Elf-Tier-Zauber-Theater war ein Brettspiel, von dem Cara oft geschwärmt hatte. Ihre Cousine erklärte ihr, dass es ursprünglich von einer Wachtelfamilie konzipiert wurde. Die Wachtelkinder hatten heimlich den Menschen bei einem Spiel namens Mensch-ärgere-Dich-nicht zugesehen und ihren Eltern davon erzählt. Diese waren davon so inspiriert, dass sie es mit veränderten Regeln nachgebaut haben. Da die Wachteln viel kleiner sind als die Elfen, haben sich die Elfenfamilien der Zauberinsel zusammengetan, um das Brettspiel für ihre Größe zu entwerfen.
Das Spiel ähnelt dem der Menschen, wenn auch lediglich in seinen Grundzügen. Die Figuren sind ein Esel, ein Igel, ein Pferd und ein Krokodil. Alle vier Figuren werden lebendig, sobald sie mit dem Spielfeld in Berührung kommen. Zudem haben sie deren natürliche tierische Instinkte und Eigenschaften. Somit ist das Pferd schneller als die anderen, das Krokodil flinker und dazu noch hinterlistig. Der Igel ist langsam und gelassen, und der Esel ist verfressen. Er verweilt daher gerne am Rand, wo die Futternäpfe stehen. Wenn man diese Spielfiguren zur Auswahl hat, würde jede schlaue Elfe das Pferd wählen. Der Wunsch allein zählt hierbei jedoch nicht, denn bei diesem Spiel wählt das Tier den Elf und nicht umgekehrt. Dann erst kann das Spiel beginnen.
Nimue stellte sich den Elfenwürfel vor, von dem Cara ihr erzählt hatte. »Er sieht genauso aus wie der der Menschen«, murmelte sie, »der Unterschied ist der Zauber, der im Elfenwürfel steckt.« Die Zahlen verändern sich je nach Laune des Würfels und gleichen somit die positiven und negativen Eigenschaften der Tiere aus. Dabei wird Gut und Böse in eine Waagschale gelegt. Nur so kann ein wahrer Gewinner ermittelt werden, auch wenn am Ende das Glück entscheidet.
Nimue lachte bei dem Gedanken auf, dass manch ein Würfel seinen Schabernack trieb und dabei Spieler und Tier zur Weißglut brachte.
Eine Wachtel ist ein Wesen, das dem Singvogel auf dem Land sehr ähnelt, jedoch kein Vogel ist. Man weiß nicht genau, warum diese kleinen Wesen zu den Wachteln gehören. Ein Grund dafür könnte das ähnliche Verhalten und Aussehen sein. Die Singvögel sind scheu und fliegen selten auf; genauso wie die Wachteln, die sich immer in ihren Höhlen verstecken. Beide haben ein braunes Federkleid mit einer weißen Längsstreifung, mit dem Unterschied, dass Singvögel Flügel und hühnerfußähnliche Beine haben und die kleinen Zauberwesen Arme und Beine, wie ein Menschenkörper sie besitzt. Die Arme sind jedoch doppelt so lang wie der Oberkörper, und ihre Beine können sie weit dehnen, wenn sie an Wänden hochklettern und die Breite dafür brauchen. Das Gesicht ist unterschiedlicher Art, denn es gleicht keinem Vogel. Es wirkt ein wenig gruselig, wenn man die Wesen nicht kennt. Die Nase ist spitz und lang, und der Mund gleicht einem Fischmaul mit schmalen Lippen. Die Augen sind groß und man könnte meinen, dass sie jeden Moment aus der Augenhöhle herauskullern. Die Kopfhaare sind in der Regel nur spärlich vorhanden, wobei einige wenige in das Gesicht hängen. Im Grunde sind es liebe Wesen. Trotzdem sollte man stets überlegt mit ihnen umgehen. Sie können hinterhältig handeln und Wahrheiten zu ihrem Nutzen auslegen.
»Gefällt mir dieses Spiel wirklich so gut, dass ich es mir an meinem Geburtstag wünschen möchte?«, bezweifelte Nimue. Sie schüttelte den Kopf und entschied sich, einen weiteren Wunsch vor ihrem inneren Auge zu visualisieren. Nimue dachte an ein schönes Fest. An eines, das anders sein sollte, wie ihr großes Geburtstagsfest. Sie stellte sich einen geschmückten Tafelsaal vor und eine Gästeliste, die nur sehr kurz war. Als sie sich gerade ihre Mutter in ihren Gedanken herholte, platschte etwas laut an ihr Fenster. Nimue zuckte heftig zusammen. Sie blinzelte und das Bild in ihren Gedanken verschwand.
Wieder im Hier und Jetzt blickte sie auf die Glasscheibe und entdeckte darauf einen eigenartigen Fleck. »Platsch«, machte es noch einmal so laut und heftig, dass Nimue zurückschnellte. Da sah sie ein kleines Wesen auf der äußeren Seite des Fensters kleben. Sie berührte die Stelle mit ihren Fingern und erkannte, dass das Glas noch ganz war. Dann beobachtete sie das Wesen, wie es die Arme und Beine seitlich bis zum Fensterrahmen ausdehnte. Danach kletterte es mühsam den Fensterrahmen hoch. Der kleine Körper, der sich nun in der Mitte des Fensters befand, wirkte auf sie verletzlich und berührte Nimues Herz. Sie überlegte, wer das sein könnte und rieb sich die Augen, um es noch klarer sehen zu können.
»Ist dieses kleine Wesen nicht eine Wachtel?«, vermutete sie unsicher. Gerade hatte sie an die Wachtelfamilie gedacht, die das tolle Spiel erfunden hat. War das Zufall?
Als das Wesen langsam höher kletterte, beschwerte es sich: »Du könntest mir helfen, dann ginge das alles hier ein wenig schneller.«
Sogleich öffnete Nimue das Fenster und holte das kleine Wesen herein.
»Hallo, Nimue.«
»Hallo! Wer bist du?«
»Ich bin die Wachtel Cotur. Ich möchte mit dir wegen des Festes sprechen.«
»Des Festes?«, erwiderte sie erstaunt.
»Ja. Wir haben gehört, dass in zehn Tagen dein Uaneala-Fest steigt. Auch wenn wir das Wasser nicht ausstehen können, wir möchten trotzdem dabei sein.« Cotur atmete tief durch, bevor er infrage stellte: »Wie haltet ihr das hier unten nur aus?« Er schüttelte skeptisch seinen Kopf, wobei sich seine dünnen Haare wild hin- und herbewegten. »Egal, wie sieht’s aus?«
»Ich weiß es nicht. Opa hat gesagt, dass ich nicht jeden einladen kann, der mich darum bittet.«
»Papperlapapp, Nimue, ich und meine Familie sind doch nicht ein jeder. Wir sind die hochfürstliche Wachtelfamilie von der Zauberinsel Nord.«
»Wie groß ist deine Familie?«
»Ganz klein nur. Wir sind zwölf Wachteln und so winzig, dass wir nicht viel Platz brauchen.«
Nimue hatte noch nie etwas über eine hochfürstliche Wachtelfamilie von der Zauberinsel gehört, und doch mochte sie dieses kleine, hässlich aussehende Wesen auf Anhieb. Sie überlegte kurz, ihren Großvater zu fragen. Bei dem Gedanken fiel ihr jedoch auf, dass sie sicherlich schon wieder zu spät zum Abendessen kommen würde.
»Gut, Cotur, komm mit deiner Familie. Wo und wann …«
»Weiß ich alles«, unterbrach er sie, während er sich verbeugte. »Danke, Eure Hoheit. Wir freuen uns auf dein Fest.« Dann sprang er auf den geöffneten Fensterrahmen, und schwuppdiwupp war die Wachtel verschwunden.
Nimue schloss schnell das Fenster und lief zum Saal. Erneut hörte sie die Elfenstimmen sich zuprosten, bevor sie noch den Saal erreicht hatte. Nachdem sie eingetreten war, schwebte sie schnell zu ihrem Tisch.
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