Dörte Maack - Wie man aus Trümmern ein Schloss baut

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Dörte Maack führt das Leben einer schillernden Zirkusartistin – bis sie die Diagnose einer unheilbaren Augenkrankheit wie ein Schlag trifft. Sie fasst zwei Pläne. A: Nicht blind zu werden. B: Wenn doch, sich das Leben zu nehmen. Sie klammert sich an jeden Strohhalm, doch die Erblindung schreitet fort. Am Tiefpunkt angekommen, spürt sie gleichzeitig wieder etwas Boden unter den Füßen. Es reift Plan C: Sie geht als blinde Moderatorin und Rednerin zurück auf die Bühne und lernt mit dem letzten bisschen Sehrest den Mann ihres Lebens kennen, der für sie fortan nicht mehr älter wird.
Bewegend und mit viel Witz schildert Dörte Maack den Prozess dramatischer Veränderungen, die sie mit Mut und Zuversicht selbst in die Hand nimmt. Das Buch inspiriert Menschen in schweren Lebenskrisen, den Hindernissen zu trotzen und in das Leben zu vertrauen.

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Dörte Maack

Wie man aus Trümmern ein Schloss baut

Die Geschichte meines Erblindens und wie ich wieder Lebensfreude fand

Patmos Verlag

Inhalt

Prolog

Ungeküsste Frösche

Do wat du wullt, de Lüüd snackt doch

Trunkene Tage

Wir fallen nicht

Hornbrillen und andere Irrtümer

Die Party ist zu Ende

Medizin, Mythen und Magie

Versteckspiele

Blind Dates

Knallsüß und erfolgreich

Blinde Passagierin

Eine kleine Formalität

Blick zum Mond

Welken oder wachsen

Die mangelnde Fantasie der Sehenden

Fingerspitzengefühle

Liebe auf den letzten Blick

Lauf, lauf, lauf, Sprung!

Irgendwo wird immer getanzt

Licht und Schatten

Die schönsten Kinder der Welt

Was sollen die Leute sagen?

Spiele mit der Macht

I am with three blind people

Wir haben es geschafft

Zurück ins Rampenlicht

Wer soll es denn sonst machen?

Immer noch Konfetti im Haar

Phasen der Veränderung

Vorahnung

Schock

Verneinung und Widerstand

Einsicht: Wut, Angst und Trauer

Akzeptanz

Ausprobieren

Erkenntnis

Integration

Der Zauber im Zerbrochenen

Ich und die Beziehung zu den anderen

Ich und die Beziehung zu mir selbst

Ich und der Sinn in meinem Leben

Epilog

Über die Autorin

Über das Buch

Impressum

Hinweise des Verlags

Für meine Mutter Marga

Prolog

Wir stehen in Hamburg am Bahnsteig, Martin, die Kinder, der Hund und ich. Zwei unfassbar große Koffer, zwei winzige Koffer – einer mit Nixen- und einer mit Batmanmotiv – und zwei kleine bunte Tagesrucksäcke stehen um uns herum. Die Lautsprecher knacken: »Auf Gleis 7 fährt jetzt ein: der ICE nach München über Hannover und Würzburg. Die Wagen der ersten Klasse befinden sich im Abschnitt A bis C, die Wagen der zweiten Klasse im Abschnitt D bis G.«

»Mist, geänderte Wagenreihung. Kommt mit!«, ruft Martin.

»Lila, voran, Tempo«, gebe ich leise meiner Blindenführhündin das Kommando.

Der Zug fährt ein und kommt zum Halten. Wir rennen am Bahnsteig entlang, Martin voran, alle anderen hinterher. Wir erreichen einen Einstieg. Hoffentlich den richtigen, denke ich. Martin hievt die Koffer und Rucksäcke in den Zug. Danach wagt zuerst Eileen, dann Emil den Schritt über den bedrohlichen Abgrund zwischen Zug und Bahnsteigkante. Konzentriert klettern die Kinder die Stufen hoch in den Zug hinein. »Lila, hopp«, rufe ich, und meine Hündin springt mit einem großen Satz in den Zug. Danach taste ich mit den Füßen nach den Stufen. Geschafft. Wir sind im Zug – aber noch nicht im richtigen Wagen. Schwer bepackt wühlen wir uns durch zum Wagen 9, Plätze 62 bis 65, den vier Plätzen mit Tisch im Großraumwagen. Schnell stecken wir unser kleines Revier ab. Wir wuchten die großen Koffer und Rucksäcke nach oben in die Gepäckablage, verstauen die kleinen Koffer und Rucksäcke, die Hündin und ihr Führhundgeschirr kommen unter den Tisch. Wir füllen den verbliebenen Platz mit Knabbergemüse, Trinkflaschen, Malbüchern, Buntstiften, Memory-Karten und dem Player mit den Kinderhörspielen.

»Papa, wo ist mein Schnitzmesser?«, »Schnuffel, hast du die Reisepässe der Kinder eingesteckt?«, »Mama, wann kriege ich endlich ein Eis?!«, plappern alle durcheinander, während Lila eine Sitzreihe weiter nach vorn robbt. Hier knistert es interessant und Menschen lassen leckere Kekskrümel zu Boden fallen.

Ich muss jetzt dringend pinkeln. Wo ist mein Blindenstock? Er ist tief verbuddelt zwischen Sandspielzeug, Hundefutter und Badeklamotten. Martin kann mich nicht hinführen. Das Risiko, die Kinder alleine zu lassen, wäre zu groß, denn dann würde die gesamte Fami­liendynamik, die wir gerade erfolgreich in den Zugfahrmodus gebracht hatten, gefährlich ins Wanken geraten. Ein Begleitservice für mich ist ausgeschlossen, aber auch nicht nötig, befinde ich. »Bleib du bei den Kindern, ich geh’ mal kurz zur Toilette«, werfe ich Martin zu, bevor ich mich auf den Weg mache. Was soll auf diesen fünf Metern schon schiefgehen?

Ich folge dem Gang des Großraumwagens an ein paar Sitzreihen vorbei. Der Gang ist so eng, dass ich trotz heftiger Schaukelei des Wagens nur unwesentlich aus der Bahn geworfen werde. Am Ende des Ganges öffnet sich eine Schiebetür mit einem leise surrenden Geräusch ganz automatisch. Ich gehe hindurch und folge weiter dem Teppichboden. Links ertaste ich die kühle Fensterfront. Jetzt verändert sich die Akustik und ich merke, dass die beiden Ausstiegstüren links und rechts von mir sind. Ich bin also auf dem richtigen Weg, gleich muss die Zugtoilette kommen. Liegt sie rechts oder links? Im Gang ist niemand, den ich fragen kann. Ich taste nach der rechten Wand. Kaum berühre ich diese Wand, öffnet sich mit einem schnarrenden Geräusch wieder eine Schiebetür. Das ist ja richtig klasse: Ich habe die Toilette schon gefunden und sie ist frei! Ich trete schnell durch die Tür und bin irritiert. Das kann nicht die Toilette sein. Toilettenräume im ICE sind eng und schmal. Verglichen damit stehe ich in einem großen Saal. Die Schiebetür hinter mir steht noch weit offen. Eine männliche Stimme von links unten sagt etwas, das klingt wie »Banster sie nicht schlonk Tür infekt … äh hmm versetzt, nein …!« Ich folgere blitzschnell: Dieser offensichtlich sehr kleine Mann mit der nuscheligen Aussprache steht vor der eigentlichen Toilettentür in einem Vorraum. Er wartet, weil die Kabine noch besetzt ist. Mit meinem charmantesten Lächeln wende ich mich dem fremden Mann zu und frage sehr freundlich: »Oh, warten Sie hier auch?« Im nächsten Satz würde ich ihm erklären, dass ich blind bin und man mir das nicht gleich ansieht, da ich keinen Blindenstock dabeihabe, was wiederum daran liegt, dass ich nur wenige Schritte von hier entfernt mit meiner Familie sitze. So plante ich den weiteren Verlauf unserer Unterhaltung, doch so weit kommen wir nicht. Der kleine Mann wurschtelt hektisch irgendwas und eilt wortlos mit schnellen Schritten aus der großen Türöffnung davon. Ich finde das ziemlich unhöflich. Vielleicht dauerte ihm das Warten zu lange oder er befürchtete, dass ich mich vordrängeln möchte? Ich warte noch einen weiteren Moment ab. Es tut sich nichts und in der Toilettenkabine ist auch nichts zu hören. Ich suche links nach dem Türgriff der Kabine. Was ich finde, überrascht mich: Dort, wo eben noch der kleine Mann zu mir sprach, ist keine Tür, dort ist die Toilettenschüssel. Schlagartig ist mir klar, dass der Mann nicht klein war. Er hat auf der Toilette gesessen. Ich bin in der geräumigen Rolli-Toilette. Hier ist der Absperrmechanismus für Nicht-Eingeweihte nicht ganz einfach zu bedienen und der Mann hat es offensichtlich nicht verstanden, die Tür abzusperren.

Da erreiche ich blindes Huhn nun mein Ziel mit so viel Leichtigkeit und bringe einen ahnungslosen Mitreisenden in eine echte Scheißsituation. Ich schließe lächelnd die immer noch weit geöffnete große Schiebetür und drücke auf den speziellen Schließknopf. Unsere Italienreise fängt richtig gut an, denke ich.

Zwanzig Jahre nach der Diagnose »unheilbare Augenerkrankung – Erblindung unausweichlich« kann ich von Herzen über meine Blindheit lachen. Ich bin angekommen in einem farbenfrohen Leben, das für mich lange absolut unerreichbar zu sein schien.

Ungeküsste Frösche

»Nie wieder Pinneberg«, hatte ich Ende der 80er-Jahre voller Übermut nachts an eine Häuserwand gesprüht. Ich hatte das Abitur in der Tasche und war so wahnsinnig froh, endlich aus der Kleinstadt rauszukommen. Nach einer Party war ich nicht ganz nüchtern, hatte eine Spraydose mit roter Farbe dabei und kam mir damit so cool wie eine Berliner Hausbesetzerin vor. Meine Sprühaktion brachte es sogar ins Pinneberger Tageblatt. Nicht, weil in Pinneberg zuvor noch nie jemand eine Wand besprüht hätte, sondern weil am nächsten Tag Kommunalwahl in Schleswig-Holstein war. Die Bürgermeisterwahlen interessierten mich gar nicht, aber die von mir ganz zufällig ausgewählte graue Betonwand war, so stand es im Lokalblatt, eine Mauer des Pinneberger Rathauses. Das war eine Verwechslung des Redakteurs, denn wie fast alle Bauten in Pinneberg war dieses Rathaus ein unscheinbarer Zweckbau der 60er-Jahre und kaum von anderen Gebäuden in der Innenstadt zu unterscheiden. Im Tageblatt hielt man meine persön­liche spätpubertäre Befreiungsaktion für eine gezielte politische Tat einer noch unbekannten Pinneberger Untergrundgruppe. »Irgendwann musste hier doch mal etwas Interessantes passieren«, hatte der Redakteur vermutlich gehofft.

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