»Das stimmt so nicht«, sagte er mit angespannten Kiefermuskeln. »Du kannst mich nicht dafür kritisieren, wie ich mein Leben führe. Es steht dir nicht zu, Mutmaßungen anzustellen, warum ich tue, was ich tue. Falls es dir nicht passt, kannst du dich sofort verziehen. Ich habe jede meiner eigenen Regeln gebrochen, indem ich dich am Leben und hierbleiben ließ. Reiz mich ruhig weiter, irgendwann verliere ich die Geduld. Dann schick ich dich mit nichts in die Wüste.«
Lola diskutierte nicht weiter mit ihm. Auch sah sie davon ab, zu schmollen oder zum Haus zurückzugehen. Stattdessen ließ sie sich auf die Knie fallen und faltete die Hände zu einem Gebet. Sie bat Gott um Unterstützung. Er sollte auf ihren Sohn achtgeben. Er sollte ihr auf dem Weg beistehen, den sie nun antreten musste. Er sollte ihren Gastgeber beschützen, egal wie stur der Kerl war.
Als sie wieder aufstand, war Battle mit der Beerdigung der Leichen fertig. Er hielt den Spaten in einer Hand und die andere an Lolas Rücken, während er sie zum Hauptgebäude führte.
»Ich brauche deine Hilfe«, sagte er. »Wir müssen uns auf einen möglichen Angriff vorbereiten. Gebete nutzen nur bis zu einem gewissen Grad.«
13. Oktober 2037, 10:46 Uhr – Jahr 5 nach dem Ausbruch – Abilene, Texas
Queho stieg mit Schwung von seinem Pferd und landete diesmal auf seinem gesunden Fuß. Er rückte seinen Hut zurecht, schob die Sonnenbrille auf seiner Nase hoch und wickelte die Zügel locker um einen hüfthohen Pfosten vor dem Hauptquartier des Kartells in der Stadt.
»Beeilung«, drängte er Salomon Pico. »Wir haben zu tun.« Er betrat den Gehsteig unter der breiten, grünen Markise des Gebäudes. Sein Klumpfuß schmerzte wie immer, als er die Doppelglastür aufdrückte und hineinging. Dabei beachtete er keinen der einfachen Soldaten, die neben dem Eingang Wache hielten.
»Du siehst nicht gut aus, Sal«, sagte einer von ihnen zu Pico.
Dieser trat langsam auf den Gehsteig. »Frag nicht weiter.«
»Wo sind die anderen?«, wollte der zweite Mann wissen.
Pico winkte ab und folgte Queho, nachdem er die Tür wieder aufgestoßen hatte. »Frag nicht weiter.«
Als er in das schwach beleuchtete Gebäude trat, war er froh um den Schwall kühler Luft, der ihm entgegenwehte. Der Ort, von dem aus das Kartell weite Teile von Zentraltexas regierte, hätte ebenso gut ein Saloon sein können, weil er so verraucht und muffig war. Pico entdeckte Queho auf der rechten Seite, wo er sich zu einer Gruppe anderer Cowboyhut tragender Bosse gesellt hatte, blieb jedoch stehen, bis er von ihm gerufen wurde.
Queho hatte auf einem Holzstuhl mit hoher Rückenlehne Platz genommen. Er war einer von fünf Anführern an einem runden Tisch, wo auch Cyrus Skinner saß, der Captain ihres Bezirks. Dieser trug einen weißen Hut und stieß Qualm durch die Nase aus, während eine Zigarette auf seiner dicken Unterlippe aus dem Mund ragte.
»Erzähl ihnen, was du mir erzählt hast«, verlangte Queho.
»Welchen Teil davon?«, fragte Pico.
Der Klumpfüßige schaute sich am Tisch um, bis er Skinners Blick begegnete, der ihm gegenüber saß. »Den Teil über Mad Max.«
Pico zog seine Schultern hoch und wäre unter den Augen der Bosse am liebsten im Boden versunken. Er schluckte mühevoll.
»Erzähl uns von Mad Max«, knurrte der Captain. Er hatte eine regelrechte Grabesstimme. »Diesem einzelnen Mann, der drei unserer Brüder auf dem Gewissen hat.«
»I-i-ich habe ihn n-n-nicht aus der Nähe ges-s-sehen«, stotterte Pico. »Es war dunkel. Er war schnell und stark, traf zielgenau.«
»Du hast ihn nicht gesehen?«
Pico zuckte wieder mit den Schultern. »Wie ich schon sagte, Boss, es war dunkel. Ich konnte nur einen kurzen Blick auf ihn werfen.«
»Und du bist dir sicher, dass er allein war?«, hakte Queho nach. »Mir hast du versichert, es genau zu wissen.«
»Das tu ich auch.«
Skinner zog noch einmal kräftig an seiner Kippe. Der Qualm waberte um seinen Hut herum. »Wie kommt es, dass wir diesen Mann nicht kennen?« Er riss seinen Blick von Pico los, um die anderen am Tisch anzuschauen. »Wir beherrschen dieses Gebiet seit mehr als drei Jahren … seitdem die US-Armee aus Texas abgerückt ist. Wie kann es sein, dass wir diesen Typen nicht längst entdeckt und erledigt haben?«
Die Braunhüte schüttelten ihre Köpfe. Niemand hatte eine Antwort für den Captain.
Der inhalierte noch einmal tief und genüsslich, bevor er mit einer Faust auf den Tisch schlug. Er verzog sein Gesicht vor Wut und schrie. »WARUM WUSSTEN WIR NICHTS VON IHM?«
Alle Bosse außer Queho versteckten ihre Augen unter den Krempen ihrer Hüte. Keiner von ihnen konnte sich dazu äußern. Der Klumpfüßige allerdings trotzte Skinners Blick.
»Wir müssen uns um ungefähr zweihundertsiebzigtausend Quadratmeilen kümmern, Skin, und die fallen größtenteils unter dein Kommando. Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, dass uns ein schwerer Junge irgendwo am Arsch der Welt am Ende der allerletzten Landstraße durch die Lappen gegangen ist.«
Der Captain öffnete und schloss seine Faust, während er auf den Handrücken schaute. »Das ist mir klar, Queho, aber es gibt keine Entschuldigung dafür, drei Männer wegen eines schweren Jungen zu verlieren. Vor allem wenn wir versuchen, eine Frau einzufangen, die uns vor der Nase davongelaufen ist.«
»Da hast du nicht unrecht. Ich schätze, wir sollten uns jetzt nicht damit aufhalten, was wir getan beziehungsweise unterlassen haben, sondern fragen, wie wir weiter vorgehen. Den Balg haben wir geschnappt. Jetzt müssen wir nur noch die Mutter kriegen und diesen Mad-Max-Typen kaltmachen.«
Skinner steckte sich eine neue Zigarette in den Mund und zündete sie an. Er atmete den Rauch tief ein und hielt die Luft an, bevor er ihn ausstieß. »Schlag was vor.«
»Lasst ihn uns schnell angreifen. Mit ordentlich Feuerkraft und vielen Männern.«
»Mit wie vielen?«
Queho suchte die Blicke der anderen Gruppenführer. Jeder Einzelne wich ihm aus. Er zog seine Mundwinkel langsam nach oben. Rückgratloses Pack.
»Fangen wir bei allen Bossen hier am Tisch an«, antwortete er. »Und ich nehme jeweils vier ihrer Leute.«
»Zwanzig also?« Skinner schnippte Asche auf den Boden. »Mehr nicht?«
Queho schüttelte den Kopf. »Nein, ich begleite sie und werde Pico mitnehmen. Er weiß, wo der Kerl wohnt, und kennt sich dort ungefähr aus.«
Der Captain nickte, die Kippe klebte schon wieder an seiner Unterlippe. »Klingt vernünftig für mich. Pico, was hältst du davon?«
Der Gefragte schaute ihn an. »Ich denke …«
Skinner würgte ihn ab: »Mir ist egal, was du denkst. Du ziehst mit.«
Pico zog sich weiter in den Schatten zurück und steckte die Hände tiefer in die Hosentaschen.
»Danke, Skin.« Queho lachte in sich hinein. »Pico weiß, dass er gebraucht wird … und dass ihm nichts anderes übrig bleibt.«
»Was brauchst du sonst noch?«, fragte Skinner.
»Ich werde dir eine Liste geben.« Queho rückte seinen Stuhl vom Tisch und stand auf. Er bedachte jeden der Bosse mit einem Blick. »Ich leite die Aktion.«
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