1 ...8 9 10 12 13 14 ...35 »Das Loch, das sie in unserem HUMINT-Netzwerk hinterlassen werden, dürfte so groß sein, dass ein Auto hindurchpasst«, kommentierte Harry grimmig. Menschliche Aufklärung, das Ass im Ärmel eines jeden Staates.
»Ich weiß. Aber bis wir den Director finden … bleibt uns keine andere Wahl.« Der Analytiker hob die Schultern. »Wollten Sie etwas Bestimmtes?«
»Ja, wollte ich tatsächlich. Ich muss mit Carol sprechen.«
Ron runzelte die Stirn. »Das halte ich nicht gerade für die beste Idee. Wieso?«
»Sie konnte ihre Nachforschungen in Bezug auf Korsakov noch nicht beenden. Ich muss nur ein paar Minuten mit ihr reden und herausfinden, welche Hinweise sie bisher ausgraben konnte, besonders im Hinblick auf mögliche Verbindungen in die Vereinigten Staaten. Wo ist sie?«
»Unten in Vernehmungsraum A-13«, antwortete Carter nach einer langen Pause. Er griff nach dem Telefon auf Laskers Tisch. »Ich sage Bescheid, dass Sie kommen.«
06:03 Uhr Ortszeit
Ein Flughafen in Albuquerque, New Mexico
Der Abschied von seinem Bruder war nicht gerade das Highlight von Richards Reise gewesen, aber das war nichts Neues. Ihre Beziehung war angespannt gewesen, seit er mit neunzehn die Ranch der Familie in Texas verlassen und sich dem Marine Corps angeschlossen hatte.
Seine Arbeitskraft fehlte ihnen in jenem Sommer, der von einer großen Dürre und einer grassierenden Krankheit unter den Rindern geprägt war. Dagegen hätte er nicht viel unternehmen können, selbst wenn er bei ihnen geblieben wäre, aber es gab einige in seiner Familie, die der Ansicht waren, er hätte sie im Stich gelassen.
Fünf Jahre später war die Ranch pleite gewesen, und seine Familie war ins Mescalero-Reservat in New Mexico zurückgekehrt. Ende der Geschichte.
Er seufzte und betrachtete dabei die Gulfstream IV, die von Westen herangerollt kam. Ein ungewöhnlicher Anblick auf dem kleinen Rollfeld. Er trug nur eine Tasche bei sich, reiste mit leichtem Gepäck, wie er es die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens getan hatte.
Ein kalter Dezemberwind wehte über den kleinen Flughafen hinweg, ließ sein Jackett im Wind flackern und offenbarte die Glock in ihrem Holster an seinem Gürtel. Er war bereit. Zeit, aufzubrechen.
08:05 Uhr Ortszeit
CIA-Hauptquartier
Langley, Virginia
Der Bereitschaftsraum des NCS war verlassen, genau wie Harry es vermutet hatte. Er ließ die Lampen ausgeschaltet und bewegte sich schnell auf seinen Spind am hinteren Ende des Raumes zu.
Er fuhr mit seinem CIA-Ausweisschild über das Schloss, um die Tür zu entsperren, griff hinein und holte eine Colt 1911 und eine weitere Waffe in der Größe einer Pistole daraus hervor.
Die Colt war geladen, das war sie immer. Er schob den Lauf zurück, lud eine Patrone in die Kammer, dann legte er sorgfältig den Sicherungshebel um, bevor er sich die große Pistole in das Holster an seinem Gürtel steckte. Geladen und gesichert.
Er durchquerte den Raum, dann legte er die zweite Waffe, einen Taser X3, auf den Tisch. Die Elektroschockwaffe, die ein wenig so aussah, als wäre die Vorstellung des Designers von einer Laserpistole mit ihm durchgegangen, war 2009 als Reaktion auf den Hauptkritikpunkt der Polizeikräfte an dem Originalmodell X26 entwickelt worden – nämlich deren Eigenschaft, nur einen einzigen Schuss abfeuern zu können.
Der neue und verbesserte Taser hatte sich dieses Problems angenommen, mithilfe eines neuromuskulären Impulses, der auf mehrere Ziele abgefeuert werden konnte. Die Waffe war in der Lage, drei Schüsse abzugeben, nacheinander. Dann war sie leer, aber das störte Harry nicht im Geringsten. Ausgehend von den Überwachungsaufnahmen des Vernehmungsraumes würde er es nur mit drei Zielobjekten aufnehmen müssen.
Nachdem er die Waffen überprüft hatte, steckte er sich den Taser in die Innentasche seiner Lederjacke, gegenüber der Pistole. Acht Minuten nach acht Uhr. Ihm blieben noch etwa fünfzehn, vielleicht zwanzig Minuten, bevor jemand bemerken würde, dass er die Aufnahmen aus dem Vernehmungsraum in einer Schleife ablaufen ließ.
Doch das sollte genügen.
07:12 Uhr Ortszeit
Ein Appartement
Dearborn, Michigan
»Wie viele starben?«
Nasir al-Khalid sah von dem Frühstücksgeschirr auf und erblickte seinen Bruder Jamal in der Küchentür des kleinen Appartements, das sie miteinander teilten.
»Darüber schweigen sich die Amerikaner aus«, antwortete dieser und deutete mit dem Kopf zu dem Fernsehgerät in der Ecke. »Sieht für mich nach einer Autobombe aus.«
Er musste es wissen. Beide Männer hatten ihre Kindheit im Libanon verbracht und waren während des blutigen Bürgerkriegs immer wieder gezwungen gewesen, Kugeln und Autobomben aus dem Weg zu gehen.
»Vielleicht war es ja eine von unseren. Inschallah .«
Wenn es Allahs Wille ist.
»Du solltest nicht so reden«, begann Nasir und sah seinen Bruder an. »Wenn die falschen Leute dich so hören …«
Sein älterer Bruder schnaubte und griff nach einer Jacke. »Bring eine Palette Mountain Dew aus dem Laden mit, wenn du nachher gehst, okay? Wir haben fast keine mehr.«
Er hatte ihn ignoriert. Aber das war zumindest besser als Jamals übliche Tiraden.
»Wann wirst du zurück sein?«
»Ich habe bis Nachmittag Unterricht und werde dann noch in der Moschee sein. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Ich sollte mit der Tour gegen fünf fertig sein.« Nasir nickte, zog die letzte Tasse aus dem Wasser und legte sie zum Abtropfen auf das Gestell. Er verbrachte seine Arbeitstage hinten auf einem Müllfahrzeug, was ihn immer wieder daran erinnerte, dass er sich im Gegensatz zu seinem Bruder illegal in den Vereinigten Staaten aufhielt.
Wenn er ein Studentenvisum bekommen hätte, wären die Dinge anders verlaufen. Sehr viele Dinge.
Er hörte, wie sich die Wohnungstür hinter Jamal schloss, und seufzte. Irgendetwas ging in der Moschee vor sich, und das schon seit ein paar Monaten. Und sein Bruder veränderte sich. Dieses Land hatte irgendetwas mit ihm gemacht.
Diese Vereinigten Staaten.
Nasir murmelte etwas Gotteslästerliches vor sich hin, wusch sich die Hände, griff nach seiner Jacke und lief ebenfalls zur Tür. Es würde ein kalter Dezembertag in Michigan werden.
08:13 Uhr Ortszeit
CIA-Hauptquartier
Langley, Virginia
Auf seinem Weg von einer Sektion des Gebäudes zur nächsten zeigte Harry dem Wachposten im Durchgang seinen Sicherheitsausweis und wurde ohne genauere Prüfung hindurchgewunken. Selbst an einem Tag wie diesem.
Aber das war auch nicht weiter verwunderlich. Er hatte die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens hier gearbeitet.
Er bog um die Ecke, beschleunigte, und seine Schritte hallten wie das Geräusch von aneinandergeschlagenen Händen durch den weißgetünchten Korridor, den er entlang eilte. Ein Todesmarsch.
Nur noch ein paar Meter. Trotz der Kühle in dem Gebäude schwitzten seine Hände. In all den Jahren hatte er nie etwas Ähnliches versucht.
Dabei machte er sich keine Illusionen. Er wusste, dass seine Taten nicht unbemerkt bleiben würden. An der Tür vor A-13 angekommen, sprach er den wachhabenden Sicherheitsoffizier an, einen Mann namens Kauffman.
»Alles in Ordnung?«
Dessen Antwort bestand aus einem knappen Nicken. »Ron sagte bereits, dass Sie auf dem Weg sind.« Der große, muskulöse Mann Ende vierzig, durch dessen blondes Haar sich die ersten grauen Strähnen zogen, war schon so lange Teil des Langley-Sicherheitspersonals gewesen, wie Harry sich entsinnen konnte. Ex-Militär – niemand, mit dem zu spaßen war.
Sein Gesichtsausdruck entspannte sich etwas, als er sich umdrehte, um seine Ausweiskarte über den Scanner an der Tür zu ziehen. »Versuchen Sie, es kurz zu machen, Harry. Sie musste heute Morgen schon durch die Hölle gehen.«
Читать дальше