1 ...6 7 8 10 11 12 ...28 Raymond grinste und wirkte zumindest etwas erleichtert. Seine Zähne sahen aus wie abgebrochene Zaunpfosten. »Scheiße«, sagte er, »was kann ich für euch tun?«
Jimmy sagte: »Lass uns eine Runde um den Block fahren.«
Raymond sah Jimmy dabei zu, wie er aufstand, seine Zigarette auf dem Boden austrat, sich halb schlurfend, halb trabend zum Tresen bewegte und sein letztes Guinness leerte.
»Mir geht dauernd dieses eine Lied durch den Kopf«, sagte Mickey zu Raymond. »Verdammtes Ding. Weißt du, wie sich das anfühlt? Wenn du es hören kannst, aber nicht darauf kommst, welches Lied es ist? Genauso geht es mir gerade. Was für ein Mist.«
Der Raum schien zu kippen, sich zu drehen und zu versuchen, ihn vom Boden abzuschütteln. Mit einer Hand packte Mickey einen Stuhl an der Lehne und trommelte mit seinen Fingern darauf. Mit einem Schulterblick suchte er nach dem jungen Mädchen in dem heißen, gepunkteten Kleid, aber sie war verschwunden. Genau wie der alte Kerl, der ihr die Zigarette angezündet hatte.
Sie schafften es zu Jimmys Cadillac, obwohl Mickey sich nicht erinnern konnte, die Bar verlassen zu haben. Vom Rücksitz aus beobachtete er den rötlichen Lichterglanz Manhattans, der vor seinem Fenster wie in einem Traum vorbeizog.
Fünfzehn Minuten später manövrierte Jimmy den Cadillac durch ein Labyrinth heruntergekommener Wohnanlagen an der Tenth Avenue. Am frühen Abend hatte es geregnet, und nun spritzte das Auto durch die Pfützen und zerklüfteten Schlaglöcher entlang der Straße. Nur wenige Fenster waren erleuchtet. Plötzlich fühlte sich die Zeit wie eine Absurdität an. Mickey fragte sich, ob der Lebensmittelladen, der bis elf Uhr offen hatte, noch geöffnet war.
Die Bremsen quietschten. Jimmy parkte den Cadillac vor einer der Mietskasernen, knallte den Schalthebel in die Parkposition und überfiel Raymond mit der Pointe irgendeines Witzes, den er gerade erzählt hatte. Mickey sah, dass die Uhr im Armaturenbrett des Cadillac 10:47 anzeigte.
Die Luft draußen war bitterkalt. Mickey blies Dampfwolken in die Luft. Als ob sie Teil einer Parade wären, machten die drei Männer gleichzeitig ihre Mäntel zu, während sie die Stufen des Hintereingangs eines der Wohnblöcke nach oben stiegen. Eine unsichtbare Katze fauchte sie an und huschte durch eine Mauer aus metallenen Mülleimern davon. Raymond zuckte bei dem Geräusch zusammen, was Jimmy sehr komisch fand.
»Ist das hier dein Revier?«, fragte Raymond in das Dunkel der Nacht.
Jimmy hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Tür. »Juhu«, rief er.
Nach ein paar Sekunden ging hinter der Glastür ein Licht an. Mickey konnte schwere Schritte hören, die sich der Tür näherten. Durch das Drahtgitterglas, hinter dem sich die Küche erahnen ließ, sah er die grizzlyhafte Gestalt von Irish. Riegel schnappten und beim Öffnen knarrte die Tür, aus der sich ein weicher, gelber Glanz auf die nasse Terrasse ergoss.
»Mistkerle«, brummte Irish und grinste so breit, als könnte sein Gesicht jeden Moment in der Mitte reißen. Irish war alt – in seinen späten Fünfzigern, schätzte Mickey – und sah aus wie ein dickbäuchiger Zementlaster, den man in ein ärmelloses Unterhemd und in Kakis mit Tabakflecken gesteckt hatte. Er hatte dicke, fleischige Wangen, und sein Mund war mit etwas gefüllt, das aussah wie eine Million Zähne. Sein Bauch war so riesig, dass er schon abstoßend wirkte.
»Na, was treibst du, Irish?«
»Jimmy«, sagte er. »Kommt rein. Kalt hier draußen.«
Sie betraten die enge Küche und standen etwas planlos herum, die Hände in den Manteltaschen vergraben, bis Irish ihnen befahl, sich hinzusetzen und sich zu entspannen.
Der Raum war nur schwach beleuchtet und vollgestopft mit sinnlosem, willkürlich übereinandergestapeltem Schrott, der sich vermutlich über die letzten Jahrzehnte angesammelt hatte. Der Teppich war dick und produzierte Funken von Elektrizität, als Mickey darüber schlurfte. Die ganze Wohnung roch nach faulen Eiern.
»Hier ist es nicht gerade warm«, entschuldigte sich Irish und riss den Kühlschrank auf, um einige Biere hervorzuholen. »Ist ein alter Heizofen. Ich schwöre bei Gott, nichts funktioniert richtig in dieser miesen Stadt. Wenn es nicht die Heizung im Winter ist, ist es das gottverdammte Fenster im Sommer. Das geht mir auf den Sack.«
Er verteilte die Biere. Raymond nahm sich einen Stuhl neben einem flackernden Schwarz-Weiß-Fernseher. Sobald er sich hingesetzt hatte, schien er vordringlich damit beschäftigt zu sein, den Dreck auf der Unterseite seiner Turnschuhe zu untersuchen.
Irish seufzte, machte sich über sein Bier her und leerte in einem enormen Zug die Flasche bis auf die Hälfte. »Und ich darf mich bloß nicht aufregen über diese verdammte Nutte in der Wohnung über mir und ihre verdammten Katzen. Ich sag euch, Jungs, so viele verdammte Katzen habt ihr noch nie gesehen . Alle möglichen Arten. Die großen Flauschigen und die ohne Haare – die sehen aus wie die Ratten in den Abwasserkanälen. Einige der verdammten Viecher haben nicht mal Schwänze, könnt ihr euch das vorstellen.«
Jimmy lehnte sich gegen die Wand und spannte die Sehnen in seinem Rücken. »Hast du was zu essen?«
»Wenn du was findest, ist es deins«, sagte Irish und trank sein Bier aus.
Jimmy sah Raymond an und hielt seine Flasche in die Höhe. »Willst du noch?«
»Eins werde ich mir noch genehmigen.«
Jimmy ließ seine Flasche durch die Luft wirbeln. Sie drehte sich zweimal und er fing sie – gerade so – am Hals, während er in der Küche verschwand.
Irish quetschte sich an der Wand entlang hinter einen kleinen Tisch und öffnete die fleckige Zinnschachtel, die darauf lag. »Wollt ihr euch ein paar Lines reinziehen?«
Links neben Mickey lachte Raymond über etwas im Fernsehen, während er sich mit dem Ärmel des Mantels den Speichel von seinen rissigen Lippen wischte. »Ich bin dabei«, sagte Raymond, der inzwischen ein wenig entspannter klang.
Jimmy kam zurück, die Hände voller gefrorener Burritos. »Haut rein«, sagte er. Wie ein Messerwerfer im Zirkus schleuderte er die Burritos in die Luft und musste laut lachen, als Raymond versuchte, einen zu fangen und dabei fast vom Stuhl fiel.
»Gutes Zeug hier«, sagte Irish, während er die kleine Zinnschachtel durchsuchte. Er holte etwas hervor, das aussah wie die Bauchbinde einer Zigarre, schnüffelte daran und legte es wieder in die Box.
Raymond sammelte zwei Burritos vom Boden auf und untersuchte die Verpackung. »Die verdammten Dinger sind ja noch kalt, Jimmy. Machst du sie nicht warm?«
»Sehe ich aus wie deine Mutter?«, fragte Jimmy und holte eine .38er aus seinem Mantel. In einer einzigen flüssigen Bewegung zog er den Hammer zurück, wobei seine Finger auf merkwürdige Weise nicht mit dem Ausdruck auf seinem Gesicht in Verbindung standen. Er richtete die Waffe auf Raymond.
Raymond lachte gequält auf. Die Burritos fielen ihm aus den Händen und rutschten über den Mantel in seinen Schoß. »Jimmy, was zur Hölle …«
Jimmy Kahn feuerte zwei Schüsse unmittelbar aufeinander ab. Der erste traf Raymond in die Brust und schleuderte ihn nach hinten gegen den Stuhl, während seine linke Hand nach oben vor sein Gesicht schoss, mit Fingern, die zu einer Kralle gebogen waren. Der zweite Schuss erwischte Raymond seitlich im Gesicht und trieb eine schwarze Blutfontäne aus seinem Hinterkopf, die gegen die Rückseite des Stuhls spritzte und sich auf der Alabasterwand hinter ihm verteilte. Eine Sintflut aus Blut ergoss sich aus seinem Mund, während er sich auf dem Stuhl krümmte, die Augen zurückgezogen in den Schädel, und seine blutüberströmten Lippen lautlose Worte formten.
»Himmel Herrgott !«, brüllte Irish und presste seine großen Hände an beide Seiten seines Schädels. »Herrgott noch mal – in meinem verdammten Zuhause , Jimmy?«
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