»Kimball?« Der Monsignore drückte jetzt seine dritte Zigarette im Aschenbecher aus. »Sie sagen doch im Grunde damit, dass Sie versucht haben, diesen Jungen zu retten, um sich – wie sollen wir es nennen? – reinzuwaschen von dem Mord an den beiden Kindern im Irak.«
»So habe ich es aber nicht ausgedrückt.«
»Aber in diesem Sinne gehandelt.«
»Wenn Sie es so auslegen möchten, bitte.«
»Was ich allerdings nicht verstehe: Warum gerade dieses eine spezielle Kind, gegen das sich Kardinal Vessucci so vehement gesträubt hat?«
»Ich hatte meine Gründe dafür.«
»Würden Sie diese für mich spezifizieren?«
»Spezifizieren?«
Der Monsignore gestikulierte mit seinen Händen. »Genauer ausführen, detaillierter erklären.«
»Warum dann diese geschwollene Ausdrucksweise?«
»Nun, würden Sie es bitte tun?«
»Nein.«
»Dann erzählen Sie mir wenigstens von Ezechiel, jetzt wo er erwachsen ist.«
Hayden zögerte zunächst, während sich Giammacio eine weitere Zigarette nahm, und entgegnete dann schließlich: »Ich fand irgendwann Zugang zu ihm, genauso wie ich es vorhergesehen hatte, und machte ihn dann lauter.«
»Lauter?«
Kimball fuchtelte spöttisch mit seinen Händen herum, um die Gesten des Geistlichen nachzuahmen. »Jemandem Redlichkeit beibringen, bis er aufrichtig und unverdorben ist.«
Der Monsignore grinste. »Warum dann diese geschwollene Ausdrucksweise?«
Kimball erwiderte das Grinsen.
»Die Zeit ist leider um«, fuhr der Berater fort. »Nächste Woche machen wir an dieser Stelle weiter. Bei Ezechiel.«
»Über ihn gibt es aber nicht viel zu erzählen, nur dass er sich tatsächlich zu einem der Besten im Bunde der Ritter des Vatikans gemausert hat.«
»Vielleicht nicht direkt über ihn als Person, sondern eher was seine Errettung auf psychologischer Ebene bedeutet.«
Hayden stand auf und bot dem Monsignore die Hand an, doch dieser schüttelte sie nicht, sondern lächelte ihn nur freundlich an.
»Letztes Mal hätten Sie mir fast die Hand zerquetscht. Um meine Lehre aus etwas zu ziehen, brauche ich sozusagen nicht die andere Wange hinzuhalten.«
Während der Ritter den Arm wieder hängenließ, klopfte es leise an der dicken Holztür, deren Paneele mit schwarzen Beschlägen und Nieten zusammengefügt waren; eine dürftige Imitation mittelalterlicher Zimmerei.
Als der Therapeut die Tür öffnete, stand ein Bischof auf der Schwelle, der seine Hände in den Ärmeln seines Gewands verbarg.
»Ich bedauere es zutiefst, Sie zu stören, Monsignore, doch der Heilige Vater verlangt, mit Mr. Hayden zu sprechen. Er meinte, es sei recht dringend, und erwartet ihn deshalb jetzt in seinem Gemach.«
»Ist schon in Ordnung«, beschwichtigte ihn Giammacio. »Unsere Sprechstunde ist sowieso gerade vorbei.«
Er hielt die Tür weit auf und winkte dann mit der anderen Hand, damit Hayden hinausging. »Nächste Woche, Kimball, und ich weiß, ich wiederhole mich ständig: Bitte kommen Sie pünktlich.«
»Auf die Minute genau, Doktor.«
Der Monsignore seufzte. »Das glaube ich erst, wenn ich es erlebe.«
Das Gemach des Papstes wirkte überladen wegen des geäderten Marmorbodens, der wie eine Eisfläche glänzte, und auch wegen der dunkelroten Vorhänge mit den goldenen Bogenkanten vor den bis unter die Decke reichenden Fenstern. Kerzenleuchter aus poliertem Messing flankierten die sechs Fuß hohen Porträts früherer Päpste, woraus sich eine anhand Ihrer Amtszeit als Gottesdiener chronologisch geordnete Galerie an den Wänden ergab. Das Zimmer war sehr geräumig und stand stets im Mittelpunkt aller päpstlichen Aktivitäten.
Nachdem Kimball eingetreten war, fiel die hölzerne Doppeltür langsam hinter ihm zu. Seine Schritte hallten leise wider, während er auf den Mahagoni-Schreibtisch des Kirchenoberhaupts zuging, in dessen Seiten Engel und Putten geschnitzt waren.
Papst Pius XIII saß in einem edlen Ledersessel, dessen Polster mit Knöpfen verziert war. Neben ihm stand Kardinal Vessucci in der üblichen Tracht, einer Simarre mit scharlachroten Säumen und einem gleichfarbigen Käppchen. Er schien Fotos in der Hand zu halten, die er dem Papst offensichtlich gerade gezeigt hatte, bevor Hayden hereingekommen war.
Pius XIII lehnte sich jetzt auf seinem Platz zurück und bedeutete dem Ritter, in einem der beiden Sessel vor dem Tisch Platz zu nehmen. »Es freut mich, dass Sie sich die Zeit nehmen konnten, Kimball. Es tut mir aufrichtig leid, Ihre Sitzung mit dem Monsignore gestört zu haben, doch in der gegebenen Situation führte leider kein Weg daran vorbei, Sie unverzüglich herzubestellen.«
Hayden setzte sich. »Wir waren sowieso fertig. Womit kann ich Euch dienen, Heiliger Vater?«
Pius wandte sich dem Kardinal zu, der dies als Zeichen dafür wertete, das Wort zu übernehmen. Er reichte Kimball daraufhin drei Hochglanzabzüge im Kleinbildformat. »Die haben wir gerade von unserem Nachrichtendienst erhalten«, erklärte er dazu.
Diese Institution, bekannter unter dem Kürzel SIV für Servizio Informazione del Vaticano , unterhielt diplomatische Beziehungen zu über neunzig Prozent aller Staaten auf der Welt und war im frühen 19. Jahrhundert gegründet worden, um die Bestrebungen zu vereiteln, die Macht des Kirchenstaates zu untergraben. Folglich hatte es die Kirche für notwendig gehalten, eine »inoffizielle« Sicherheitsagentur zu erschaffen, die mithilfe eines Systems aus vertraulicher Absprache und Informationsbeschaffung Probleme löste. Angesichts der zunehmenden Bedrohung durch extremistische Verbände war der SIV nach dem vereitelten Attentat auf Johannes Paul II allerdings zu einer nicht mehr wegzudenkenden Einrichtung geworden.
Kimball betrachtete nun die Fotos. »Ich kenne diese Männer«, sagte er. »Sie gehörten meiner alten Einheit an, den Acht.« Als er genauer hinschaute, sah er allerdings nur tote Gesichter und halb geschlossene Augen ohne Pupillen.
»Die Fotos wurden in behelfsmäßigen Leichenschauhäusern auf den Philippinen gemacht. Diese hier hingegen …« Er reichte Kimball drei weitere. »… stammen von den jeweiligen Orten, an denen man die Leichen gefunden hat.«
Sie lagen allesamt auf dem Bauch, sodass man ihre Gesichter nicht erkennen konnte. Ihre Oberteile waren aufgerissen und zur Seite gestreift worden, ein Buchstabe war in ihre Rücken geritzt worden. Darüber hinaus bemerkte er, dass man Walker an den Beinen eines Tischs festgebunden hatte, während seine eigenen Beine fehlten.
»Hat der Täter Walker etwa die Beine amputiert?«
»Nein, Signor Walker war anscheinend Söldner – ein passenderer Begriff fällt mir nicht ein – und verlor sie bei einem Bomben-Anschlag im Irak. Signor Grenier und Signor Arruti führten wiederum ein Militärunternehmen auf den Südphilippinen und kümmerten sich um Walker, der in Manila wohnte.«
»Alte Waffenbrüder«, wisperte Hayden. Die Ritzungen beschäftigten ihn ebenfalls. »Hat das irgendeine symbolische Bedeutung?«
»Es sind bloß Buchstaben«, antwortete Vessucci sofort hastig.
»Sicher? Denn der eine sieht fast wie ein Blitz aus, der andere wie ein horizontal ausgerichtetes V, antike Runen oder so etwas in der Art.«
»Auf den ersten Blick ja, das stimmt, doch der SIV ist zu dem Schluss gelangt, dass es einfach nur grob ins Fleisch geschnittene Buchstaben sind. Man legt den Blitz als S aus, und das horizontal ausgerichtete V, wie Sie es nennen, soll ein C sein.« Der Kardinal gab ihm daraufhin noch ein Bild, worauf seine ehemalige Einheit für den Fotografen posierte. Kimball selbst kniete ganz rechts in der vorderen Reihe und präsentierte eine kalte innere Stärke. Jene Zeit lag nun schon eine gefühlte Ewigkeit zurück. Die stehende hintere Reihe bestand von links nach rechts aus Walker, Grenier und Arruti, die jeweils mit einem roten Stift umkreist worden waren. Auf Walkers Körper hatte jemand ein I geschrieben, auf Greniers ein S und auf Arrutis ein C.
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