Sie öffnete ihre Arme und rief: »Wie schön. Oh, wie schön.«
»Ich bin es, deine gute Fee«, erklang die Stimme erneut, »ich werde dich immer begleiten und dir auf deiner Reise beistehen. Hab keine Angst, Nimue. Du wirst mit Gold überschüttet und der Reichtum des Lebens wird dein sein.«
Daraufhin begrüßte sie der Wind, der sich langsam einschlich und rundherum die Blätter aufwirbelte. Nimue blieb stillstehen, während die Böen immer stärker wurden. Als der Wind so stark um sie herum wehte, dass sie sich fast nicht mehr auf den Beinen halten konnte, hörte sie ihren Großvater sagen: »So, so, meine Kleine.«
Sie riss ihre Augen auf und bemerkte, dass sie in ihrem Bett lag. Der Mond war verschwunden und so zeigte sich die Nacht von ihrer dunklen Seite. Deshalb konnte Nimue im ersten Moment lediglich die Silhouette ihres Großvaters wahrnehmen, der auf ihrem Bettrand saß.
»Die gute Fee hat dich besucht und dir ihre Hilfe angeboten.«
»War das ein einfacher Traum?«, fragte Nimue erstaunt.
»Ja und nein, Rao’ra. Träume beinhalten deine Emotionen. Manche davon sind wichtig, dass du sie erkennst. Andere wiederum sind dazu da, um Erlebtes zu verarbeiten. Manches Mal jedoch schleichen sich andere Wesen in unsere Träume ein, um unsere Aufmerksamkeit zu erhalten.«
»Warum tun sie das?«
»Weil sie uns auf diese Weise etwas mitteilen möchten.«
»So wie die Fee gerade eben?«
»Ja, so wie die Fee gerade eben. Maeve ist eine kriegerische Lichtfee und steht deinem Urgroßvater und mir bei, so wie sie auch schon deinen verstorbenen Vorfahren half. Sie unterstützte sie, die beschwerliche Reise zu überstehen und dabei gesund zu bleiben.«
»Aha, Opa«, staunte Nimue, »was wollte sie mir mitteilen? Ich verstehe nicht, warum sie mich in meinem Traum besucht?«
»Weil sie dich auserwählt hat, so wie sie auch deine Vorfahren auserwählte.«
Aar verschwieg ihr dabei, dass Maeve nur den Königen ihrer Familie und deren Kronprinzen mit ihrem besonderen Schutz beistand. Kronprinzessinnen hatte es ja bisher noch nicht gegeben. Für Aar war dies ein weiteres Zeichen, dass die Hohen Meister des Lichts, gemeinsam mit seinen Vorfahren, Nimue als zukünftige Königin auserwählt hatten, und doch war dies keine endgültige Entscheidung. Nun kam es auf Nimue selbst an. War sie wirklich dazu bestimmt, die zukünftige Königin zu werden? Aar durfte sie so lange nicht auf ihre mögliche Bestimmung hinweisen, bis sie selbst den richtigen Pfad finden würde, falls es letztendlich ihre Bestimmung war.
Da blickte Aar in das irritierte Gesicht seiner Enkelin und erklärte: »Maeve hat sich dir sozusagen vorgestellt, meine Kleine. Von nun an steht sie dir zur Seite. Das bedeutet, sie beschützt dich und hilft dir, wann immer du sie brauchst. Sie kann dich heilen, wenn du dich verletzt oder wenn dich dunkle Energien heimsuchen oder du anderweitig krank wirst. Sie ist in der Kräuterkunde einzigartig ausgebildet. Daher kannst du ihre selbst gebrauten Zaubertränke immer zu dir nehmen. Ansonsten trinke niemals etwas, das du nicht kennst oder von jemandem, dem du nicht vertraust. Das kann gefährlich sein, meine Kleine, sehr gefährlich.«
Nimue nickte zustimmend, während sie weiter seinen Worten lauschte.
»Maeve ist eine sehr beschäftigte Fee. Sie ist die Königin der Feen und hat sich zur Aufgabe gemacht, die Umwelt zu schützen. Sie liebt den Wald und vor allem die Blumen. Du kannst überall mit ihr sprechen, aber eine besondere Freude machst du ihr, wenn du sie rufst und dabei Blumen um dich stehen hast.« Aar lächelte Nimue liebevoll an. »Du weißt ja, dass die Menschen die Umwelt immer mehr belasten und dieser immer größer werdenden Aufgabe stellt sich Maeve. Sie flüstert Wissenschaftlern Möglichkeiten ins Ohr, wie sie umweltbewusste Alternativen erfinden können, und klärt die Luft mit selbst gebrauten Wasserstoffen. Manch ein Mensch hat ihre klaren Energien schon spüren dürfen. Man sagt, dass diese daraufhin gesund bis an ihr Lebensende waren.«
»Wow, Opa, ich bin froh, dass sie mich auserwählt hat.«
»Ja, das bin ich auch, meine Kleine.« Er klopfte sanft auf ihre Schulter. »Jetzt schlaf, Nimue. Du brauchst die nächsten Tage viel Kraft und Energie.«
Sie drehte sich auf den Bauch und spürte, wie ihr Großvater ihr einen Kuss auf die Wange gab. Kurz darauf war er verschwunden. Eine Stille kehrte ein, in der Nimue sofort wieder einschlief, als ob alles nur ein Traum gewesen wäre.
»Nur noch neun Tage«, das waren die ersten vier Worte, an die Nimue an diesem Morgen dachte. Neun Tage, und es war so weit: viele Gäste, vorzügliche Speisen, ein wunderschönes Kleid, das bereits im vergangenen Marktfest für sie angefertigt worden war, Tanz und Musik und, ja, der Wunsch. Das Letztere bereitete ihr noch Sorgen. Aus diesem Grund wollte sie gleich nach dem Frühstück zur Eiche gehen.
Sie öffnete ihre Augen und setzte sich auf. Dabei bemerkte sie die Unruhe außerhalb ihres Zimmers. Sie vernahm im Gang viele Schritte auf und ab laufen und Stimmen sich Arbeitsanweisungen zurufen.
Da dämmerte es ihr. »Natürlich, heute kommt Katar!«
Nimue konnte es kaum erwarten, ihn kennenzulernen. Sie fiel in einen Rausch von Geschichten über Katar, die ihre Gedanken vollkommen einnahmen. Noch während sie vor sich hin träumte, klopfte es an der Tür.
»Herein!«
Aoife beugte sich mit ihrem Oberkörper neugierig ins Zimmer. »Guten Morgen, Nimue«, begrüßte sie ihre kleine Schwester und sprang mit einem Satz ins Zimmer. »Weißt du schon, was du dir wünschst?«
Nimue schüttelte den Kopf.
Aoife wartete nicht lange auf eine Antwort und erklärte: »Ich habe damals auch lange darüber nachgedacht. Dann siegte mein Traum vom Marktfest und du weißt ja, ich durfte durch das Zeitloch hindurch das Fest in einer anderen Dimension erleben. 13 Tage lang habe ich gefeiert. Das war der Hammer, Nimue.«
Nimue ließ sich zurück aufs Kissen fallen, als sie untertrieb: »Ja, ich weiß. Du hast es uns schon ein paar Mal erzählt.«
Aoife setzte sich zu ihr und schlug vor: »Soll ich dir helfen?«
Nimue wollte partout nicht, dass ihre Schwester ihr half. Sie hatten so gut wie keine gemeinsamen Interessen. Trotzdem antwortete sie zu ihrer eigenen Überraschung: »Natürlich.«
»Ein Schwein«, schwärmte Aoife spontan.
»Nein«, rief Nimue entsetzt. Nicht, weil sie Schweine nicht mochte, aber das Gelächter auf dem Fest konnte sie jetzt schon hören, auch wenn Schweine Glück in jeder Hinsicht bringen sollten.
»Ein Pferd«, schlug Aoife daraufhin vor.
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