Tom Wolf - Die Bestie im Turm

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Goslar 1527: Heinrich der Jüngere, Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel, fordert von der freien Reichsstadt die Anteile am silber-, blei- und kupferreichen Rammelsberg wieder zurück. Die Stadt wehrt sich erbittert, um nicht die Quelle ihres Reichtums zu verlieren. Mitten in den Auseinandersetzungen wird ein führendes Ratsmitglied, der Metallgroßhändler Ludolf Walberg von einem Pfeil durchbohrt, tot aufgefunden. War es die Tat eines herzoglichen Schützen?
Als der Fernhandelskaufmann Friedrich von Mellnau mit seinem Gehilfen Georg Basler in der Worth Quartier bezieht, wird ihm die frische Mordgeschichte serviert. Als zwei weitere Ratsherren auf mysteriöse Weise sterben, sind sich die Leute sicher, dass die mysteriöse «Bestie im Turm» wieder ihr Unwesen treibt. Doch Mellnaus humanistisch geschulter Geist fühlt sich herausgefordert und setzt alles daran, die wahren Gründe der Todesfälle aufzudecken.

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TOM WOLF

Die Bestie im Turm

Ein Hansekrimi

Die Hanse

© e-book Ausgabe CEP Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2014

Karten mit freundlicher Genehmigung der Stadt Goslar aus:

»Goslar um 1500«, 4., verb. Aufl., Goslar 1999

eISBN 978-3-86393-515-3

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, Vervielfältigung (auch fotomechanisch), der elektronischen Speicherung auf einem Datenträger oder in einer Datenbank, der körperlichen und unkörperlichen Wiedergabe (auch am Bildschirm, auch auf dem Weg der Datenübertragung) vorbehalten.

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Inhalt

Dienstag nach Johannis, 25. Juni 1527 Dienstag nach Johannis, 25. Juni 1527 Tempus fugit Das Brechen des Rückgrats klang wie das Knacken eines starken Astes. Zum letzten Gebet fehlte die Zeit. Die rote Samtkappe rollte herrenlos den Hang hinab. Kühl stieg es in ihm auf. Etwas Entscheidendes war geschehen, etwas Endgültiges. Er sah die eiserne Pfeilspitze, die ihm aus der Brust ragte, eine solide Schmiedearbeit, für die man im Dutzend sicher einen Mariengroschen verlangen konnte – für das Schock vielleicht fünfe …

I

II

III

IV

Donnerstag nach Johann et Pauli, 27. Juni 1527

V

VI

VII

Montag nach Petri et Pauli, 1. Juli 1527

VIII

IX

Mittwoch nach Petri et Pauli, 3. Juli 1527

X

XI

Donnerstag nach Petri et Pauli, 4. Juli 1527

XII

XIII

XIV

Dienstag vor Margareta, 16. Juli 1527

XV

XVI

Donnerstag vor Margareta, 18. Juli 1527

XVII

Sonnabend, 20. Juli 1527 (Margareta)

XVIII

XIX

XX

Montag, 22. Juli 1527 (Maria Magdalena)

XXI

XXII

XXIII

Dichtung und Wahrheit

Goslar 1527: Der Rat der freien Reichsstadt streitet sich mit dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel um den erzreichen Rammelsberg. Seit Monaten ruht die Arbeit in den Bergwerken, und nicht nur die Bergleute stehen vor dem Ruin: Das ganze Goslarer Wirtschaftsleben droht zu erliegen. In dieser schwierigen Zeit werden zwei angesehene Handels- und Grubenherren von unbekannter Hand getötet. Daniel Jobst, frischgebackenes Ratsmitglied, fühlt sich aufgerufen, die Todesfälle zu untersuchen. Gregor Geismar, sein Lehrling, hilft ihm dabei – doch so richtig vorwärts kommen die beiden nicht. Die »Bestie« mordet weiter und weiter …

Tom Wolf, geboren 1964 in Bad Homburg, ist Schriftsteller und freier Journalist. Er schreibt u. a. für die Berliner Tageszeitung »taz«. Als Autor der erfolgreichen »Preußenkrimis« wurde er 2005 mit dem Berliner Krimipreis »Krimifuchs« ausgezeichnet und war 2006 der 23. »Stadtschreiber zu Rheinsberg«.

Dienstag nach Johannis,

25. Juni 1527

Tempus fugit

Das Brechen des Rückgrats klang wie das Knacken eines starken Astes. Zum letzten Gebet fehlte die Zeit. Die rote Samtkappe rollte herrenlos den Hang hinab. Kühl stieg es in ihm auf. Etwas Entscheidendes war geschehen, etwas Endgültiges. Er sah die eiserne Pfeilspitze, die ihm aus der Brust ragte, eine solide Schmiedearbeit, für die man im Dutzend sicher einen Mariengroschen verlangen konnte – für das Schock vielleicht fünfe …

I

Die Sturzflut war vorüber. Mächtig angeschwollen wälzte sich die Innerste im schmalen Tal. Dunstschwaden schwebten über dem schlammigen Spiegel. Im Morgenlicht schimmerten die nassen Lanzen der Weidenblätter.

Daniel Jobst führte das Pferd am Zügel durch die starke Strömung. Bis zur Hüfte stieg ihm das kalte, tosende Wasser. Seine flachen Schuhe kamen auf den glitschigen Steinen ins Rutschen, aber er balancierte geschickt. Während der Rohrweih übers Schilf strich, zeterte ein Zaunkönig, stimmte dann ein hell-lautes Gezwitscher an. Eine Wasseramsel schnurrte vorbei, den hellen Brustschild vorweisend.

Daniels Pferd setzte über struppiges Gebüsch aus Hagedorn, Schlehen und Brombeeren und erklomm den kurzen Steilhang. Als der Reiter, dem Tier zu Fuß nachsteigend, über den Rand kam, lag blau vor ihm der Harz. Die Blätter rauschten, wispelnd bog sich das hohe Gras. Eine frische Brise blies ihm ins Gesicht.

Daniel atmete tief ein und ließ den Blick schweifen, das Ende seines Zweitagerittes vor Augen. Zur Linken hatte sich, von reichem Gefolge flankiert, der dicke Brocken hingefläzt und wärmte sich in der ersten Sonne. In der Mitte standen der Sudmerberg, der Hahnenberg, der Brautstein, Gelmke- und der Rammelsberg wie palavernd beisammen, rechts folgten, ausgeschlossen vom innigen Gespräch, der Herzberg, der Steinberg und der Todtberg und so viele weitere, dass es schier kein Ende nehmen wollte. Doch wo war Goslar abgeblieben? Unsichtbar von diesem Fleck aus lag es noch verschlafen in der Senke, halb vom Ausläufer des Steinberges verdeckt, halb hinter Gebüsch verborgen. Sah man da nicht wenigstens den mittleren der fünf Finger des Torturmes vom Breiten Tor? Nicht weit davon wohnte sie … Rike … die Tochter Simon Raschens …

In Daniels Bauch machte sich ein wunderbares Ziehen breit, wenn er an sie dachte. Kaum zwei Wochen war es her, dass sie einander in Braunschweig getroffen hatten. Nun ja, eigentlich hatten sie sich nur gesehen. Wenn man es genau nahm, war er es gewesen, der sie gesehen hatte. Rike war mit ihren Schwestern und der Mutter im ersten Gasthof abgestiegen. Daniels Kontor hatte direkt gegenüber gelegen. Er hätte viel darum gegeben, durch ein Fenster etwas von der Angebeteten zu erblicken … doch alle Bemühungen waren vergeblich geblieben. Der Bergrichter Schmidt hatte den Raschens wohl einmal seine Aufwartung gemacht. Sonst war Daniel leider gar nichts ersichtlich gewesen.

Er blinzelte, aber er konnte keine Turmspitze erkennen – müsste sich wohl oder übel eine Brille anmessen lassen … Mit seinen 33 Jahren fühlte er sich noch immer nicht alt, auch wenn die Augen schwächer wurden. Ob sie, die so Vielbegehrte, einen alten Mann wie ihn überhaupt noch würde haben wollen? Wahrscheinlich hatte sie längst mehrere Geliebte, und mit Sicherheit war sie einem von ihnen bereits versprochen.

Daniels Ohren wenigstens taten ihren Dienst wie eh und je. Deutlich hörte er, dass Goslars Kirchen zur Frühmesse läuteten. Es war fünf Uhr. Noch bis vor Kurzem hätte das den bevorstehenden Beginn der Arbeit im Berg bedeutet. In Sankt Peter und Paul und in Sankt Johannis hätten die Bergleute um diese Zeit vorm Einfahren gebetet. Aber jetzt ruhte der Bergbau schon seit Monaten, und eine unsichtbare Wolke aus Unmut zog sich über der Tochter des Rammelsberges zusammen.

Während der Gaul die Ruhe zum Grasen nutzte, versank Daniel in Gedanken, den Blick zum kahlen Goslarer Hausberg gerichtet, wo nebelfarbenes Gestein das Bild bestimmte. Deutlich waren der schlanke Wachturm auf der Halde und die spitzen zeltförmigen Schindeldächer über den zahlreichen Vorhäusern der Gruben auszumachen. Ob sich dort jemals wieder die Göpel-Pferde im Kreis bewegen würden, um die Menschen und das Gestein aus den Schachtanlagen zu heben?

Daniels Oheim, stets gestreng darauf bedacht, seinen Ziehsohn aufs Berufsleben vorzubereiten, hatte ihn früher die Namen der Schächte aufsagen lassen – der Redding, die Bleizeche, die Rathstiefste, der Deutsche Schacht, Rottmanns Grube, die Nachtigall, der Breitling, das Kaninchenloch, Innigs Schacht, der Hasenstall, die Detlefsche Grube, das Neuwerk, der Vogtsche und der Froborgsche Schacht, Hogewart Tillings Grube, die Heuscheune, Sieh-dich-um, der Sumpf, die Silberhöhle, der Aschenort, die Kohlengrube, In-der-Katz und das Hirschgehege. Sollten aller Schweiß der Bergleute und alle Tränen der Financiers nun vergeblich geflossen sein?

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