Flugzeug nach rechts und blieb stehen. Am Rumpf sah Heinz den Schriftzug eines deutschen Bioenergie-Unternehmens und am Seitenleitwerk das dazugehörige Logo. Das musste nichts bedeuten, denn wie Heinz wusste, vermieteten große Firmen ihre Jets, wenn sie sie selbst nicht brauchten. Damit finanzierten sie einen Teil der Erhaltungskosten.
Nach einigen Sekunden schwoll der Turbinenlärm ab, und schließlich klappte direkt hinter der Pilotenkanzel eine Tür nach unten, an deren Innenseite eine Stiege angebracht war. Ohne ein Wort zu sagen, ging der Landesdirektor auf den Jet zu. Heinz folgte ihm. Aus der Türöffnung lächelte ihnen eine Frau mit ostasiatischen Zügen entgegen. Die Stewardess war mit einer adretten, für Heinz’ Geschmack etwas zu offiziellen Uniform bekleidet. Ihre streng nach hinten gebundenen Haare schimmerten im selben Schwarz wie ihre mandelförmigen Augen, als Kontrast dazu leuchteten ihre weißen Zähne zwischen dunkelroten Lippen hervor.
„Willkommen an Bord“, sagte sie mit norddeutschem Akzent, als Oberhofer und Heinz die Treppe hinaufstiegen.
Während der Versicherungsmann aufgrund seiner Körpergröße geduckt die Fluggastkabine betrat, las Heinz die Typenbezeichnung des Flugzeugs, die neben dem Einstieg am Rumpf angebracht war: Bombardier Learjet 85 .
„Wenn Sie bitte Platz nehmen würden?“ Die Stewardess deutete mit einer eleganten Handgeste in den Fluggastraum.
Rechts und links eines engen Mittelgangs waren je vier Sitze in zwei einander gegenüberliegenden Paaren montiert. Der ganze Innenraum war in cremeweißen Tönen gehalten und wirkte höchst elegant. Von den beiden in Flugrichtung positionierten Sitzpaaren erhoben sich zwei Männer – die einzigen Passagiere des Learjets. Der eine war schlank und ein paar Zentimeter kleiner als Heinz; er schätzte ihn auf einsfünfundsiebzig. Er trug eine Designerbrille und Freizeitkleidung, der Heinz auf den ersten Blick ansah, dass sie nie auf einem Wühltisch gelegen war. Dies und ein flotter Kurzhaarschnitt verliehen dem Mann ein jugendlich-agiles Aussehen, welches jedoch keinem zweiten Blick standhielt. Seine Bewegungen, vor allem aber seine Augen verrieten Heinz, dass der Mann eher Ende dreißig als Ende zwanzig war.
Den zweiten Fluggast konnte Heinz noch leichter einschätzen. Im Gegensatz zum ersten war er eindeutig Ende zwanzig und trug einen erkennbar billigen Anzug, in dem er wirkte, als fühlte er sich nicht wohl darin. Er war breit gebaut, sein Kurzhaarschnitt wirkte militärisch, und sein weißes Hemd war von Muskeln gewölbt. Seine Augen schnellten umher, als wollten sie möglichst rasch möglichst viele Details erfassen. Heinz nahm an, dass dieser Mann der Leibwächter des anderen war.
Oberhofer schüttelte beiden Männern die Hände, während er sich in weltmännischer Manier vorstellte. „Guten Abend, Magister Oberhofer, Landesdirektor der Fiducia Versicherungsgesellschaft. Schön, dass Sie es einrichten konnten.“
Dann setzte er sich dem Schlankeren gegenüber, der sowohl ihn als auch Heinz mit: „Frank Mertens, freut mich“, begrüßte.
Als Heinz dem Zweiten die Hand drückte, starrte dieser ihm in die Augen und sagte kurz und mit tiefer Stimme: „Müller.“ Er war etwas größer als Heinz, und der Druck seiner Hand war wie der einer Schraubzwinge. Heinz ließ sich ihm gegenüber auf dem cremeweißen Ledersessel nieder.
„Was darf ich den Herren zu trinken anbieten?“
Heinz wandte den Kopf und blickte in das professionell-freundliche Gesicht der Stewardess über sich. „Tomatenjuice, bitte.“
Wenn er flog, trank Heinz immer Tomatensaft, sonst aber nie. Auf dem Tischchen zwischen ihm und Müller stand eine halb leergetrunkene Kaffeetasse, auf jenem zwischen Oberhofer und Mertens ein Glas mit einer klaren Flüssigkeit und ein paar Eiswürfeln; Heinz tippte auf Gin Tonic.
Nachdem der Landesdirektor stilles Wasser bestellt hatte, kam Frank Mertens ohne Umschweife zur Sache: „Machen wir es kurz, ich muss heute noch nach Palma. Saskia soll auf Mallorca ein Konzert geben, und ich bin mit den Konditionen des Veranstalters dort noch nicht einverstanden.“
Heinz fiel auf, dass Mertens’ Sprechweise zwischen Hochdeutsch und einem bayerischen Dialekt schwankte.
„Worum geht es hier. Wie Sie wissen, tritt Saskia am kommenden Freitag und Samstag beim Zwanzig-Jahr-Jubiläum der Starnacht am Wörthersee auf. Eine große Ehre, die sie zweifellos verdient hat.“
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