»Einzigartig toll, Aaro. Ich weiß nur nicht, wo ich war?«
»Du bist auf dem Weg zu deinem innersten Selbst gewesen, also zu dir.«
»Wirklich?! Da war aber keine Stimme«, bemerkte Nimue leicht frustriert.
»Gib dir Zeit. Es ist noch kein perfekter Sich-Selbst-Findender vom Himmel gefallen.«
Nimue wollte gerade aufstehen und den Eingang öffnen lassen, als Aaros Herz laut und unruhig zu pochen begann. Er flüsterte: »Bleib drinnen, beweg dich nicht.«
Erschrocken hielt sie sich mäuschenstill. Da hörte sie einen sich annähernden Tumult. Er deutete auf eine wilde Herde hin, die laut durch den Wald trampelte. Das dumpfe Geräusch ihrer Schritte konnte man mit keinem der zarten Elfenschritte vergleichen, also mussten es andere Wesen sein. Sie schärfte ihre Sinne und hörte einige Stimmen durcheinandersprechen. Dabei versuchte Nimue, durch den dicken Baumstamm hindurchzusehen. Es gelang ihr jedoch nicht. Gleichzeitig wurde sie auf eine tiefe Stimme aufmerksam: »Wo ist die Prinzessin? Das Brett hat doch gesagt, dass sie im Wald ist.«
»Ich weiß es nicht, Vater. Lass uns auf der anderen Seite des Waldes suchen.«
»Auf keinen Fall. Ich rieche hier Elfen, also muss sie hier sein!«, erwiderte wiederum eine andere Stimme harsch.
Nimue konnte diese Wesen ebenso riechen. Es war ein unangenehmer Geruch, der sie an den Kompost erinnerte, den die Schweine für gewöhnlich fraßen.
Sie ging einen Schritt zurück, weg von dem immer stärker werdenden, durchdringenden Duft und trat dabei auf das Stuhlbein.
»Aua«, beschwerte sich die Stuhldame.
»Da, da war was!«, schrie eines dieser stinkenden Wesen.
Nimue strich Stúhly sanft über den Arm und entschuldigte sich damit. Da fing das Eichenlaub außerhalb der Höhle an, unter der Last von Schritten zu rascheln. Nimue wurde klar, dass die Wesen jetzt rund um den Baumstamm nach ihr suchten, als es laut klopfte. Nimue zuckte heftig zusammen. Sie kannte diese Kreaturen nicht und so überfiel sie schlagartig eine Angst. Sie vermutete zudem, dass die Eichenblätter auf dem Höhleneingang kein Hindernis für solche Wesen darstellten.
»Was wollen die von mir?«, fragte sie sich zitternd.
Nimue hatte keine Ahnung, dass Aaro die Blätter nur deshalb auf den Eingang legte, weil sie den Innenraum schöner aussehen ließen. Das Grün erhellte sanft den Raum und kreierte eine harmonische Stimmung. Außerhalb jedoch schloss er sich vollkommen, sodass niemand auch nur einen kleinen Spalt sehen konnte. Aus diesem Grund konnten die ankommenden Wesen keinen Hinweis auf eine Öffnung oder Höhle finden. So war Nimue vollkommen beschützt in ihrem Versteck, doch war ihr das zu dieser Zeit nicht bewusst.
Dann ertönte ein weiterer Schlag auf den Baumstamm. Erst ganz leicht und dann immer fester. Daraufhin mehrten sich die Schläge und es wurde immer lauter im Innenraum. Nur einen Moment lang musste Nimue ihre Ohren vor dem Lärm schützen, dann hörte sie viele Stimmen laut durcheinanderrufen. Sekunden später wurde der Geruch schwächer und schwächer. Sie hatte keine Ahnung, was sich außerhalb ihres Verstecks abspielte. Es war Aaro, dem die Schläge zu bunt wurden. Er packte mit seinen Ästen jedes einzelne dieser Wesen und schleuderte es durch die Luft; mit einer solchen Wucht, dass sie erst wieder viele Meter weiter auf den Boden fielen. Anschließend war es totenstill.
»Nimue, sie sind weg«, bemerkte der Eichenbaum.
»Wer war das?«, fragte sie aufgewühlt. Ihr Herz schlug heftig in ihrer Brust, als ob es heraushüpfen wollte.
»Idioten«, erwiderte Aaro.
»Idioten?«
»Ja, mach dir keine Sorgen, die wirst du hier nie wieder sehen, zumindest nicht in diesem Stück Wald.«
»Wer, Aaro?«, wiederholte sie sich.
»Ich weiß es nicht. Ich glaube, dass es Pringies waren.«
»Was sind Pringies?«
»Ich habe gehört, dass die furchtbar stinken sollen und kleine, unangenehme Lebewesen sind. Überall, wo sie auftauchen, vertreiben sie die guten Wesen, und nur die Schattenwesen können den üblen Geruch ertragen. Sie selbst sollen jedoch harmlos sein.«
Eine kurze Stille erfüllte den Höhlenraum. Kurz darauf schüttelte Aaro sich, sodass seine Äste in der Luft schnell hin- und herflogen. Er bemerkte dabei: »Puh, sind die hässlich!«
Der Baum schüttelte sich nun noch intensiver, um das grässliche Bild in seinem Kopf loszuwerden. Dabei schwankte der Innenraum des Baumstammes heftig umher und so rückte die Stuhldame näher in die Mitte, um nicht von der Wucht der Bewegungen getroffen zu werden.
»Wie haben sie denn ausgesehen?«, wollte Nimue wissen.
»Lange, spitze, hundeähnliche Nasen. Keine Haare auf dem Kopf. Ihre Haut ist gruselig grau. Sie waren nur mit einer Hose bedeckt. Diese war so schmutzig, dass ich keine Farbe erkennen konnte und auch noch viel zu kurz. Die Ohren sind lang und genauso spitz wie die Nase. Sie haben ganz kleine Augen, dafür jedoch große, lange Hände und Füße. Ihr Oberkörper ist kugelrund, essen wohl zu viel Unkraut.«
Nimue stellte sich die Wesen bildlich vor. Dabei verzog sie vor Ekel ihr Gesicht. »Warum, meinst du, waren die hier?«
»Die haben dich gesucht. Wollen wohl auch auf deine Party«, vermutete Aaro.
»Das wäre ja furchtbar!«, rief sie erschrocken.
»Die kommen nicht wieder, Nimue. Denen haben wir gehörig Angst eingejagt.«
Nimue war erleichtert, das zu hören. Sie wollte nur gute Wesen zu ihrem Fest einladen, und so wie es aussah, gehörten diese nicht dazu. »Danke, Aaro.«
»Klaro«, antwortete der Baum schüchtern.
»Ich gehe heim. Kannst du mir …?«
Sogleich bewegten sich die Eichenblätter und öffneten den Eingang.
»Danke.« Sie ging hinaus und verabschiedete sich bei der Stuhldame, bei Aaro und natürlich auch bei Eikondia. Ihre letzten Worte waren eine Erinnerung an ihren Wunsch. Nimue wusste nicht, wie sie ihr den erfüllen sollte, und doch war sie fest entschlossen, es zu tun. Sie wollte mit ihrem Großvater darüber sprechen, der bestimmt eine Lösung für ihr Problem hatte, so war sie sich sicher.
Nimue lief schnell durch das Dickicht des Waldes in Richtung Schloss. Der Schock steckte ihr noch in den Gliedern, und so wunderte sie sich nicht, dass sie das Gefühl hatte, verfolgt zu werden. Mehrmals drehte sie sich um, nur um sicher zu gehen, dass sie es sich nur eingebildet hatte und kein Pringies ihr folgte. Andererseits roch sie nichts. Also konnte kein Pringies auch nur in der Nähe sein. Erleichtert über diese Tatsache ging sie langsamer, als sie erneut ein Geräusch hinter sich bemerkte. Nimue drehte sich um, sah nichts und wieder nichts, bis sie erkannte, dass sich etwas hinter einem Baum versteckte.
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