Mit Augen, die so schwarz erschienen, als würden sie über keine Pupillen verfügen, beobachtete Shishak von einer weit entfernten Erhöhung aufmerksam die Stadt Jerusalem. Und doch wohnten in seinem Blick auch eine große Intelligenz und das Gewicht uneingeschränkten Selbstvertrauens.
Vom Sattel seines weißen Rosses, dessen Mähne so goldgelb wie Mais schimmerte, ließ Shishak seinen Blick über seine Truppen schweifen. Er war groß und schlank, seine Haut von der Farbe gegerbten Leders. Seine Statur war kräftig, sein Kopf kahlrasiert und sein Kinn knochig und kantig. Mit seinem sehnigen Hals, der aus einer kunstvoll verzierten Halskette aus Gold und Juwelen herausragte, wurde Shishak seinem Titel als Kriegerkönig mehr als gerecht.
Neben ihm befand sich Darius, sein gefeierter Leutnant, dessen Haut so schwarz war, dass sie an Auberginen erinnerte. Seine breiten Schultern, sein gewölbter Brustkorb und die dicken Oberarme waren durch jahrelangen Umgang mit Schwert und Schild entstanden.
Augenscheinlich hatte Darius Schwierigkeiten, sein Pferd unter Kontrolle zu halten. Das Ross wieherte und stieg mit seinen Vorderläufen in die Luft, bevor es sich schließlich nach einem Ruck an den Zügeln der Kontrolle des Leutnants beugte.
»Mein König«, sagte Darius, »der Himmel besitzt die Farbe von Blut, was nie ein gutes Omen ist. Selbst mein Pferd wittert die unguten Vorboten.«
Shishak sah seinen Leutnant von der Seite an. »Dein Pferd ist nicht imstande, die Vorhersage eines Orakels zu wittern. Das dunkle Omen, welches du zu sehen glaubst, entspringt einzig deinem Herzen.« Daraufhin widmete er sich mit scheinbar teilnahmsloser Ruhe wieder der Beobachtung der Stadt Jerusalem. »Wo du eine Gefahr zu sehen glaubst«, erklärte er tonlos, »sehe ich ein Zeichen von Ra, dass das Blut unserer Feinde den Boden bedecken und eins mit dem Himmel werden wird. Und wie bereits in Judah wird ihr Blut Zeugnis unseres Sieges sein. Rot wird heute eine gute Farbe sein, Darius. Und bevor dieser Tag vorbei ist, werden die Hufabdrücke meines Hengstes im Sand von Blut gefüllt sein.«
Shishak ließ sein Pferd ein paar Schritte nach vorn traben, um seine Armee besser überblicken zu können. Ihre schiere Stärke ließ sich kaum ermessen. Das gesamte Gelände vor ihnen war mit Soldaten bedeckt, soweit das Auge reichte.
»Gewiss, mein König.« Eilig gab Darius seinen Kommandeuren das Signal, sich auf die Schlacht vorzubereiten, indem er sein Schwert hoch in den Himmel streckte, wo sich die Klinge dunkel vor dem blutroten Himmel abzeichnete. Dann ritt er an der Frontlinie entlang und heizte mit Tiraden den Blutdurst der sechzigtausend Männer an.
Als er wieder zu seinem Platz neben dem Pharao zurückgekehrt war, steckte er sein Schwert zurück in die Scheide. Um sie herum reckten Shishaks Krieger ihre Speere und Schwerter in die Höhe und skandierten ihren Sieg im Namen Ras.
»Sie warten auf Deinen Befehl, mein König.«
Shishak ließ sein Schwert aus seiner mit Juwelen besetzten Scheide gleiten und hob es gen Himmel. Das Kriegsgeschrei seiner Armee eskalierte wie im Fieber in Erwartung des bevorstehenden Kampfes. Dann wandte er sich Darius zu, mit Augen, in denen die Entschlossenheit brannte, zu kämpfen, zuzustoßen und zu töten. Er würde sich nicht zurücklehnen und das Geschehen aus der Ferne beobachten, sondern selbst in das Blutvergießen stürzen, bis die Luft kupfern stank. »Ich will alle Reichtümer des Heiligen Tempels«, erklärte er. »Alles davon soll im Tempel des Ra als Huldigung unseres Sieges dargeboten werden.«
»Gewiss, mein König.«
»Aber wir müssen ihn vor den Priestern erreichen«, fügte er hinzu.
»Die Sukkiten bahnen sich in diesem Moment bereits von Norden her einen Weg durch die Stadt, mein König.«
Shishak streckte die Spitze seines Schwertes noch etwas höher empor. »Dann setzte die Truppen in Marsch«, befahl er. »Ich will die eine Sache, die sie am meisten begehren.«
»Unsere Quellen berichten, dass sich ihr heiligster Schatz inmitten der Kammer befindet, umgeben von Bergen aus Gold.«
»Dann beanspruchen wir für uns, was rechtmäßig Ra gehört«, sagte er. Und mit diesen Worten deutete er mit seinem Schwert in Richtung Jerusalem und sah zu, wie seine Armee auf die Stadtmauern zustürmte, fest entschlossen, niemanden am Leben zu lassen.
In Jerusalem wurde er Abraham genannt, ein hochrangiger Priester, der von den Massen beneidet wurde und dessen Weisheit selbst sein hohes Alter noch überstieg. Mit über siebzig Jahren war er äußerlich so gealtert, dass seine Haut an geschmolzenes Wachs erinnerte und ihm ein Aussehen verlieh, als wäre er so uralt wie die Wüste, die ihre Stadt umgab. Trotz des brennenden Gefühls in seinen Lungen und wachsender Schwerfälligkeit in seinen Beinen hastete Abraham mit weit ausgreifenden Schritten durch die düsteren Gänge zu der heiligen Schatzkammer.
Bevor er die Tür zur Schatzkammer erreichte, kam er an drei jungen Männern vorbei, welche die Kapuzenroben eines Priesters trugen, aber die Priesterweihe noch nicht erlangt hatten. Vielmehr handelte es sich um Jungen, denen gerade ihre ersten Bärte wuchsen, an denen man schließlich ihre Position in der heiligen Hierarchie erkennen würde.
Als sie Abraham erblickten, streckte einer der Brüder dem alten Mann die Hand entgegen, um ihm Halt zu geben. Mit pfeifender Lunge und einem Gesicht so bleich wie der Unterbauch eines Fisches lehnten sie Abraham gegen eine Wand, um ihn zu beruhigen.
»Ihr müsst die anderen finden«, ließ er die Brüder atemlos wissen. »Schickt sie zur heiligen Schatzkammer … ich werde sie dort treffen.«
»Ist es der, den sie Shishak nennen, der gegen Jerusalem vorrückt?«, fragte einer der Brüder.
Der alte Mann nickte hastig. Er ist es. »Beeilt euch!«, rief er dann aus. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit!«
»Und was ist mit dir?«
Abraham winkte ab. »Kümmert euch nicht um mich«, sagte er. »Geht!«
Ohne weitere Fragen eilten die jungen Priester davon und ließen Abraham allein wieder zu Kräften kommen. Mit der Beweglichkeit eines gebrechlichen, in die Jahre gekommenen Mannes hastete Abraham auf wackeligen Beinen weiter durch die Gänge. Doch seine priesterliche Überzeugung, den Schatz ihres Gottes in Sicherheit zu bringen, trieb ihn immer weiter an.
Auf seinem Weg die Treppenstufen hinab mutete die Luft abgestanden, beinahe wie in einem Grabgewölbe an. An die ihn umgebenden Wände warf das Licht der gierig nach Luft leckenden Flammen gespenstische Schatten. In seiner Unterwürfigkeit seinem Gott gegenüber bat er um zusätzliche Stärke, in Worten, die nun nur noch als Flüstern über seine Lippen kamen.
»Bitte, lieber Gott, gib mir die Kraft, Dir in dieser Not zu dienen. Gib mir die Kraft, dies zu überstehen.«
Als das letzte Wort seine Lippen verlassen hatte, erreichte Abraham das Ende der Treppe. Weniger als zwanzig Meter vor ihm erblickte er den Bogengang, der in die heilige Schatzkammer führte.
Nachdem er die dicke hölzerne Tür geöffnet hatte, die von schwarzen Stahlbändern und Nieten gehalten wurde, raubte ihm wie jedes Mal stets der Anblick des Schatzes den Atem. An den Wänden brannten mehrere Fackeln. Das Licht ihrer Flammen tanzte flackernd über jedes Goldstück und verlieh selbst der kleinsten Münze einen blendenden Schein.
Die Kammer war kreisrund und in ihr erhoben sich pyramidenartig Berge aus Gold, Rubinen und Saphiren, von denen einige so hoch wie ein ausgewachsener Mensch aufragten. An der hinteren Wand gegenüber der Tür hingen die goldenen Schilder des Salomon, beinahe dreihundert an der Zahl. Jedes von ihnen glitzerte golden, wenn das Licht der Fackeln von ihrer Oberfläche reflektiert wurde. In der Mitte der Kammer befand sich jedoch der begehrteste der Schätze, etwas, das so hell schimmerte, dass es selbst das glänzendste Stück Gold noch übertraf. Von einem geradezu perfekten weißgoldenen Heiligenschein umgeben stand dort die Bundeslade.
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