1 ...6 7 8 10 11 12 ...35 Bitte nicht . »Nein«, presste Thomas hervor und kämpfte gegen den Wutausbruch an, den die Worte seines Freundes auszulösen drohten. »Tu das nicht. Ich hab es dir doch gesagt, Harry, ich brauche einfach etwas mehr Zeit. Das verstehst du doch, oder?«
»Das Einzige, was ich im Moment verstehe, ist, dass wir einer Krisensituation stecken und einer meiner besten Männer im Eimer ist. Also, ich will, dass du in dreißig Minuten hier bist, und zwar nüchtern . Tex kommt aus New Mexico rüberflogen, und ich will, dass wir einsatzbereit sind, wenn er hier eintrifft. Haben wir uns verstanden?«
»Klar und deutlich, Boss.«
07:33 Uhr
NCS-Einsatzzentrale
Langley, Virginia
Harry steckte das Telefon in seine Tasche zurück, seufzte angeschlagen und starrte die leere Wand am anderen Ende der Einsatzzentrale an.
Er hatte noch nie versucht, den Mitgliedern seines Teams seinen eigenen christlichen Glauben aufzudrücken. Das war einfach nicht seine Art. So, wie er die Dinge sah, ging ihn ihr Privatleben nichts an, solange es sich nicht negativ auf ihren Beruf auswirkte. Aber genau das war nun der Fall.
Und er hatte keine Zeit, sich darum zu kümmern. Nicht heute. Nicht bei dem Chaos, das ausgebrochen war. Er griff nach unten, drückte auf den Knopf an der Seite seines Arbeitsplatz-Terminals und wartete darauf, dass der Computer hochfuhr.
Dank Ellsworths Untersuchung, mit der er jedermanns Arbeitsablauf durcheinandergebracht hatte, war es nun schon ein paar Wochen her, seit er sich das letzte Mal ins System der Agency eingeloggt hatte. Es würde etwas dauern, bis er wieder in Schwung kam.
Unglücklicherweise aber blieb ihm auch dafür keine Zeit. Denn Lay war verschwunden.
Der Bildschirm sprang an. Harry tippte seinen Zugangscode ein und sah ungeduldig dabei zu, wie der Computer den Authentifizierungsprozess durchlief. Lay und er hatten eine lange gemeinsame Geschichte, eine Arbeitsbeziehung, die bis zu Harrys ersten Tagen als Operator zurückreichte.
Lay leistete damals seine letzten Tage als Station Chief in Tel Aviv ab, und Harry war ihm im Zuge einer Mission für das damalige Directorate of Operations begegnet.
Harry hatte ihn damals als Mann voller Prinzipien kennengelernt – ein strenger Mann, aber fair. Furchtlos.
Ihr Kontakt war über die Jahre seltener geworden, nachdem Lay die Karriereleiter emporgeklettert war und schließlich zum DCIA ernannt wurde.
Wie ihm das gelungen war, konnte Harry bis heute nicht genau sagen, aber zumindest hatte er allem Anschein nach seine Integrität bewahren können. Und vielleicht war es genau das, was ihn schlussendlich das Leben gekostet hatte.
07:35 Uhr
Auf dem Dach des CIA-Hauptgebäudes
Er hörte sie, noch bevor er sie sehen konnte. Drei Helikopter schwebten aus südlicher Richtung heran. Und wer immer in einem Hinterhalt lauerte, würde sie ebenfalls hören.
Kranemeyer zog den Reißverschluss seiner Jacke zu und stopfte sich die Hände in die Taschen, um sie vor dem rauen Dezemberwind zu schützen.
Scharfschützen der Special Activities Division waren auf dem Dach postiert worden und verschmolzen in ihren schiefergrauen Ghillie-Anzügen mit dem Betonboden. Für die meisten von ihnen war dies das erste Mal, dass sie auf amerikanischem Boden ihre Waffen anlegen mussten.
Der H-76 Sikorsky hing schwebend in der Luft, dann ließ er sich auf die Hubschrauberlandeplattform sinken. Die beiden Apache-Kampfhubschrauber blieben in der Luft und gaben ihm Deckung.
Er warf einen kritischen Blick in ihre Richtung, besonders auf die 30mm-Kettenkanonen, die unter dem Bug jedes Hubschraubers montiert waren. Gott mochte all jenen beistehen, die in deren Kreuzfeuer gerieten.
Der Sikorsky landete auf dem Dach und Kranemeyer schritt auf den Hubschrauber zu, noch bevor die Rotoren zum Stillstand gekommen waren.
Ein kleiner Mann in einem Geschäftsanzug tauchte in der Seitentür des Helikopters auf. Sein Jackett flatterte wild im Sog der Rotorblätter. Zwei Leibwächter mit gezückten Waffen flankierten ihn, als er ausstieg, um den DCS zu begrüßen.
Michael Shapiro.
»Irgendwelche Probleme auf dem Weg hierher?«, rief Kranemeyer im Näherkommen und über den Lärm der Motoren hinweg. Trotz seiner Abneigungen Shapiro gegenüber hatte der Mann jetzt das Kommando und sie mussten gemeinsam eine Krise bewältigen.
»Nein, nein«, presste der Deputy Director mit Mühe hervor. Sein Gesicht hatte eine leicht grünliche Färbung angenommen. »Ich hasse es, zu fliegen. Besonders bei diesen ganzen Ausweichmanövern …«
Kranemeyer ignorierte die Bemerkung und gemeinsam liefen sie auf die Tür ins Innere des Gebäudes zu. »Mein Team hat bereits einen Notfallplan ausgearbeitet. Er liegt auf Ihrem Schreibtisch. Sie warten nur noch auf Ihre Zustimmung, um ihn umzusetzen.«
»Notfallplan?«, keuchte Shapiro, der immer noch nach Luft rang.
»Eine Liste von Einsätzen, die so schnell wie möglich über die Bühne gehen müssen. Informanten, die exfiltriert werden müssen. Es wird einige Ressourcen kosten, sie alle herauszuholen, aber wir schulden diesen Leuten etwas.«
Shapiro bliebt abrupt stehen und starrte den DCS verwundert an. »Wovon reden Sie da eigentlich?«
»Es mag sich vielleicht gefühllos anhören«, erwiderte Kranemeyer, der mit kalten Augen Shapiros Blick standhielt, »aber es wäre für uns alle das Beste, wenn wir wüssten, dass Lay bereits tot ist.«
»Was?«
Der DCS hob eine Hand. »Solange er da draußen noch am Leben ist und sich womöglich in der Hand von Terroristen befindet, müssen wir davon ausgehen, dass jede Geheimoperation und jeder Agent und Informant, von denen er Kenntnis besaß, in Gefahr schwebt. Informationen, die an den Meistbietenden verschachert werden können. Und diese Liste ist länger als mein Arm.«
»Mein Gott, Sie glauben doch nicht etwa, dass er uns verraten würde, oder? Dann kennen Sie David aber schlecht …«
»Bei allem nötigen Respekt, Sir«, knurrte Kranemeyer und schob sich nahe genug an Shapiro heran, um dessen Leibwächter zu alarmieren, »aber Sie waren noch nie im Einsatz. Mit genügend Zeit und Ressourcen kann jeder Mann gebrochen werden. Und auf Basis dieser Annahme müssen wir handeln.«
07:41 Uhr
NCS-Einsatzzentrale
Korsakovs Dossier als unvollständig zu bezeichnen, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts gewesen. Ihr Wissensstand über ihn enthielt große Löcher, die sich so auch in der Akte widerspiegelten. Niemand schien Kenntnis darüber zu haben, was er in der Zeit zwischen seiner Entlassung aus der russischen Armee 2000 und dem Anschlag auf Bürgermeister Anton Surorov 2002 getan hatte.
Aber eines schien sicher: Während dieser zwei Jahre war Korsakov zu einem zuverlässigen Mitglied der Mafyia geworden.
Ein störender Piepton informierte Harry über eine neue E-Mail, und in Erwartung eines Updates von Tex oder Carter scrollte er durch die Anzeige.
Die Nachricht war in seinem privaten E-Mail-Account eingegangen, stellte er mit wachsender Unruhe fest. Nur wenige Menschen kannten diese Adresse, und noch weniger benutzten sie.
Der Betreff lautete »CRITIC« und der Absendername war nur eine Ansammlung unzusammenhängender Buchstaben. Die Nachricht war über einen freien E-Mail-Anbieter irgendwo in der Tschechischen Republik verschickt worden.
Der Inhalt der E-Mail war so knapp wie der Betreff selbst gehalten. Er kniff die Augen zusammen und überflog den Text. Parkgarage, Tiefgeschoss, fünfte Reihe. Freefall.
Das letzte Wort ließ ihn stutzig werden. Freefall . Eigentlich zwei Worte. Ein Codewort aus alten Tagen.
Und in diesem Augenblick wusste er, wer der Absender gewesen war, und was die Nachricht bedeutete.
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