»Vielleicht …«, antwortete sie zögernd.
»Aha, du hast also schon darüber nachgedacht. Dann erzähl mal!«
Nimue wusste nicht mehr weiter. »Kann uns nicht jemand stören?«, bat sie in Gedanken den Himmel. Sie wollte nicht über ihre Wünsche sprechen, denn hatte Oona nicht gesagt, dass sie darüber schweigen sollte?
Sekunden später vernahmen sie im Zimmer ein lautes Klopfgeräusch. Beide erschraken heftig und so antwortete erst einmal keiner.
»Sowas, die alte Buche ziert sich ganz, ganz schön heftig«, hörten sie kurz darauf eine helle Stimme empört bemerken. Beide sahen um sich. Dabei entdeckten sie direkt vor ihnen auf dem Holzboden eine Stelle, die sich verschiedenartig hochwölbte, worauf sie sich zu einer undefinierbaren Form entwickelte. Daraufhin platzte das Holz am obersten Ende, als ob ein Vulkan ausbrechen würde. Gleich darauf sprang ein kleiner Geist mit einem »Huih« heraus, und schon fiel das Holz wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurück.
Der Geist putzte seinen Mantel und rief mit verärgerter Stimme: »Diese Buche wird immer störrischer. Es wird immer schwerer, sie zu durchdringen!«
Aoife und Nimue sahen sich mit weit aufgerissenen Augen an. Zur gleichen Zeit hörten sie ein lautes Geräusch, das einem monotonen Knurren ähnelte. Die Buche lachte den kleinen Geist aus. Der wiederum stampfte mit dem rechten Fuß fest auf den Boden.
»Da! Lach du nur, du stures Holz«, rief er laut.
Doch der Holzboden konterte mit schaukelnden Auf- und Abwärtsbewegungen, sodass der kleine Geist ein paar Zentimeter hoch in die Luft geschleudert wurde. Dieser war nicht mehr fähig zu reagieren und krachte mit einem lauten »Aua!« hart zurück auf das Holz.
Nimue und Aoife lachten, da der Geist sich nun wie ein Spielball auf und ab bewegte.
Schließlich gab der Holzboden nach.
Der Geist putzte seinen Mantel erneut und erklärte mit fester Stimme: »Der wird noch was erleben!« Dann wandte er seinen Blick den beiden zu, änderte spontan seinen verärgerten Gesichtsausdruck in einen freundlichen und sagte: »Hallo, Eure Hoheiten, wie geht es Euch heute, an diesem so schönen Tag?«
Der Geist hob zu einem Sprung auf Nimues Bett an, jedoch nicht, bevor er dem Holzboden noch einmal einen Tritt verpasst hatte. Dieser war kaum härter als ein Federnschlag hätte sein können, und so reagierte die Buche nicht darauf. Eine Sekunde später stand er auf dem Bett direkt vor den beiden Mädchen und putzte erneut seinen Mantel.
»Der Mantel ist doch total sauber«, schmunzelte Nimue, »muss wohl ein eigenartiger Tick sein.«
Sie mochte den kleinen Kerl auf Anhieb und überlegte, welches Wesen es sein könnte. Der Sprung auf das Bett war so gar nicht der eines Geistes, dem er aber aufgrund seines beinahe kristallklaren Körpers optisch ähnelte. Es war eher noch der Sprung eines Kobolds, aber dann war es eine Koboldart, von der sie noch nie etwas gehört oder gesehen hatte.
Er unterbrach ihren Gedankengang mit den Worten: »Bald steht ein Fest bevor. Meine Familie und ich möchten daran teilhaben. Lädst du uns ein, Nimue?«
Aoife wandte sich ihrer kleinen Schwester zu und deutete mit ihren Augen an, dass sie Nein sagen sollte.
Nimue verstand ihre Andeutung, dennoch fragte sie: »Wer bist du?«
»Ich bin ein Waldgeist und heiße Ukuku. Wir leben mit den Menschen zusammen auf dem Land; genauer gesagt, leben wir auf Herrenchiemsee.«
»Woher weißt du von dem Fest?«
Der Geist fing an laut zu kichern. Er lachte so fest, dass sein Körper vibrierte, während ihn Nimue und Aoife verdutzt anstarrten.
Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, meinte er: »Jeder weiß von deinem Fest, Nimue.«
Sie nickte, ohne verstanden zu haben. »Wie viele seid ihr?«
Er zählte mit seinen Fingern ab: »Mikuku, Brikuku, Elikuku, Jokuku …«
Dabei folgte Nimue seinen kleinen dicken Fingern und ihrer Bewegungen. Er hatte an jeder Hand nur drei davon. Sie war erstaunt darüber, denn sie hatte eine derartige Hand noch nie zuvor gesehen. Seine Statur war klein, etwa 30 Zentimeter hoch und seine braunen Haare versteckten sich unter einer lila Mütze. Man konnte nur ein paar dunkle Spitzen herausragen sehen. Ukuku hatte winzige Ohren, die man nur bei genauer Betrachtung erkannte. Er trug einen braunen Mantel, der seinen schwer erkennbaren Körper verdeckte. Nur seine Hände und Füße ragten heraus. Er hatte keine Schuhe an, was seine langen Zehen im Vergleich zu den kleinen Füßen überaus stark hervorstechen ließ.
Nimue verglich den kleinen Geist mit ihren guten Freunden, den Seegeistern, doch diese sahen ganz anders aus. Noch dazu sprangen sie niemals herum, so wie es Ukuku tat. Trotzdem deutete sein Körper auf eine Geisterart hin, und somit war sich Nimue sicher, er würde die Wahrheit sprechen. Zudem amüsierte sie sich über seinen Mantel und dessen lustige Eigenheit umherzuflattern, als ob ein starker Wind wehen würde. In einigen Momenten sah es danach aus, als ob unter dem Mantel gar nichts wäre. Zumindest nichts, was mit Elfenaugen zu sehen war.
Da schweiften Nimues Gedanken vollkommen ab, während Ukuku weitere Namen aufzählte, und sie fragte sich: »Schweben nicht alle Geister?«
Sie konnte es sich nicht erklären, als ihr bewusst wurde, dass es von jedem Wesen verschiedene Arten gab und sie natürlich nicht alle Geisterarten kennen konnte. Sie hörte dem kleinen Geist wieder bewusst zu, als er die Zahl »14« erwähnte.
»Es gibt also 14 Waldgeister deines Stammes?«, fragte Nimue nach.
Er verbeugte sich. »Ja, Eure Hoheit.«
»Ich freue mich, euch alle auf meinem Fest begrüßen zu dürfen.«
Sie hörte ein »Huih, hudihui«, und schon war er mit ein paar Sprüngen aus dem offenen Fenster verschwunden.
Aoife sah sie mit einem unmissverständlichen Blick an, sagte jedoch nichts, worauf Nimue entschlossen aufstand.
»Ich muss weg, Aoife.«
Kurz darauf verließ sie ihr Zimmer.
Nimue war auf dem Weg zur Eiche, um endlich mit ihrer inneren Stimme zu sprechen. Während sie durch das Dickicht des Waldes ging, hörte sie Aaro schon von der Ferne mit seiner Nachbarin lautstark diskutieren.
Als er Nimue entdeckte, rief er ihr zu: »Nimue, gut, dass du kommst.«
Sie verließ das Dickicht und schon begrüßte sie Aaros Nachbareiche: »Hallo, Nimue, ich habe gehört, dass du bald Geburtstag hast.«
Nimue nickte.
»Ich bin Eikondia.«
»Das weiß ich doch?!«, wunderte sich Nimue.
»Was glaubst du, könnten wir mitfeiern?«
»Wie soll das gehen, ihr könnt euch doch nicht von hier wegbewegen? Das Fest findet im Schloss statt.«
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