Malus Mutter hatte schon den Mund geöffnet, um etwas zu entgegnen, aber als sie die glänzenden Augen ihrer Tochter sah, überlegte sie es sich anders und nickte ihr zu. »Aber freu dich nicht zu früh«, warnte sie. »Noch hat Herr von Funkelfeld dir das Pferd nicht überlassen.«
»Ich werde mit ihm reden«, versprach die alte Dame.
Warum war ihre Mutter nur immer so pessimistisch? Sie hatte Gesine doch gehört. Dieser Arno interessierte sich gar nicht für Pferde und da war sie ihm nur zu gern behilflich. So einfach konnte es manchmal sein! Malu schaffte es kaum das Grinsen zu unterdrücken, das sich auf ihrem Gesicht breitmachen wollte. Morgen! Morgen würde sie ein eigenes Pferd haben und nicht irgendeines, sondern Papilopulus!
5. Kapitel
Ein lautes DINGDONGBONG riss Malu aus ihren Träumen. Verschlafen streckte sie einen Arm aus dem Bett und tastete den Boden nach ihrem Handy ab. Buch. Buch. CD-Player. DINGDONGBONG. Moment, das war gar nicht ihr Klingelton, das kam von der Tür. Welcher Idiot schellte denn hier Sturm am frühen Morgen? Malu schälte sich aus der Bettdecke und lief zur Haustür. Sie drückte auf die Gegensprechanlage. »Ja?«, nörgelte sie verschlafen.
»Ich bin sogar schon hier oben«, flötete eine Stimme, die ihr ziemlich bekannt vorkam, aus dem Treppenhaus vor der Wohnungstür. Lea!
Malu riss die Tür auf. »Was ist denn mit dir los? Bist du aus dem Bett gefallen? Es sind Ferien! Schon vergessen?«
»Guckst du eigentlich auch mal irgendwann auf dein Handy?«, fragte Lea genervt. »Ich hab dir bestimmt hundert Nachrichten geschickt und von dir kam – nichts!« Sie rang theatralisch die Hände.
Ihr Handy, richtig, wo war das überhaupt? Sie hatte gestern gar nicht mehr daran gedacht, es auf Laut zu stellen. Bestimmt hatte ihre Mutter es in die Schublade im Flur gelegt. Rebekka Baumgarten bestand darauf, dass Malu abends ihr Handy abgab. Völlig unnötig! Niemand sonst aus ihrer Klasse musste sein Handy abgeben!
Sie holte es heraus und schaltete es an. »Es sind nur 53 Nachrichten, nicht hundert«, stellte sie grinsend fest.
»Ist doch egal.« Lea warf ihre Zöpfe nach hinten. Sie trug neuerdings ihre langen blonden Haare zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr rechts und links über die Schultern baumelten. Und wenn sie besonders hip aussehen wollte, dann stülpte sie noch eine graue Mütze drüber – laut Lea ein total angesagtes Outfit! Malu hatte da so ihre Zweifel, sie hatte jedenfalls keine Lust, sich mit modischen Frisurfragen herumzuschlagen und band sich ihre langen braunen Locken höchstens zu einem Pferdeschwanz zusammen.
»Hast du schon gefrühstückt?«, fragte Malu ihre Freundin, ihr eigener Magen knurrte jedenfalls lautstark.
»Na klar. Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
»Fühlt sich wie sieben an«, sagte Malu und ging in die Küche. Bevor sie noch einen Blick auf die Küchenuhr werfen konnte, rief Lea: »Zehn Uhr!«
»Zehn Uhr ist für eine durchschnittliche Jugendliche in den Ferien doch völlig normal«, erklärte Malu achselzuckend und griff nach dem Zettel, den ihre Mutter für sie auf den Küchentisch gelegt hatte.
Guten Morgen Schatz, ich habe Frühschicht, bin um vier wieder zuhause. Frag Frau von Funkelfeld, ob ich ihr was einkaufen soll. Viel Glück! Mama
Daneben hatte sie ein Hufeisen gemalt. Und in diesem Moment fiel Malu alles wieder ein. Sie musste zum Schloss! Wann dieser Arno wohl da auftauchte? Heute würde sie Papilopulus bekommen. Hoffentlich. Vielleicht. Bestimmt!
»Alles in Ordnung, Malu?«, fragte Lea vorsichtig und stupste ihre Freundin an, die wie gebannt auf den Zettel starrte. Doch die warf ihre Arme hoch und umarmte Lea wie wahnsinnig. »Alles bestens. Du musst heute mit mir zum Schloss kommen!« Und dann erzählte sie die ganze Erbschaftsgeschichte und von ihrer einzigartigen Chance heute ein Pferd zu bekommen.
Lea starrte ihre Freundin an, als käme sie von einem anderen Stern. »Also noch mal langsam für mich: Du willst diesen Arno fragen, ob der dir das Pferd schenkt? Und du glaubst, das tut der einfach so?«
Malu zuckte mit den Schultern. »Gesine meint ja.« Sie lachte. »Wahrscheinlich mag der Pferde ungefähr genauso gern wie du.«
»Dann hast du echt gute Chancen. Ich würde dir auf jeden Fall alle meine Pferde überlassen.« Lea grinste sie an. »Aber leider kann ich heute nicht mit dir zu deinem Popeltossi fahren ...«
»Papilopulus«, verbesserte Malu streng.
»Von mir aus. Ich muss jedenfalls gleich mit meiner Mutter zu Tante Gerda.« Lea verzog das Gesicht. »Dort werde ich einen megalangweiligen Nachmittag zwischen Rosen und Goldfischen verbringen und dir wieder hundert Nachrichten schreiben. Und du antwortest gefälligst!«
»Ich bemühe mich«, versprach Malu. Sie schüttete sich eine Riesenportion Schokomüsli in eine Schüssel. »Willst du wirklich nichts?«
Lea schüttelte den Kopf. »Ich habe mir gestern eine super Hose gekauft, leider gab es die nur noch eine Nummer kleiner. Da muss ich jetzt erst reinwachsen.«
»Du bist echt bescheuert!«, lachte Malu und kippte sich einen ordentlichen Schuss Milch über die Flocken.
»Ich weiß wirklich nicht, warum du meine beste Freundin bist«, jammerte Lea.
»Lass mal überlegen. Ich bin wahnsinnig witzig, unglaublich klug und vor allem höre ich mir ständig dein ganzes Gejammer an ...«
»Du bist ein Pferdenerd. Nie hätte ich gedacht, dass meine beste Freundin ein Pferdenerd wird!«
»Ich krieg dich da auch noch hin«, lachte Malu. »Wart’s nur ab.«
»Eher sterbe ich«, seufzte Lea und warf ihre Zöpfe nach hinten. »Ich muss los. Morgen gehen wir aber zum See schwimmen. Keine Widerrede!«
»Ich bin dabei«, versprach Malu.
»Und ohne Pferd!«
»Mal sehn.« Malu lachte und brachte ihre Freundin zur Tür. »Was war eigentlich gestern so dringend, dass du mir 53 Nachrichten geschickt hast?«
Lea überlegte kurz und zuckte dann mit den Schultern. »Keine Ahnung. Aber es war bestimmt wichtig, sonst hätte ich dir ja nicht geschrieben.«
»Ja klar. Viel Spaß bei Tante Gerda.«
Lea verzog das Gesicht. »Na ja, immer noch besser, als zwischen Pferdekötteln herumzulaufen.« Auf der Treppe drehte sie sich noch mal um. »Ich drück dir ganz fest die Daumen«, sagte sie und winkte zum Abschied.
Als sie die Tür hinter ihrer Freundin geschlossen hatte, spürte Malu ein heftiges Kribbeln im Bauch. Hoffentlich ging alles gut!
Sie lief zurück in die Küche und löffelte hastig ihr Müsli auf. Dabei zappte sie sich durch ihre Nachrichten, die meis-ten waren natürlich von Lea. Marvin kaute plötzlich Fingernägel und Emma hatte mit ihm Schluss gemacht – bestimmt deswegen, irgendwer aus der Zehnten war aus dem Muffins geflogen, Rike hatte jetzt schon Angst vor dem neuen Mathelehrer, den sie nach den Ferien bekommen würden und so weiter. Wahnsinnig wichtig! Halt, Jaron hatte nach ihr gefragt. Warum hatte er nach ihr gefragt? Malu switchte weiter, aber Lea hatte sonst nichts dazu geschrieben. Jaron, der Buchnerd, wie Lea ihn nannte! (Für Lea waren alle Nerds, die sich mit etwas beschäftigten, was sie selbst nicht interessierte.) War ja auch egal, sie hatte jetzt echt Wichtigeres zu tun.
Schnell räumte sie ihre Müslischale in die Spülmaschine und schlüpfte in Jeans und T-Shirt. Sie schnappte sich Handy und Haustürschlüssel, stürmte aus der Wohnungstür und dann die Treppe herunter.
Malu und ihre Mutter bewohnten eine kleine Dreizimmerwohnung ganz oben unterm Dach eines Mehrfamilienhauses. Das war eigentlich ganz gemütlich, weil es in jedem Raum Dachschrägen gab, nur wenn Malu ihrer Mutter helfen musste, die Einkäufe hochzuschleppen, hätte sie lieber ebenerdig gewohnt.
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