In der letzten Sekunde des Countdowns traf die Spitze ihr Ziel und tötete Arruti auf der Stelle.
Der Killer hatte tatsächlich Wort gehalten.
Er hob das Shirt des Toten am Rücken hoch und schlitzte dann ein grobes C in das Fleisch.
Sein Auftrag auf den Philippinen war damit abgeschlossen.
Eine Woche später
Kimball Hayden hatte sich für eine weitere beschwerliche Sitzung im Sprechzimmer von Monsignore Giammacio eingefunden. Er saß jetzt still vor dem Therapeuten, der eine Zigarette in der Hand hielt.
»Bei Ihrem letzten Besuch haben wir doch sehr vielversprechende Fortschritte gemacht.«
»Verstehen Sie doch einfach, Padre. Ich bin nicht gut im Reden. Bin ich nie gewesen. In Situationen wie dieser komme ich mir einfach total unbeholfen vor.«
»Kimball, es sind noch zwanzig Minuten Zeit. Ich schlage vor, dass wir das Beste daraus machen. Möchten Sie, dass ich das Gespräch einleite?«
Hayden zuckte mit den Achseln. »Egal.«
Der Monsignore schnippte Glut von seiner Zigarette in den Aschenbecher. »Während Ihres letzten Termins wurde deutlich, dass Sie Ablass für Dinge suchen, die Sie in der Vergangenheit getan haben. Dennoch scheinen Sie zu denken, dass nichts etwas bringt, egal wie sehr Sie sich auch bemühen. So verbissen Sie auch nach dem Licht streben, glauben Sie, dass es am Tag des Jüngsten Gerichts nicht für Sie leuchten wird, ist das korrekt?«
»Passen Sie auf, Padre …«
»Habe ich Recht, Kimball?«
Er setzte sich jetzt aufrecht hin und nahm unbewusst eine abwehrende Haltung an. »Äh, nun ja. Vermutlich schon.«
»Unabhängig davon, wie sehr Sie sich in Gottes Auge um Sühne bemühen?«
Kimball beugte sich nach vorn und antwortete hörbar gefrustet: »Es ist doch so, ich töte Menschen! Das gehört zu meiner Arbeit. Und es ist etwas, worin ich gut bin.«
»Aber darüber haben wir doch bereits diskutiert, oder? Über die Art und Weise, wie Sie getötet haben, um das Leben des Papstes und die Leben der Bischöfe des Heiligen Stuhls zu retten. Sind wir nicht bereits gründlich darauf eingegangen?«
»Padre, ich habe zwei Kinder umgebracht.«
»Und seitdem, während Sie sich nach Vergebung für diese Tat sehnen, haben Sie da nicht viele andere Kinder vor dem Tod bewahrt?«
Hayden lehnte sich zurück und dachte nach.
Ritter des Vatikans wurden jung auserwählt; als Straßenkinder und Waisen mit trüben Zukunftsaussichten, aber großem Potenzial zur Entwicklung eines starken Charakters und überragender körperlicher Fähigkeiten. Um das Zeug zum Krieger zu haben, musste man hungrig sein und so gelehrig, dass man sich konsequent auf ein wissenschaftliches Studium und Selbstbetrachtung einließ. Das eigene Wesen zu erkennen bedeutete, Treue über alles andere außer der Ehre zu stellen.
Am Hilbert-Institut, einer Akademie für obdachlose Kinder, die zu alt zur Adoption waren, stand Kardinal Bonasero Vessucci neben Kimball. Sie waren auf einen Laufsteg mit Blick auf ein Basketballfeld gestiegen und hatten dort ihre Ellbogen auf das Geländer gestützt. Das aktuelle Spiel interessierte sie nicht sonderlich. Vielmehr konzentrierten sich beide auf einen Sportler, der auf der Bank saß – einen Jungen aus der dritten Reihe, der nur selten aufgestellt wurde.
»Um einen Ritter auszusuchen, Kimball, braucht man einen objektiven Blick und darf sich nicht von etwaigen Sympathien für ein Kind beeinflussen lassen. Dieser Bursche hier ist weder ehrgeizig noch begabt und der Verwaltung zufolge gesellschaftlich dermaßen abgeschottet, dass er keinerlei Freunde hat. So verhält er sich aber ganz bewusst.« Der Kardinal wandte sich Hayden zu. »Ihm fehlt alles, was nötig ist, um in fünfzehn Jahren die Verantwortung eines Ritters des Vatikans zu übernehmen.«
Kimball trat ein wenig zurück, um das Kind aus der Entfernung zu mustern. Er war ein schlaksiger Junge mit blasser Haut, der es viel spannender fand, mit einer Fußspitze Kreise in den Sand zu scharren, als das Spiel mitzuverfolgen.
»Er braucht eben einen Mentor«, sagte Kimball schließlich.
»Was er braucht, ist eine Person, die Wunder bewirken kann. Dort draußen gibt es weit mehr Kinder, die den Anforderungen entsprechen, die wir an kommende Ritter des Vatikans stellen.«
Hayden lehnte sich an das Geländer. »Wissen Sie, an wen mich der Kleine erinnert?«
Der Kardinal lächelte. »Ich tippe mal darauf, dass Sie jetzt sagen, er würde Sie an Sie selbst erinnern.«
»Genau das meine ich. Und erinnern Sie sich auch noch an die Person, die mir zur Hilfe gekommen ist, als ich sie am dringendsten benötigt habe?«
Vessucci nickte. »Das war ich.«
»In Venedig. Sie wussten alles über mich. Sie wussten von all den entsetzlichen Dingen, die ich getan habe. Dennoch verschlossen Sie sich nicht, sondern kamen mir entgegen … An dem Tag habe ich mich zum ersten Mal einem anderen Menschen gegenüber geöffnet.«
»Fähigkeiten, die ich mir erst aneignen musste. Denken Sie daran, dass wir alle zuerst unsichere Schritte machen, wenn wir als Kleinkinder das Gehen lernen, und mitunter auch hinfallen, jedoch immer wieder aufstehen und es erneut probieren, bis es uns schließlich in Fleisch und Blut übergeht.«
»Ich weiß nicht, Kimball, aber bei diesem Burschen habe ich einfach kein gutes Gefühl – und immerhin wähle ich schon sehr lange Ritter aus.«
»Sollte ich jemals dazu kommen, mir selbst ein Team zusammenstellen zu dürfen oder zukünftige Ritter auszuwählen, dann müssen Sie mir vertrauen. Warum sonst bin ich hier?«
»Um diejenigen zu erkennen und kennenzulernen, die aufgrund ihrer Eigenschaften dazu taugen, Seiner Heiligkeit in Zukunft beste Dienste zu leisten.«
Kimball seufzte. »Ich werde Zugang zu ihm finden.«
Der Kardinal drehte sich wieder zur Bank um und schaute dann auf den Jungen, der mit seinem Fuß weiter imaginäre Kreise zeichnete. »Zu manchen Menschen findet man leider einfach keinen Zugang, Kimball, egal wie eifrig man sich auch ins Zeug legt, und meines Erachtens nach hat sich dieses Kind schon zu weit in sich selbst zurückgezogen.«
»Meines Erachtens nicht.«
Daraufhin schwiegen die beiden vorübergehend.
»Ungeachtet meiner Einschätzung«, sagte Vessucci schließlich, »werden Sie sich nicht beirren lassen, oder?«
Hayden bekräftigte dies. »Nicht bei diesem Kerlchen, nein. Ich verlange nichts weiter, als dass Sie mir eine Chance geben, sein Mentor zu sein und ihn zu leiten. Denn dann garantiere ich Ihnen, wird er zu einem der besten Ritter des Vatikans avancieren, die sich der Papst vorstellen kann.«
»Sie setzen sich aber ein hohes Ziel in Anbetracht der Umstände. Man muss sich wesentlich mehr anstrengen, als Ihnen bewusst ist, um emotional und seelisch Zugang zu einem solchen Kind zu finden, das so sehr in sich gekehrt ist.«
»Falls gar nichts dabei herumkommt, haben wir wenigstens einem Bedürftigen die Möglichkeit gegeben, mehr aus sich machen zu können – und das ganz ohne großen Aufwand.«
Dies konnte der Kardinal natürlich weder widerlegen noch leugnen. »Sie haben gewonnen, aber lassen Sie mich zumindest noch einmal nachhaken: Sind Sie sich wirklich sicher, dass es ausgerechnet dieser Junge sein muss, wo doch so viele andere ebenfalls Gottes Hilfe bräuchten?«
Kimball nickte erneut und zeigte dann auf das Kind. »Er muss es sein.«
Vessucci erkannte die Unbeirrbarkeit seines Schützlings, der geradezu besessen davon war sich um den Knaben kümmern zu wollen, und drehte sich deshalb wieder zu dem allein dasitzenden Jungen um. »Dann nennen wir ihn doch … Ezechiel.«
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