Dort angekommen, ermahnte sie Aar: »Nimue, das sollte aber nicht zur Gewohnheit werden.«
Sie wusste, dass er von ihren vielen Verspätungen sprach und nickte ihm zu.
»Opa, die hochfürstliche Wachtelfamilie kommt auch.«
Er kannte die Familie und nickte ebenso. Darauf teilte er Nimue mit: »Morgen, meine Kleine, kommt mein Onkel Katar.«
»Ich weiß, Opa«, sprudelte es freudig aus ihr heraus.
Gleichzeitig wurde es ganz still am Tisch. Alle Anwesenden lauschten Aars Worten.
»Er kommt wegen dir und deines Geburtstags.« Aar fügte für die neugierigen Ohren hinzu: »Und natürlich auch, weil er uns alle wiedersehen möchte.« Dies rief eine Freude hervor, die er nun in einigen Gesichtern lesen konnte. Aus diesem Grund war er froh, es noch erwähnt zu haben. Danach wandte er sich wieder Nimue zu: »Ich möchte, dass du zwei Tage vor deinem Geburtstag einen Waldrundgang mit ihm machst. Geht das in Ordnung?«
Nimue bewegte ihren Kopf schnell auf und ab, während sie übers ganze Gesicht strahlte. »Natürlich, Opa, ich freu mich schon darauf.«
Der König, der dem Gespräch gelauscht hatte, lächelte Nimue zustimmend an. »Gut, meine kleine Nimue, das freut mich sehr«, bemerkte Seoras daraufhin bedächtig, »mein Bruder liebt die Natur. Bestimmt wird er das offene Meer vermissen.«
»Meinst du, Uropa?«
»Er schreibt Außergewöhnliches über den Ozean und die Kraft, die das Wasser ihm zukommen lässt. Man könnte meinen, der Ozean wäre seine große Liebe.« Seoras lacht.
»Ich werde ihm die schönsten Orte in unserem Wald zeigen. Da bekommt er bestimmt kein Heimweh.«
Seoras lächelte zufrieden. »Da bin ich mir sicher, meine kleine Nimue.«
Daraufhin versanken alle Anwesenden in ihre Gedanken, die sich hauptsächlich um Katar drehten. Die, die ihn nicht kannten, stellten sich vor, wie er wohl aussehen könnte. Die, die ihn kannten, freuten sich und schwelgten in Erinnerungen an ihn.
Nach dem Essen ging Nimue langsam den Arkadengang entlang zu ihrem Zimmer. Der Mond stand bereits hoch oben am Himmel und warf vor ihr die Schatten der Säulen auf den Boden. Da machte sich eine Vorfreude in ihr breit, Katar bald kennenzulernen. Es prickelte förmlich in ihrer Brust. Dies teilte sie mit einer aufkommenden Aufregung, weil alles mit ihr und ihrem Geburtstag zusammenhing. Zudem ahnte sie, dass da noch mehr dahintersteckte.
»Bin ich dem Unbekannten gewachsen?«, fragte sie sich ein wenig ängstlich.
»Nimue, mach dir über unbekannte Dinge keine Sorgen. Das ist wirklich eine Verschwendung der Zeit«, meinte Oona, wie aus dem Nichts.
Nimue stockte der Atem.
»Weißt du, meine Kleine, alles wird gut. Katar freut sich sehr auf dich. Das allein soll dich bewegen.«
Nimue nickte und gab ihrer Großmutter einen Kuss auf die Wange. »Gute Nacht, Oma.«
»Gute Nacht und schlaf gut.« Sogleich verschwand Oona hinter einer massiven Holztür.
Da hörte Nimue das Klappern von Geschirr aus dem Tafelsaal. Außerdem nahm sie die Stimme eines Heinzelchens deutlich wahr, das dort aufräumte: »Das tue ich doch! Nimue wird das schon machen.«
Nimue wurde neugierig und ging zurück in den Saal.
»Was werde ich machen?«, fragte sie laut in den Saal hinein.
Die arbeitenden Heinzelchen blieben abrupt stehen.
»Uns belohnen«, hörte sie ein Männlein aus den hinteren Reihen rufen. Langsam trat es hervor und verbeugte sich. Es erklärte: »Nimue, wir werden auf deinem Uaneala-Fest die Arbeit erledigen. Sie wird umfangreich sein und anstrengend werden.«
Sogleich ertönte die tiefe Stimme von Nimues Schwester Marie, die spottete: »Sei still, dafür seid ihr doch da, oder etwa nicht?«
Marie stand auf einem kleinen Balkon und beobachtete das Geschehen im Saal. Nimue, der Maries harte Worte zuwider waren, lief ein unangenehmer kalter Schauer über den Rücken.
Sie blickte zurück zu dem Männlein und versuchte Maries Aussage wiedergutzumachen: »Ich danke euch sehr dafür. Ohne euch wäre mein Fest nicht möglich.«
»Dank ist gut und schön, aber Stress, Stress, Stress ist einfach nicht gut für unsere Gesundheit.«
Nimue hatte keine Ahnung, auf was dieses Männlein hinauswollte.
Es wiederholte sich: »Stress, Stress, Stress macht Kopf und Körper kaputt.«
»Willst du an diesem Tag nicht arbeiten?«, fragte sie daraufhin ein wenig verwirrt.
Ein Schimmer von Angst durchzog seine Augen und er schrie mit schriller, lauter Stimme: »Nein, nein, nein, ich will, denn dafür bin ich da!«
»Um was geht es dann?«
Marie schüttelte den Kopf und verließ den Raum. Als sie die Balkontür bewegte, konnte das Männlein Aar dahinterstehen sehen, der das Gespräch verfolgte. Das Männlein antwortete nicht mehr. Es ging zum nächsten Tisch und nahm ein paar Teller in seine Hand. Damit ging es schnell in Richtung Küche.
Nimue verstand die Situation nicht. »Was nun, was willst du?«
Es drehte sich um, stellte die Teller ab und erwiderte: »Wir alle würden gerne nach deinem Uaneala-Tag ein Fest feiern, bei dem wir bedient und bewirtet werden.«
»Nicht, dass ich euch euren Wunsch nicht gerne gewähren würde. Ich kann solch ein großes Anliegen nicht selbst entscheiden. Da musst du schon den König fragen.«
Es verbeugte sich und sagte: »Danke, Eure Hoheit, das werde ich.«
Danach nahm es die Teller wieder an sich und verschwand in die Küche.
Nimue wusste nun gar nicht mehr, was sie von diesem Gespräch halten sollte. Sie entschied sich dennoch dafür, es dabei zu belassen und in ihr Zimmer zu gehen.
Die Heinzelchen stammten vom Volk der Heinzelmännchen ab. Im Gegensatz zu den Heinzelmännchen konnten sie jedoch auch unter Wasser leben. Nachdem das Reich Shenja fertig aufgebaut war, boten sie ihre Dienste am Hofe an und Seoras nahm sie gerne auf. Ihre Entlohnung bestand hauptsächlich aus einer Bleibe und der Nahrung, die sie benötigten. Im letzten Monat des Jahres bekamen sie dazu ein paar Goldringe, um sich auf dem alljährlichen Zaubermarkt auf der Zauberinsel Süd etwas kaufen zu können.
Der Zaubermarkt fand immer am 13ten Tag des 13ten Monats statt und endete mit einem großen Fest. Für diesen einen Tag verwandelte sich der südliche Teil der Insel vollkommen aus seiner ursprünglichen Art. Alte Häuser standen an vorher leeren Plätzen und Springbrunnen ragten aus dem Boden, die verschiedene Figuren darstellten. An den Ortseingängen waren Türme mit Aussichtspunkten angebracht, sodass der Besucher das ganze Geschehen auch von oben betrachten konnte. Cafés aller Art säumten die wild verzweigten Straßen. Davon verkörperten einige eine Lebensart der Menschen. Die beliebtesten waren ein französisches, ein italienisches, ein bayerisches und ein englisches Kaffeehaus. Diese waren oft so überfüllt, dass man die Türen nicht mehr schließen konnte, während die anderen nur wenige bis keine Besucher hatten. Trotzdem kamen sie jedes Jahr aufs Neue.
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