Grauert tritt wortlos in die Kate, nimmt die Kochgeschirre der elf in beide Hände und reiht sich bei den draußen antretenden Essenholern ein. Hinter ihm folgen Kurt Gebhardt und Miele, ein gutmütiger, wegen Totschlags verurteilter Sachse, die für die Übrigen zur Feldküche gehen.
Wolkenschwer hüllt die Nacht das Dorf Stepanyce in tiefe Dunkelheit. Kein Lichtschein schimmert. Gleichmäßig hallen die Schritte der Doppelposten durch die Stille. Die Posten gehen zu zweit ihre Runden, seitdem man einen in der Ruine der Kirche mit durchschnittener Kehle und ausgestochenen Augen gefunden hat. In der Ferne rattern Fahrzeuge über die nach Osten führende Nachschubstraße.
Im Stabsquartier läutet schrill das Feldtelefon. Die Fernsprechwache weckt den Offizier vom Dienst. Schlaftrunken ergreift der Sturmführer den Handapparat.
»Einsatzbefehl für die Brigade«, sagt eine Stimme am anderen Ende des Drahtes. »Bei Kilometer 23 an der Rollbahn Lublin-Kowel ist eine Lkw-Kolonne von Partisanen beschossen worden. Auftrag: Säuberung des Gebietes westlich Biskupice!«
Der Sturmführer wiederholt den Befehl und kurbelt ab. Bevor er ins erste Stockwerk hinaufsteigt, um den Kommandeur der Brigade zu verständigen, weckt er die Melder.
»Alarm für die Kompanien! Kompanieführer melden Marschbereitschaft! Transportoffizier sofort zum Kommandeur!«
Die Melder rumpeln hoch, knöpfen die Feldblusen zu, greifen zu Koppel, Karabiner und Stahlhelm. Nach allen Richtungen jagen sie durchs Dorf.
»Alarm! Alarm!«
In den Katen wird es lebendig. Im Dunkeln tasten die Männer nach der Ausrüstung.
Eine halbe Stunde später fahren beim Stabsgebäude am Kirchplatz die schweren Lastkraftwagen vor. Die beiden Kompanien sind feldmarschmäßig auf der Dorfstraße angetreten. Die Kompanieführer stehen zum Befehlsempfang vor dem Kommandeur.
»Rücksichtsloses Vorgehen!«, knurrt Sturmbannführer Dirlewanger. »Was das heißt, brauche ich Ihnen nicht zu erläutern. Achten Sie auf die Neuen! Sie wissen, dass es sich durchaus um Subjekte handelt, die Ihre Faust im Nacken spüren müssen. Bei der geringsten Widersetzlichkeit machen Sie sofort von der Waffe Gebrauch. Alles klar? Dann Weidmannsheil! Sie kennen meinen Grundsatz: Der beste Pole ist ein toter Pole!«
Die Kompanieführer knallen zackig die Hacken zusammen, reißen die Arme hoch zum deutschen Gruß und treten ab.
Minuten später setzt die Lkw-Kolonne sich mit abgeblendeten Scheinwerfern in Bewegung. Die mit vierhundert Mann aufgefüllte Brigade Dirlewanger bricht auf zur Partisanenjagd.
Im Dorf bleiben nur eine Sicherung zurück und der Kommandeur mit seinem Stab. Dirlewanger zieht es vor, sich im Hintergrund zu halten. Wenn es zu Übergriffen und sogenannten Greueltaten kommt, hat er die schon mehrmals mit Erfolg angewandte Ausrede, er sei nicht dabeigewesen. Seine Versicherung, die Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, hat er allerdings nie erfüllt! Wem schadet es schon, wenn ein polnisches Dorf niedergebrannt und die Bevölkerung ausgerottet wird? Die Herren mit ihrer Humanitätsduselei sollten zufrieden sein, dass es einen Dirlewanger gibt! Besser Friedhofsruhe im Hinterland der kämpfenden Front als Kleinkrieg und Aufruhr, die längst überhand nähmen, wenn die »Bluthund-Brigade« nicht auf dem Posten wäre.
Selbstgefällig legt Sturmbannführer Dirlewanger sich wieder zur Ruhe, während seine Kompanien durch die Nacht fahren, dem Wald westlich Biskupice entgegen, aus dem vor Stunden ein paar Schüsse gefallen sind.
Die Lastwagenkolonne hält an. »Absitzen!«
Die Zug- und Gruppenführer nehmen das Kommando auf, das von dem Pkw kommt, der die Kolonne anführt. Bei dem Pkw sind die Kompanieführer versammelt, drei Untersturmführer der Waffen-SS, die wegen mehr oder weniger schwerer Verfehlungen bei der Fronttruppe von der Beförderung zurückgestellt und zu Dirlewangers »Bluthund-Brigade« abgeschoben worden sind.
Als Hauptsturmführer Ziegler, der Bataillonsführer, aus den dunklen Büschen am Straßenrand tritt, drücken sie ihre Zigaretten aus.
»Die Kompanien durchstreifen den Wald und sammeln nach erfolgter Aktion bei den Fahrzeugen«, befiehlt Ziegler, ein breitschultriger, gedrungener Feldwebeltyp, mit schiefgezogenem Mund. »Verbindung durch Melder!«
Er wendet sich ab, steigt in seinen Wagen und lässt sich vom Fahrer die Kognakflasche reichen. Die Kompanieführer begeben sich zu ihren Einheiten, die zugweise neben der Straße angetreten sind. Am östlichen Horizont verkündet ein Streifen fahlen Lichtes das Heraufdämmern des neuen Tages.
Das Bataillon dringt breit ausgeschwärmt in den Wald ein, in dem noch undurchdringlich Dunkel nistet. Einer stolpert und lässt den Karabiner fallen.
Rottenführer Klein dreht sich mit wütendem Blick um. »Wer war das?«
Kurt Gebhardt, der die Gepflogenheiten der Ausgestoßenen noch nicht kennt, meldet sich, wie er sich als Soldat immer gemeldet hat.
Klein geht auf ihn zu, holt aus und schlägt ihn ins Gesicht. Links, rechts, wie es trifft.
»Damit wir uns von vornherein verstehen!«, sagt er schließlich und nimmt die Führung des Zuges wieder auf.
Gebhardt sucht den vermeintlichen Grauert, den Einzigen, dem er glaubt vertrauen zu können.
»Das wird er noch büßen, dieser Hund«, murmelt er und wischt sich mit dem Handrücken über die blutenden Lippen.
»Still!«, flüstert Grauert.
Drei mit Maschinenpistolen bewaffnete SD-Männer folgen ihnen. Es sind die Aufpasser, die bei jedem Einsatz der »Bluthund-Brigade« dabei sind, die jeden niederknallen, der nicht »spurt«. Und das »Nicht-Spuren« hat in ihren Augen viele Abstufungen. Es beginnt schon damit, dass einer ohne Erlaubnis zurückbleibt, um seine Notdurft zu verrichten.
Auch im Wald wird es nach und nach heller. Kein Schuss fällt. Die Partisanen haben offenbar längst das Weite gesucht.
Missmutig beißt sich Untersturmführer Haake, der Führer der 3. Kompanie, auf die Lippen. Er war 1940 in Flandern dabei, ist von der Feldgendarmerie beim Plündern ertappt und, anstatt erschossen zu werden, auf die schwarze Liste gesetzt worden. Er will sich hervortun, will weg von diesem verrotteten Haufen. Aber der Feind bleibt unsichtbar und erweist ihm nicht den Gefallen, Pluspunkte für die Zurückversetzung zur Fronttruppe sammeln zu können.
Die Sonne kommt herauf, beleuchtet mit waagrechten Strahlen die hohen Wipfel der Bäume. Der Frühlingsmorgen ist so klar und friedlich, dass Haakes Stimmung sich zusehends verdüstert.
Die 3. Kompanie hat als Erste des Bataillons den Wald durchschritten. Vom Feind, sofern er überhaupt jemals vorhanden war, zeigt sich keine Spur. Vielleicht war es überhaupt nur wieder blinder Alarm. Inmitten ausgedehnter, schwarz aufgebrochener Äcker und vom grünen Flor der Wintersaat überhauchten Felder, die weit im Süden wieder vom Wald umfasst sind, liegt hinter einzelnen Bäumen ein kleines Dorf.
Haake macht sich nicht die Mühe, auf die Karte zu blicken. Er weist den Zugführern die Richtung. Diese verfluchten Polacken sollen ihn für die Enttäuschung entschädigen. Sie haben ihm die Nachtruhe geraubt, die er nach der Sauferei von gestern Abend dringend benötigt hätte, und sind schuld daran, dass er mit seiner Kompanie aus Untermenschen wie ein Idiot einen Wald durchstreift hat, aus dem angeblich ein paar Schüsse auf eine Nachschubkolonne abgefeuert worden sein sollen. Da drüben ist das Partisanennest, redet er sich ein.
Auf dem Acker zur Linken des Dorfes erscheint ein gebeugter alter Bauer, der seine Peitsche über einem gemächlich trottenden Ochsen knallen lässt. Der Ochse zieht einen im Licht der Morgensonne blinkenden Pflug.
Gebratener Ochse zu Mittag, denkt Untersturmführer Haake hämisch. Entfernung vierhundert. Noch zu weit!
Der polnische Bauer hat die in Schützenlinie anrückenden Soldaten entdeckt. Eine Übung, sagt er sich, schwingt die Peitsche und treibt seinen Ochsen an. Die Äcker müssen bestellt werden, auch wenn Krieg ist, der sich im Übrigen weit nach Osten, nach dem Russland der Bolschewiken, entfernt hat.
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